Rechtliche Abstammung der von ISIL-Kämpfern gezeugten Kinder jesidischer Mütter
Auf der Suche nach kollisionsrechtlichen Lösungen
Ayad Yasin Husein Kokha ist Ordinarius für internationales Recht an der Salahaddin University-Erbil in der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Studien- und Forschungsaufenthalte haben ihn nach London, Kairo, an die Georg-August-Universität Göttingen sowie an die Central European University geführt. Derzeit forscht er als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am Institut und widmet sich der familienrechtlichen Situation von Menschen, die Opfer der Verbrechen des ISIL (Islamischer Staat im Irak und der Levante) geworden sind.

Zu Fragen des internationalen Privatrechts gelangte er über die strafrechtliche Verfolgung von Angehörigen des ISIL wegen Kernverbrechen des Völkerstrafrechts, einschließlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an den Jesid*innen im Nordirak. Motiviert durch ihre extremistische Interpretation der Scharia, verschleppte und versklavte der ISIL im Jahr 2014 Tausende jesidische Frauen und zwangsverheiratete sie. Die sexuelle Gewalt, der sie ausgesetzt waren, ist nach dem irakischen Strafgesetzbuch in Verbindung mit dem Anti-Terror-Gesetz Nr. 13 von 2005 ein Verbrechen. Für die Kinder, die von diesen Frauen in Folge von Vergewaltigungen zur Welt gebracht wurden, fehlt es aber an Regelungen. Weder das irakische Personenstandsgesetz Nr. 18 von 1959 noch das jesidische Personenstandssystem erlaubt es ihnen, sich standesamtlich registrieren zu lassen, um offizielle Papiere zu erwerben.
Grundsätzlich handelt es sich hier um ein kollisionsrechtliches Problem. Dies ist nur vor dem Hintergrund des Rechtspluralismus zu verstehen, der die irakischen und kurdischen Gesetze prägt. Der Irak, einschließlich der Autonomen Region Kurdistan, gewährt religiösen Minderheiten Autonomie im Familienrecht. Gemäß der irakischen Verfassung und dem Gesetz zum Schutz der Minderheiten in Kurdistan-Irak Nr. 5 von 2015 unterstehen Angehörige der jesidischen Minderheit dem jesidischen Personenstandssystem. Da die irakischen, kurdischen und jesidischen Behörden die erzwungenen Ehen zwischen ISIL-Kämpfern und den verschleppten jesidischen Frauen nicht anerkennen, lässt sich rechtlich keine Vaterschaft für die aus ihnen hervorgegangenen Kinder ableiten. Für die Frage der familienrechtlichen Abstammung entscheidend ist somit das Familienrecht der Religionsgemeinschaft ihrer Mütter.
Diese Kinder stehen einem dreifachen Hindernis gegenüber: Rechtliche, religiöse und soziale Hürden haben zu ihrer Ablehnung durch die jesidische Gemeinschaft geführt. Juristische Herausforderungen ergeben sich aus der irakischen Strafrechtsprechung, die die Verbrechen des ISIL an jesidischen Frauen offensichtlich als Sexualstraftaten, insbesondere als „Vergewaltigungsdelikte“, einordnet. Gleichzeitig schweigen die Gerichte zum Schicksal der Kinder, die aus diesen Verbrechen hervorgegangen sind. Das irakische Personenstandsrecht geht auf solche Fälle nicht direkt ein, sondern verweist auf die allgemeinen Bestimmungen des islamischen Fiqh (Rechtswissenschaft). Religiöse Hindernisse ergeben sich aus dem jesidischen Personenstandssystem, vertreten durch den Hohen Jesidischen Geistlichen Rat, der sich weigert, Kinder in die jesidische Gemeinschaft aufzunehmen, deren Väter dem ISIL angehören. Diese Entscheidung basiert auf der jesidischen religiösen Doktrin der Endogamie, nach der Kinder nicht-jesidischer Väter keine Jesid*innen sein können. Dies hat zur Folge, dass viele Frauen, die Kinder von ISIL-Kämpfern zur Welt gebracht haben, sich weigern, ihre Mutterschaft für diese anzuerkennen, da ihnen sonst die Rückkehr in ihre Gemeinschaft verwehrt bliebe.
Diese Situation hat zu einer humanitären Krise geführt, da es für unzählige Kinder keine Möglichkeit gibt, offizielle Papiere zu erwerben oder andere persönliche Rechte in Anspruch zu nehmen, solange ihre Abstammung ungeklärt ist. Bislang hat der irakische Staat keine angemessene und dauerhafte Lösung gefunden und keine entsprechenden Gesetze erlassen. Um konkrete Lösungsempfehlungen zu entwickeln, beleuchtet der international erfahrene Rechtswissenschaftler diese Problematik aus einer rechtsvergleichenden Perspektive.
Während weitere Entwicklungen in der komplexen Materie, die Kokha erforscht, in der Zukunft liegen, konnte die Institutsbibliothek dank seiner Hilfe schon jetzt ein neues Kapitel aufschlagen. Nachdem ihm aufgefallen war, dass der Sammlung Literatur zum kurdischen Recht in den Originalsprachen Kurmandschi und Sorani – beides offizielle kurdische Sprachen – fehlte, spendete er dem Institut eine Reihe von Werken in diesen Sprachen. Auf Kokhas Anregung hin wurde außerdem ein Grundstock an kurdischsprachigen Fachpublikationen erworben. Damit haben auch zwei neue Schriftsysteme in die Institutsbibliothek Einzug gehalten: Das auf dem lateinischen Alphabet basierende Hawar, das hauptsächlich für den Kurmandschi-Dialekt der Kurd*innen in Syrien und der Türkei verwendet wird. Und das kurdisch-arabische Alphabet – eine arabische Schrift, die persische Zeichen enthält und für den Sorani-Dialekt der Kurd*innen im Iran und in der Region Kurdistan im Irak verwendet wird. Durch diese Ergänzungen konnte eine verborgene Lücke im weltumspannenden Bestand der Bibliothek geschlossen werden.
Professor Ayad Yasin Husein Kokha ist von August 2024 bis Januar 2026 als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung zur Arbeit an seinem Forschungsprojekt “The Filiation of Children Born to ISIL Fighters under Private International Law” zu Gast am Institut. Sein Gastvortrag zum Thema “The Legal Status of Children Born to ISIL Fighters under Iraqi and Yazidi Family Laws”, gehalten am 4. Februar 2025, ist hier als Video abrufbar.
Bildnachweis: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering