
Tiere im Recht
Wohin weist der Diskurs über nichtmenschliche Rechtssubjekte?
Seit über 50 Jahren tritt die Tierrechtsbewegung für einen Wandel im Verhältnis zwischen Menschen und Tieren ein. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wurde ein Animal Turn ausgerufen. Inzwischen wächst auch das Interesse an der Frage, wie Tiere juristisch zu behandeln sind und ob ihnen eigene Rechte zustehen. „Während bisher Grundrechte für Tiere im Vordergrund standen, ist es gerade das Privatrecht, das auf eine lange Tradition der schrittweisen Emanzipation neuer Rechtssubjekte sowie ihrer Individualisierung und Autonomisierung blicken kann“, sagt Felix Aiwanger, wissenschaftlicher Referent am Institut.

„Unsere ambivalente Haltung gegenüber Tieren spiegelt sich im § 90a BGB, der nun schon seit 34 Jahren beteuert, dass Tiere keine Sachen sind, aber rechtlich Sachen gleichzustellen sind. Erstaunlicherweise konnte die Regelung, die ihren Ursprung im österreichischen ABGB hat, trotz ihres befremdlichen Gehalts Eingang in die Zivilgesetzbücher vieler europäischer Rechtsordnungen finden“, stellt Aiwanger fest. Heute ist Tierquälerei in 152 Ländern verboten, in 79 gibt es umfassendere Tierschutzgesetze.
Sache oder Rechtsperson?
Weltweit zeichnet sich ein Trend zur Subjektivierung nichtmenschlicher Tiere ab. Manche Rechtsordnungen erkennen mittlerweile Tiere als Rechtssubjekte oder Rechtspersonen an, wobei oft unklar ist, was das genau bedeutet. Die Zuerkennung von Rechten sagt noch nichts über deren Reichweite, Ausgestaltung und Durchsetzung aus. Auch Widersprüche prägen das Bild: Sieht man Haustiere als verletzliche Familienmitglieder an, stellt sich die Frage, weshalb nicht auch Wildtieren und industriell genutzten Tieren ein rechtlicher Status zukommen sollte, der sie als eigenständige Interessenträger ausweist.
Fragen zu nichtmenschlichen Rechtssubjekten gehen weit über das Thema Tierrechte hinaus. „Dass sich die rechtliche Dichotomie zwischen Sachen und Personen immer weiter auflöst, lässt sich auch an anderen Entwicklungen beobachten, etwa in den Bereichen Gentechnik oder künstliche Intelligenz“, erklärt Aiwanger, der an der Ausrichtung einer Konferenz zum Thema The Legal Distinction between Persons and Things: Changing Perspectives beteiligt ist, die im Juli 2025 an der Universität Antwerpen stattfindet.
Haben Tiere Rechte?
„Schon jetzt lässt sich in gewissem Sinne davon sprechen, dass Tiere Rechte haben, weil das geltende Tierschutzrecht uns Pflichten auferlegt, um die Interessen von Tieren zu schützen“, erklärt der Rechtswissenschaftler. Allerdings sind es nicht Tiere, von denen oder in deren Namen diese Pflichten durchgesetzt werden, sondern staatliche Behörden. Tierinteressen genießen dabei auch keinen vollwertigen Schutz. Die Bestimmungen zeichnen vielmehr vor, dass menschliche Interessen in der Regel überwiegen. Solchermaßen eingeschränkte Rechtspositionen werden auch als „einfache Rechte“ bezeichnet.
Bislang verlaufen die Diskurse zum geltenden Tierschutzrecht und zu potenziellen Tierrechten weitgehend in getrennten Bahnen. Aiwanger möchte diese einander annähern und geht der Frage nach, wie aus einfachen Rechten vollwertige subjektive Rechte werden können. Aktuell beschäftigt ihn, wo sich diese Entwicklung bereits andeutet. Er beleuchtet dies im Rahmen seiner Arbeit an einer Neukommentierung des deutschen Tierschutzgesetzes, dessen Reform dem Bruch der Ampelkoalition zum Opfer gefallen ist.
Können Tiere Rechte haben?
Ob Tiere Rechtssubjekte sein können, hängt davon ab, welche Eigenschaften mit diesem Status verbunden sind. „Rein rechtstechnisch lässt sich vieles als Rechtssubjekt konstruieren, da damit noch nicht notwendig eine Wertung verbunden ist“, sagt Aiwanger und differenziert: „Bedeutsam ist hier, auf welche außerrechtlichen Merkmale wie Interessen, Autonomie oder Fähigkeiten Rechtsordnungen zurückgreifen und historisch zurückgegriffen haben, um ihre Subjekte und Objekte zu unterscheiden. Daraus formt sich eine rechtliche Grammatik, die wiederum auf gesellschaftliche Anschauungen ausstrahlt. Hinzu kommt die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse anderer Disziplinen, etwa der Verhaltensbiologie oder der Bioethik.“
Um Rechte im Namen von Tieren durchzusetzen, bedarf es der Vertretung durch Menschen. Aiwanger setzt sich in seiner tierrechtlichen Forschung mit möglichen Repräsentationsmechanismen auseinander: Wie und von wem werden die Vertreter*innen eingesetzt? Welche Qualifikation müssen sie aufweisen? Braucht es eine Einzelperson, ein Kollektiv oder ein eigens eingerichtetes Gremium? Besteht die Vertretung allgemein oder nur für einen konkreten Vorgang oder einen bestimmten Aufgabenkreis? Außerdem untersucht er, wie sich vorhandene Modelle, zum Beispiel eine familienrechtliche Betreuung, Verbandsklagen oder staatliche Beauftragte, anhand dieser Kriterien weiterentwickeln lassen. Zusammen mit Expert*innen aus 31 europäischen Staaten geht er diesen Fragen in einem rechtsvergleichenden Netzwerk nach, das im Juli 2025 zu einer ersten gemeinsamen Konferenz am Institut zusammenkommt.
Sollen Tiere Rechte haben?
Anstelle der Konzeption von Tierrechten gibt es verschiedene Vorschläge für neue Kategorien: Quasi-Sachen, Quasi-Personen, „lebendes Eigentum“, eine „gemischt subjektiv-objektive Kategorie“, „fühlende Wesen“ und ähnliche Umschreibungen. Selbst im internationalen Privatrecht wird bereits diskutiert, wie mit einem Status von Tieren zwischen Person und Sache umzugehen ist. Es gibt aber auch eine Position, die es ablehnt, Tieren Rechte zuzuerkennen, da das Konzept von Rechten inhärent anthropozentrisch sei.
Bislang kaum beantwortet sind die Fragen, welche Art von Rechten Tiere haben könnten und inwieweit diese sich auf das Privatrecht ausdehnen ließen. Eine besondere Herausforderung sieht Aiwanger darin, wie sich in der Grammatik von Subjekt und Objekt abbilden lässt, dass den Interessen an der Tiernutzung nicht nur die Individualinteressen von Tieren gegenüberstehen, sondern auch Kollektivinteressen an menschlicher Gesundheit, Umwelt- und Klimaschutz. Um diesem Ansatz ein wissenschaftliches Forum zu geben, wurde 2023 das Journal of Animal Law, Ethics and One Health ins Leben gerufen, an dessen Redaktion er mitwirkt.
Werden Tiere Rechte haben?
„Ich glaube nicht, daß man die Tiere weiterhin so behandeln kann, wie wir das heute tun“, prophezeite Jacques Derrida 2006 in Woraus wird Morgen gemacht sein? und fuhr fort: „Die gesamten derzeitigen Debatten zeigen diesbezüglich eine wachsende Beunruhigung in der industriellen europäischen Gesellschaft an.“ Während inzwischen weitgehend Konsens darüber besteht, dass sich der Status von Tieren im Recht in absehbarer Zeit stark wandeln wird, ist die Richtung noch unklar.
„Ob es einmal vollwertige Rechte für Tiere geben wird, lässt sich möglicherweise daran ablesen, wie Diskurse darüber geführt werden und welche Parallelen es zu anderen Diskursen gibt, die auf gemeinsame Entwicklungen hindeuten. In diesem Sinne können Tierrechte als Emanzipationsdebatte gesehen werden“, sagt Aiwanger. Um den tierrechtlichen Diskurs zu erweitern, hat er die Vortragsreihe Hamburg Forum on Comparative Animal Law ins Leben gerufen, die als Hybridveranstaltung am Institut abgehalten wird. Renommierte Gäste aus dem In- und Ausland werfen darin vergleichende Blicke auf Stand, Wandel und Zukunft der rechtlichen Ausgestaltung des Mensch-Tier-Verhältnisses. Alle Interessierten sind eingeladen, sich auf dieser Plattform zu informieren und mitzudiskutieren.
Veranstaltungsreihe
Bildnachweise:
© Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering