Feierliche Amtseinführung von Anne Röthel
Anne Röthel, ehemalige Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht an der Bucerius Law School, wurde zum 1. Januar 2024 ins Direktorium des Instituts berufen. Anlässlich ihrer Amtseinführung am 18. April 2024 stellte sie in ihrer Antrittsvorlesung ihre Forschungsagenda vor.
Mit „Begeisterung und Stolz“ hieß Holger Fleischer, geschäftsführender Direktor des Instituts, Anne Röthel im Direktorium willkommen. In seiner Begrüßung würdigte er die Rechtswissenschaftlerin unter anderem für ihre zahlreichen universitären Forschungsprojekte, etwa zur Autonomie im Recht, die sie an der Bucerius Law School erfolgreich durchgeführt hat. Er hob außerdem ihre souveräne Methodenkompetenz sowie ihre Fähigkeit hervor, unterschiedliche Rechtsbereiche zusammenzudenken. Anne Röthel als Direktorin zu gewinnen, sei ein Glücksgriff für das Institut wie für die Max-Planck-Gesellschaft.
Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung, brachte in ihrem Grußwort ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass Anne Röthel mit ihrer Entscheidung, an das Institut zu wechseln, dem Wissenschaftsstandort Hamburg die Treue gehalten hat. Außerdem unterstrich sie die historische Bedeutung der erstmaligen Berufung einer Direktorin in der fast hundertjährigen Geschichte des Instituts. Sie beschrieb Anne Röthel als wichtige Impulsgeberin und Mentorin und sprach mit Vorfreude auf viele von der Lust am Denken über Grenzen hinaus erfüllte Jahre.
In ihrer Antrittsvorlesung stellte Anne Röthel ihren Forschungsansatz für ihre Themenschwerpunkte zum Recht der Familie, der Person und des privaten Lebens dar. Über ihre Annäherung an die mit dieser Rechtsmaterie verbundenen Lebenswelten sagte sie: „Auf dem Feld der Familie begegnet Recht als unterscheidendes Recht, auf dem Feld der Person begegnet es als kategorisierendes Recht und auf dem Feld des privaten Lebens als abgrenzendes Recht.“ Ausgehend von diesem Raster stellte sie eine Reihe leitender Thesen vor.
Unter anderem beschrieb sie die internationalen Entwicklungen der Gegenwart im Familienrecht als Anerkennungsbewegung, die darauf dränge, dass zunehmend mehr und andere Formen familiären Lebens vom Recht anerkannt werden und die Unterscheidungslinie des Rechts sich nach außen verschiebt. Demgegenüber sei in einzelnen Rechtsordnungen auch eine Bewegung der Aberkennung zu beobachten, etwa in Form der Rekriminalisierung homosexueller Lebensweisen. Röthel betonte, dass jedes Verstehen der Gegenwart auf Annahmen über das Vorausliegende beruhe: „Ohne ernsthafte interdisziplinäre Reflexion besteht hier die Gefahr, Vorurteilen, Stereotypen und Klischees aufzusitzen.“ Um Einsichten über die im Familienrecht wirksamen Entwicklungskräfte zu gewinnen, sei es daher die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der historischen Familienforschung und der Familiensoziologie unverzichtbar.
Im Bereich des Rechts der Person erläuterte sie ihre Beobachtung, dass Recht hier vor allem kategorisierendes Recht sei, das Menschen nach Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Neuro-Typik oder Herkunft zuordne und daran Rechtsfolgen knüpfe. In Bezug auf die Kategorie Geschlecht ließe sich, so Röthel, ein Prozess der De-Kategorisierung beobachten. Sie trug ihre These vor, dass von hier aus auch andere Kategorien unter Rechtfertigungsdruck geraten würden, und wies darauf hin, dass etwa der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen oder der Entscheidung, Personen wegen einer Behinderung, einer psychischen Erkrankung oder Demenz ‚unter Betreuung‘ zu stellen, ebenfalls Zuordnungen aufgrund von Kategorien zugrunde lägen. Kategorisierendes Recht würde als Adultismus, Ableismus und wegen seiner impliziten Hierarchisierungen kritisiert, was auf völlig neue Regelungsstrukturen dränge.
Zum Themenfeld Recht des privaten Lebens stellte sie fest, dass sich Recht hier als abgrenzendes Recht zeigen würde. Das deutsche Recht stehe diesbezüglich vor einer Entwicklung, in der die Grenzen zwischen innen und außen, Familie und Gesellschaft, privat und öffentlich durchlässiger werden würden: „Ein großer Teil der rechtlichen Konzepte, die die Familie als besonderen, abgeschirmten Raum konstruierten und dadurch innerfamiliäre Machtverhältnisse konsolidierten und legitimierten, hat an Überzeugungskraft verloren.“ Insbesondere, so die Rechtswissenschaftlerin, gehe es ihr in ihrer Forschung auch darum, den Einfluss von Veränderungen in der Zusammensetzung nationalstaatlich gedachter Bevölkerungen, etwa durch Migration, auf die Rechtsvorstellungen zu privatem Leben und auf die Legitimierbarkeit familiärer Verrechtlichung aufzuklären.
Abschließende Betrachtungen widmete sie der Rechtsvergleichung, in der das Familienrecht wegen seiner besonderen Prägung durch Wertvorstellungen und Moralgebote lange Zeit wenig Beachtung gefunden hat. Anders gelagert sei dies beispielsweise in der vergleichenden Literaturwissenschaft, wo genau die Gründe, die das Familienrecht in der Privatrechtsvergleichung zunächst als unattraktiv erscheinen ließen, das Motiv des Vergleichens verkörperten. Der Seitenblick auf andere vergleichende Wissenschaften lehre aber noch mehr: „Die Rechtsvergleichung ist nicht die einzige Disziplin, die sich mit dem Verhältnis von Methode und Gegenstand herumschlägt, die ihre eurozentristische Tradition thematisiert, die sich fragt, welche Art von Elementen vergleichbar sind, ob es angemessen ist, den weltweiten Stoff nach Familien zu gliedern, ob es so etwas wie einen nationalen Stil gibt, wie sehr vergleichendes Erkennen in Konstruktionen und impliziten Agenden gefangen ist, ob das tiefere Anliegen eigentlich mehr das Aufdecken von Universalien oder das Verstehen historischer Rezeptions- und Transferprozesse sein sollte.“ Und mit Blick auf ihre eigene Forschungsagenda hielt sie fest: „Ich schätze die Rechtsvergleichung insbesondere dafür, was sie uns über unser eigenes Recht sichtbar machen kann. Und dafür dass sie Kontingenzerfahrungen ermöglicht. Dies wird besonders wertvoll sein, wenn es darum geht, das Recht nach vorne zu denken.“
Ein Video der Veranstaltung finden Sie hier zum Nachstreamen.
Bildnachweise: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering