Der Preis der Verführung

16. Februar 2024

Zwischen 1857 und 1970 gab es im englischen Recht eine Schadensersatzklage, die bei ausländischen Beobachtern größtes Befremden hervorrief. Die gesetzliche Schadensersatzklage wegen Ehebruchs eröffnete Ehemännern die Möglichkeit, die Geliebten ihrer Ehefrauen auf Geldersatz in Anspruch zu nehmen. Eike Götz Hosemann, ehemaliger wissenschaftlicher Referent am Institut, hat in seiner Dissertation die Geschichte dieser berüchtigten Klage untersucht. Die Arbeit ist jetzt in der Schriftenreihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ des Verlags Mohr Siebeck erschienen, die vom Institut herausgegeben wird.

Wie Hosemanns Untersuchung zeigt, provozierte die gesetzliche Schadensersatzklage wegen Ehebruchs nicht allein im kontinentaleuropäischen Ausland Kritik. Gerade auch in der englischen Öffentlichkeit nahmen viele an der Klage Anstoß. Dass Richter so sprachen, als ließe sich der Wert einer Ehefrau in Pfund und Shilling bemessen, empfanden etliche Angehörige der englischen Eliten als einen peinlichen Makel ihrer Rechtsordnung. Ausgehend von diesem Befund geht die Untersuchung den Fragen nach, weshalb das englische Parlament die Klage 1857 gleichwohl gesetzlich festschrieb – und weshalb es bis 1970 an ihr festhielt.

Die Untersuchung beleuchtet hierfür neben dem politischen Diskurs über die Schadensersatzklage auch deren gerichtliche Praxis. Wie die Untersuchung anhand von Gerichtsreportagen aus der Tageszeitung The Times zeigt, war die gerichtliche Praxis von handgreiflichen Widersprüchen durchzogen. So propagierten die Gerichte einerseits, dass die Klage ausschließlich dem Zweck diene, den Ehemann für erlittene materielle und ideelle Nachteile zu entschädigen. Andererseits kam der vom Ehestörer gezahlte Schadensersatz dem Kläger gar nicht immer zugute. Das Gericht konnte das Geld auch zur Absicherung des Unterhaltsbedarfs von Ehefrau und Kindern des Klägers bestimmen. Darüber hinaus wurde die Schadensersatzbemessung auch von Umständen beeinflusst, deren Berücksichtigung sich weder mit einem Kompensationsinteresse des Ehemanns noch mit Interessen von Frau und Kindern rechtfertigen ließ.

Gerade die Widersprüchlichkeit der Schadensersatzklage wegen Ehebruchs – so die zentrale These der Arbeit – war vermutlich ein Hauptgrund dafür, dass sie so lange in Geltung blieb. Die Klage konnte deshalb, je nach Umständen, gänzlich unterschiedliche gesellschaftliche Bedürfnisse bedienen: ein Bedürfnis nach Entschädigung des Ehemanns für erlittene materielle Schäden; ein Bedürfnis nach Bekräftigung der Verwerflichkeit der Ehestörung; und schließlich ein Bedürfnis danach, Ehefrauen nach der Scheidung nicht der Verelendung zu überlassen.

Eike Götz Hosemann studierte Rechtswissenschaft in Freiburg, Glasgow und an der Harvard Law School. Er war von 2012 bis 2018 am Institut tätig. Derzeit ist er Pressesprecher im Bundesministerium der Justiz. 2023 wurde er von der Bucerius Law School promoviert. Die Dissertation wurde betreut von Reinhard Zimmermann.


Eike Götz Hosemann, Der Preis der Verführung – Die gesetzliche Schadensersatzklage wegen Ehebruchs in England zwischen 1857 und 1970 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht, 518), Bucerius Law School Hamburg 2023, Mohr Siebeck, Tübingen 2024, Doktorarbeit, XVIII + 248 S.






Bildnachweis: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht