Neues Kompetenzzentrum für die Anwendung ausländischen Rechts

Neues Kompetenzzentrum für die Anwendung ausländischen Rechts

Globalisierung, europäischer Binnenmarkt und Migration prägen heute ganz selbstverständlich die Rechtsbeziehungen von Menschen und Unternehmen. Mit der zunehmenden internationalen Verflechtung privater und geschäftlicher Angelegenheiten ist auch die Anzahl grenzüberschreitender Rechtsfälle gewachsen, die vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Dass deutsche Richter*innen dabei oft ausländisches Recht anzuwenden haben, ist außerhalb juristischer Fachkreise kaum bekannt. Woher nehmen sie die dafür notwendigen Kenntnisse aus weltweit rund 200 verschiedenen Rechtsordnungen?

Weisen privatrechtliche Streitigkeiten Berührungspunkte mit zwei oder mehr Rechtsordnungen auf, entscheidet das „internationale Privatrecht“, welche davon zur Anwendung kommt. Seine Regeln finden sich heute überwiegend in völkerrechtlichen Verträgen und Rechtsakten der Europäischen Union, zum Teil aber auch noch in den nationalen Rechten. Deutschen Richter*innen wird durch diese Vorschriften beispielsweise aufgegeben, die Wirksamkeit einer von Ausländer*innen geschlossenen Ehe nach dem Recht von deren Staatsangehörigkeit zu beurteilen, die Formwirksamkeit eines im Ausland errichteten Testaments anhand des Rechts des Errichtungsortes zu bestimmen oder die aus einem Verkehrsunfall herrührende Schadensersatzpflicht dem Recht des Unfallortes zu entnehmen. Zugleich verpflichtet das deutsche Prozessrecht die Gerichte, das anwendbare ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln – eine Aufgabe, die sie vielfach nicht allein bewältigen können.

„In den meisten Fällen werden mit der Ermittlung ausländischen Rechts Sachverständige beauftragt, und häufiger Ansprechpartner ist unser Institut“, sagt Jan Peter Schmidt. Er leitet das neu gegründete Kompetenzzentrum für die Anwendung ausländischen Rechts, in dem die bislang getrennt organisierte administrative und die inhaltliche Seite der Gutachtentätigkeit nun in einer Hand vereinigt sind. „Der Umgang mit fremden Rechtsquellen erfordert neben besonderen Sprachkenntnissen vor allem auch Wissen über die jeweilige ausländische Gesetzessystematik und Auslegungsmethodik. Unsere Wissenschaftler*innen sind entsprechend qualifiziert. Außerdem verfügt unsere Fachbibliothek über die notwendige Spezialliteratur.“

Lange Tradition des Wissenstransfers

Seit seiner Gründung im Jahr 1926 stellt das Institut seine aus einer breit gefächerten Grundlagenforschung gewonnene Expertise in den Dienst der Allgemeinheit. Die Erstellung von Gutachten über das ausländische Recht gehörte daher von Anfang an zu den Aufgaben der hier tätigen Wissenschaftler*innen. Der über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich aufgebaute Wissens- und Erfahrungsschatz hat inzwischen ein weltumspannendes Ausmaß erreicht. Neben Kompetenzzentren zum ostasiatischen, islamischen, russischen und lateinamerikanischen Recht unterhält das Institut diverse Länderreferate, die unter anderem den gesamten angelsächsischen Rechtskreis abdecken.
Ergänzt wird die im Haus verankerte Kompetenz von einem dichten internationalen Netzwerk. „Unsere Kontakte zu Wissenschaftler*innen, aber auch zu Vertreter*innen der juristischen Praxis auf der ganzen Welt, helfen uns beim Auffinden relevanter Gesetzestexte und Gerichtsurteile und ermöglichen eine Ergebniskontrolle“, sagt Schmidt. „Der deutsche Bundesgerichtshof verlangt in ständiger Rechtsprechung, dass das ausländische Recht genauso angewendet wird, wie ein Richter des betreffenden Landes es tun würde. Es geht nach einem oft zitierten Satz des deutschstämmigen Wissenschaftlers Werner Goldschmidt also darum, das gelebte ausländische Recht wie mit einer Kamera zu erfassen. Um diesem Maßstab gerecht zu werden, bedarf es meist deutlich mehr als einer Übersetzung der einschlägigen Rechtsnormen.“

Neue wissenschaftliche Impulse

Die Gutachtentätigkeit des Instituts ist in erster Linie eine Dienstleistung für die Justiz und keine primäre Aufgabe der Grundlagenforschung. Es werden daher nur Aufträge angenommen, die inhaltlich zu den Forschungsthemen im Haus passen. Aus der Arbeit am konkreten Praxisfall schöpfen die Rechtswissenschaftler*innen aber auch wertvolle Impulse. „Die Befassung mit konkreten Gerichtsfällen und einer ausländischen Gerichts- und Behördenpraxis kann den rechtsvergleichenden Blick auf eine Weise schärfen, wie es die rein wissenschaftliche Forschung nicht immer zu leisten mag“, hebt Schmidt die Vorzüge der Gutachtentätigkeit hervor. „Wir sind immer neugierig auf die Fragestellungen, die ausländisches Recht vor deutschen Gerichten aufwirft. So hat uns die Arbeit an dem einen oder anderen Gutachten auch schon spannendes Material für neue Forschungsprojekte geliefert.“

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