Recht als eine Disziplin, die nationale Grenzen überwindet

Verónica Ruiz Abou-Nigm im Gespräch

Private Law Gazette 1/2022 - Schon während ihres Jurastudiums war Verónica Ruiz Abou-Nigm begeistert von der Idee von Rechtswissenschaft als internationaler Disziplin. Dies setzte sie zunächst als junge Anwältin für Seerecht in Uruguay in die Praxis um. Kurz darauf schlug sie eine wissenschaftliche Laufbahn ein, die sie schließlich an die Universität Edinburgh führte, wo sie seit vielen Jahren internationales Privatrecht lehrt. Als Wissenschaftlerin war sie schon oft am Institut zu Gast. 2021/22 ist sie als Visiting Fellow nach Hamburg zurückgekehrt. Welche Themen beschäftigen sie aktuell?

Brücken, nicht nur zwischen Rechtssystemen, sondern auch zwischen verschiedenen Fachrichtungen zu schlagen, ist ein Motiv, das Verónica Ruiz Abou-Nigm schon seit Langem bewegt und antreibt. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit nimmt sie die Schnittstellen zwischen dem internationalen Privatrecht und anderen Disziplinen wie etwa dem Seerecht, der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit oder dem internationalen öffentlichen Recht ins Visier. Ihr Ansatz dabei ist, die rechtliche, kulturelle und methodische Vielfalt, die sich im internationalen Kontext zeigt, zu nutzen, um bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bessere Lösungen zu erzielen.

„Ich setze mich mit meiner Forschung für ein neues Paradigma für das internationale Privatrecht ein. Durch einen interkulturellen Ansatz könnte der Horizont dieser Disziplin erweitert und ihre Methoden könnten für rechtlich fundierte soziale Veränderung fruchtbar gemacht werden“, erklärt die Rechtswissenschaftlerin, die sich für einen Bewusstseinswandel engagiert. „Das internationale Privatrecht ist ein Kernelement transnationaler Regulierung und kann daher zur Bewältigung der größten Herausforderungen unserer Zeit einen wichtigen Beitrag leisten. In meiner Arbeit stelle ich Bezüge zwischen lokalen, einzelstaatlichen, regionalen und globalen Sphären her. Ich befürworte einen neuen, integrativen Austausch, der sowohl privat- als auch öffentlich-rechtliche Perspektiven einbezieht.“

Gemeinsam mit Institutsdirektor Ralf Michaels hat sie das Projekt „Private International Law for Laypeople“ (PILL) ins Leben gerufen. „Wir wollen die dem IPR zugrunde liegenden Denkweisen systematisch aufarbeiten und sie allgemein zugänglich machen. Selbst Jurist*innen betrachten das internationale Privatrecht oft als übermäßig technisch und komplex. In der globalisierten, multikulturellen Welt, in der wir heute leben, wäre es aber wichtig, dass Vertreter*innen aller juristischen Fachrichtungen lernen, auch zwischen den Rechtssystemen zu denken und zu argumentieren.“ Ein weiteres Arbeitsfeld, das sie eng mit dem Institut verbindet, ist das von ihr zusammen mit Ralf Michaels und dem ehemaligen Generalsekretär der Haager Konferenz, Hans van Loon, initiierte Projekt „The Private Side of Transforming our World – UN Sustainable Development Goals 2030 and the Role of Private International Law“, das Ende 2021 mit einer Publikation und einer globalen Konferenz wichtige Meilensteine gesetzt hat. „Wir hatten dazu in den vergangenen Monaten außergewöhnlich viel positive Resonanz und wurden von Institutionen rund um den Globus eingeladen, das Projekt vorzustellen.“

Ebenfalls im Licht nachhaltiger Entwicklung betrachtet Verónica Ruiz Abou-Nigm die globale Migrationspolitik aus der Perspektive des internationalen Privatrechts, zu der sie bereits viel geforscht und publiziert hat. „Die weltweiten Migrationsbewegungen sind von einzelnen Staaten allein nicht zu bewältigen. Dem internationalen Privatrecht kommt hier eine bedeutende Rolle zu. Deshalb ist es so wichtig, dass wir es in eine Richtung weiterentwickeln, die nicht nur rechtliche, sondern auch kulturelle Vielfalt integriert.“

Als Hochschullehrerin und überzeugte Vertreterin einer forschungsgeleiteten Lehre will Verónica Ruiz Abou-Nigm Studierende dazu anregen, sich in ihrem Jurastudium ungeachtet nationaler Grenzen rechtliches Wissen und Fähigkeiten anzueignen, mit denen sie auch zwischen verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtskulturen navigieren können. Für sie steht fest, dass sie Hamburg auch in Zukunft als Gastwissenschaftlerin besuchen wird. „Die Qualität des Austauschs, der hier stattfindet, ist anderswo nicht leicht zu finden. Es ist kein Zufall, dass sich die Forschungsagenda vieler Wissenschaftler*innen während ihrer Zeit an diesem Institut herauskristallisiert hat. Die besondere Magie des Hauses zeigt sich auch in einem dauerhaften Gefühl der Zugehörigkeit, das viele, die einmal hier geforscht haben, miteinander teilen.“


Dr. Verónica Ruiz Abou-Nigm ist Senior Lecturer für internationales Privatrecht an der Universität Edinburgh, wo sie 2003 einen LL. M. in Wirtschaftsrecht erwarb und 2008 mit einer Dissertation über den Arrest von Schiffen promovierte. Ihren Juris Doctor sowie ihren Masterabschluss in Rechtswissenschaft erlangte sie an der Katholischen Universität von Uruguay. Sie ist Mitglied der Asociación Americana de Derecho Internacional Privado (ASADIP), deren Vizepräsidentin sie von 2019 bis 2022 war. Außerdem ist sie Vizepräsidentin der European Law Faculties Association (ELFA) und assoziiertes Mitglied der International Academy of Comparative Law. Von Oktober 2021 bis März 2022 war sie Visiting Fellow am Institut.



Foto: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

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