Die Menschenrechte und das Privatrecht: Ein Forschungsfeld mit wachsender Bedeutung

Die Menschenrechte und das Privatrecht: Ein Forschungsfeld mit wachsender Bedeutung

11. Juni 2018

Innerhalb der Privatrechtswissenschaft gewinnen die Menschenrechte zunehmend an Bedeutung. Beispielsweise im Wirtschaftsrecht mit der Frage, ob eine inländische Muttergesellschaft unmittelbar den Geschädigten von Menschenrechtsverletzungen ihrer ausländischen Tochtergesellschaften haftet. Ebenso rückt die Einhaltung menschenrechtlicher Standards bei der Herstellung von Zuliefererprodukten in den gesetzgeberischen Blick. Auch bei privaten Rechtsbeziehungen im grenzüberschreitenden Bereich, die traditionell durch das internationale Privatrecht geregelt werden, berufen sich Gerichte immer öfter auf die Menschenrechte. Denn das internationale Privatrecht variiert von Land zu Land, und seine Entwicklung hat mit der Globalisierung nicht Schritt gehalten. Die Menschenrechte bilden hier eine einheitliche rechtliche Mindestausstattung aller Menschen und wirken wie eine Notbremse, wenn dieser Mindestschutz unterschritten wird.


Institutsdirektor Holger Fleischer beschäftigt das Thema Menschenrechte im Rahmen seiner Forschungen zu Social Corporate Responsibility. In einem gemeinsamen Aufsatz mit Nadja Danninger, ehemalige wissenschaftliche Assistentin am Institut, zeigt er am Beispiel schweizerischer und französischer Reformen die Entwicklungen der Konzernhaftung in den Nachbarländern auf, um auf dieser Grundlage über die Fortentwicklung des deutschen Rechts nachzudenken:

Quo vadis, Konzernhaftung für Menschenrechtsverletzungen?

Es gibt sie in wachsender Zahl: Klagen gegen inländische Konzernobergesellschaften wegen Menschenrechtsverletzungen von Tochtergesellschaften im Ausland. Ihre Erfolgsaussichten hängen von verschiedenen Umständen ab, vor allem von der Frage des anwendbaren Rechts und der Reichweite konzerndimensionaler Kontroll- und Überwachungspflichten. Höchstrichterliche Orientierungsmaßstäbe sind hierzulande vorerst weder im hergebrachten Gesellschafts- und Konzernrecht noch im aufstrebenden Deliktsorganisationsrecht in Sicht. Angesichts dieser Rechtsunsicherheit mehren sich Stimmen, die rasche gesetzgeberische Reformschritte anmahnen. Kürzlich hat eine Gruppe von Öffentlichrechtlern im Auftrag verschiedener Nichtregierungsorganisationen einen ausformulierten Vorschlag für ein „Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflicht zum Schutz der Menschenrechte“ vorgelegt.

Entwicklungen der Konzernhaftung in Frankreich und der Schweiz

In manchen Nachbarländern ist die Entwicklung schon weiter gediehen. Frankreich hat neuerdings ein Gesetz über die Sorgfaltspflicht der Muttergesellschaften und der auftraggebenden Unternehmen eingeführt, und in der Schweiz beschäftigen sich Rechts- und Wirtschaftspolitik derzeit mit der sog. Konzernverantwortungsinitiative, die eine direkte Haftung schweizerischer Unternehmen für das Verhalten ausländischer Tochtergesellschaften und Lieferanten vorsieht. Ein aktueller Beitrag gibt einen Überblick über diese Neuentwicklungen und erste Einschätzungen aus beiden Ländern. Er schließt mit einigen Überlegungen zur Fortentwicklung des deutschen Rechts de lege lata und de lege ferenda.

Holger Fleischer, Nadja Danninger, Konzernhaftung für Menschenrechtsverletzungen – Französische und schweizerische Reformen als Regelungsvorbilder für Deutschland? –, Der Betrieb 2017, 2849–2857.

Sozial verantwortliches Handeln von Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) rückt schon seit Jahren stärker in den gesetzgeberischen Blick. In einer global aufgestellten Weltwirtschaft betrifft das auch weltweit vernetzte Beschaffungsmärkte und Lieferketten. Zunehmend wird Vermarktern und Einführern Rechenschaft darüber abverlangt, unter welchen Bedingungen die Zuliefererprodukte hergestellt wurden (z.B. im Hinblick auf Umweltstandards, Kinderarbeit etc.). Insofern kann man von der Herausbildung eines „Lieferkettenrechts“ sprechen. Ein Beitrag von Holger Fleischer und Jakob Hahn beleuchtet unter einem rechtsvergleichenden Blickwinkel, wo dieses „Lieferkettenrecht“ im Augenblick steht. Der Beitrag wird in Heft 7 der Zeitschrift Recht der internationalen Wirtschaft erscheinen:

Berichtspflichten über menschenrechtliche Standards in der Lieferkette. Eine internationale Bestandsaufnahme

Eine wirkungsvolle Durchsetzung der Menschenrechte bei der unternehmerischen Wertschöpfung steht weit oben auf der rechtspolitischen Agenda des nationalen und internationalen Wirtschaftsrechts. Angesichts globaler Beschaffungsmärkte richtet sich der Blick nicht nur auf ausländische Tochtergesellschaften einheimischer Konzernmutter, sondern auf die Arbeits- und Produktionsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette. Lieferketten-Governance wird damit zu einer neuen Kernaufgabe für das Management; hiervon zeugen erste Konzepte einer „Supply Chain Due Diligence“. Zur Schließung etwaiger Governance-Lücken in globalen Lieferketten stehen den Heimatstaaten multinationaler Unternehmen verschiedene Steuerungsinstrumente zur Verfügung, die von harten straf- oder haftungsbewehrten Sorgfaltsstandards bis hin zu weicheren Berichterstattungspflichten reichen. Letztere bilden den Kern eines sich allmählich entfaltenden, aber wissenschaftlich noch unterbelichteten „Lieferkettenrechts“.

Der Beitrag bietet eine aktuelle Bestandsaufnahme: Er erläutert zunächst die internationalen Rahmenvorgaben für die Achtung von Menschenrechten in der Lieferkette, bevor er ausführlich auf spezielle menschenrechtliche Berichtspflichten in ausländischen Rechtsordnungen und auf EU-Ebene eingeht. Anschließend werden die „Baustile“ der einzelnen Berichtspflichten analysiert und erste Erfahrungen mit ihnen ausgewertet.

Holger Fleischer, Jakob Hahn, Berichtspflichten über menschenrechtliche Standards in der Lieferkette – eine internationale Bestandsaufnahme, Recht der Internationalen Wirtschaft 2018, 397–405.

Jürgen Basedow, emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, trägt mit einem von ihm erarbeiten Resolutionsentwurf dazu bei, die Beziehung zwischen Internationalem Privatrecht und Menschenrechten zu klären:

Globalisierung, internationales Privatrecht und Menschenrechte

In grenzüberschreitenden Rechtsfällen gibt das Internationale Privatrecht Antwort auf folgende Fragestellungen: Welche nationalen Gerichte sind zuständig? Welches nationale Recht ist anzuwenden? In welchem Umfang werden Urteile in anderen Staaten anerkannt? Doch das Internationale Privatrecht ist – anders als der Name vermuten lässt – kein internationales Recht, sondern ein nationales: Jedes Land verfügt über sein eigenes Internationales Privatrecht, dessen Wirkung an den Landesgrenzen endet. Die mangelnde internationale Koordination führt zunehmend zu Reibungen zwischen den Rechtsordnungen, die sich für die einzelnen Bürger manchmal als Rechtsverluste darstellen. Sie berufen sich demgegenüber immer öfter auf Menschenrechte.

Verschiedene Länder, unterschiedliche rechtliche Bewertungen

Die diesem Forschungsprojekt zugrunde liegende Herausforderung lassen sich eindrücklich anhand der folgenden Beispiele demonstrieren:

Ein britischer Wissenschaftler, angestellt bei einer internationalen Forschungsorganisation mit Sitz in Darmstadt, streitet sich mit seinem Arbeitgeber über die richtige tarifliche Eingruppierung. Vor dem Arbeitsgericht beruft sich die Forschungsorganisation auf die Immunität, die sie nach ihrem Gründungsstatut im Sitzstaat Deutschland genießt. Aber wo soll er sonst klagen? Er wohnt in Darmstadt und hat keine Verbindungen mit anderen Ländern, die einem dortigen Gericht als Grundlage der Zuständigkeit genügen würden. Nach dem vergeblichen Marsch durch die Instanzen der deutschen Gerichtsbarkeit hilft nur noch eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dort folgert man aus dem Recht jedes Menschen auf Zugang zur Gerichtsbarkeit, dass die Regeln über die Immunität eng ausgelegt werden müssen und für arbeitsrechtliche Prozesse mit den eigenen Mitarbeitern nicht herangezogen werden dürfen.

Ein Ehepaar wünscht sich sehnlichst Kinder. Nach Jahren stellt sich seine dauerhafte Unfruchtbarkeit heraus. Zwar produziert der Mann Samenzellen und die Frau Eizellen, doch können die befruchteten Eizellen sich nicht in der Gebärmutter einnisten. Das Paar verwirft die Adoption eines fremden Kindes. Ein eigenes Kind ließe sich nur noch realisieren, wenn eine andere Frau bereit wäre, das Kind der beiden Wunscheltern auszutragen. Dies ist in vielen Ländern verboten, so auch in Deutschland und Frankreich. Nicht aber in einigen Bundesstaaten der USA, z.B. in Kalifornien, wo das Gesetz für den Abschluss entsprechender Leihmutter-Verträge ein besonderes Verfahren vorsieht. Wird das Verfahren eingehalten, werden die Wunscheltern im Geburtenregister als Eltern eingetragen. Das Paar reist nach Kalifornien und findet eine Leihmutter, die das Kind der Wunscheltern zur Welt bringt. Zurück in Deutschland wollen sie ihr Kind beim Standesamt registrieren lassen. Das Amt weigert sich, die Frau als Mutter des Kindes einzutragen; denn nach BGB ist Mutter diejenige Frau, die das Kind geboren hat. Deutsches Recht sei maßgeblich, weil alle Beteiligten Deutsche sind und das Kind in Deutschland wohnt. Auch hier bringt eine Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schließlich die Lösung: er sieht das Recht des Kindes auf Achtung seines Privatlebens als verletzt an, wenn seine in einem Land begründete Abstammungsidentität in einem Vertragsstaat der Menschenrechtskonvention nicht anerkannt wird.

Grenzen des Internationalen Privatrechts

Die geschilderten Fälle steht paradigmatisch für Probleme, die sich mit der Globalisierung der Lebensverhältnisse immer öfter ergeben. Traditionell werden die privaten Rechtsbeziehungen im grenzüberschreitenden Bereich durch das Internationale Privatrecht geregelt. Es bestimmt, welche nationalen Gerichte zuständig sind, welches nationale Recht sie anwenden und in welchem Umfang ihre Urteile dann in anderen Staaten anerkannt werden. Freilich variieren auch die Regeln des Internationalen Privatrechts oft von Land zu Land. Immer häufiger erweist sich diese mangelnde Koordination zwischen den Gesetzen der Staaten als ein Hindernis für die weitere Internationalisierung des Lebens. Wer in ein anderes Land zieht und nicht sicher sein kann, dass sein Personenstand dort der gleiche ist wie zu Hause, dass er die dortigen Gerichte anrufen kann und dass deren Urteile gleichsam mit ihm über die Grenzen wandern, wird es sich zweimal überlegen, ob er Chancen jenseits der Grenzen des eigenen Landes wahrnehmen will. Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts hat insofern mit der Entwicklung der Lebensverhältnisse, mit der Öffnung der Grenzen, der gewaltigen Zunahme von Handel und Kapitalverkehr sowie der massenhaften Migration nicht Schritt gehalten.

Menschenrechte als Notbremse

Verschiedene Vehikel bieten sich zur Überwindung dieses Defizits an. Die weltweite Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts durch völkerrechtliche Verträge hatte in der Vergangenheit nur begrenzten Erfolg. Das Vertrauen auf die rechtliche Vorsorge der beteiligten Privaten, die durch Vereinbarungen über Gerichtsstände und anwendbares Recht künftigen Problemen vorbeugen, stößt ebenfalls an Grenzen. In den letzten zwei Jahrzehnten dringt langsam das Vertrauen in Menschenrechte vor, die helfen können, die allergröbsten Koordinationsschwächen des Internationalen Privatrechts abzumildern. Die Menschenrechte bilden der Idee nach eine einheitliche rechtliche Mindestausstattung aller Menschen, unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz; wo immer das Internationale Privatrecht dazu führt, dass dieser Mindestschutz unterschritten wird, wirken sie wie eine Notbremse. So sehr dies in der Theorie überzeugt, praktisch kann sich der intendierte Schutz nur allmählich entwickeln. Denn die Menschenrechte sind in weichen, allgemeinen Formulierungen niedergelegt. Sie erfahren ihre konkrete Ausgestaltung erst im Laufe der Zeit durch punktuelle Entscheidungen internationaler Gerichtshöfe, dies oft in besonders gelagerten Fällen, so dass die Ableitung allgemeiner Grundsätze schwerfällt. Nicht zuletzt erschwert auch die Zusammensetzung der Gerichtshöfe aus Richtern verschiedener Nationalität und von unterschiedlicher kultureller Prägung die Herausbildung klarer Rechtsprechungslinien.

Wachsende Bedeutung des Forschungsgebiets „Menschenrechte“

Hier zeichnet sich indessen für die Zukunft ein Forschungsgebiet von wachsender Bedeutung ab. Erste Schritte in diese Richtung hat Jürgen Basedow, emeritierter Direktor am MPI für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, getan. Als Berichterstatter des Institut de droit international hat er eine erste Sichtung der internationalen Judikatur vorgenommen und zu einem Resolutionsentwurf verdichtet, der auf der Session von Hyderabad 2017 vorgetragen wurde und in zwei Jahren in Den Haag weiter diskutiert werden soll. Es ist der Zweck der Resolution und das Ziel des Institut de droit international, dass damit Impulse in die Wissenschaft aller Länder und in die Rechtsprechung gegeben werden.

Jürgen Basedow, Droits de l'homme et droit international privé – Human Rights and Private International Law, Annuaire de l'Institut de Droit International 2016, Editions A. Pedone, Paris 2017, 391–453.

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