Brasilianische Richter im Rampenlicht.
Medienpräsenz und Rechtskultur aus vergleichender Perspektive

Private Law Gazette 1/2019

„Der Richter spricht durch sein Urteil oder er spricht nicht“, heißt es in Deutschland. Während öffentliche Auftritte von deutschen Richterinnen und Richtern wenig erwünscht sind, scheuen manche ihrer brasilianischen Berufskollegen das Rampenlicht nicht. Sie treten im Fernsehen auf, geben Zeitungsinterviews und kommentieren laufende Verfahren. All dies ist hierzulande unvorstellbar. Dabei gelten in Deutschland und in Brasilien vergleichbare Standards richterlicher Neutralität und Unbestechlichkeit.

Als Lateinamerika-Referentin am Institut hat Dr. Denise Wiedemann die brasilianische wie die deutsche Rechtsordnung im Blick und interessiert sich dabei auch für den wissenschaftlichen Vergleich der Rechtskulturen. So hat sie sich auch der Frage gestellt, wie sich der in den beiden Ländern so unterschiedliche Umgang richterlicher Amtsträger mit den Medien erklären lässt.

Gilmar Mendes ist Richter am Supremo Tribunal Federal, dem Obersten Bundesgericht Brasiliens, das auch die Funktion eines Verfassungsgerichts ausübt. Er sagt beispielsweise, er finde es „hervorragend, dass ein Richter besser bekannt ist als ein Spieler der brasilianischen Fußballnationalmannschaft“. Sergio Moro, der als Ermittlungsrichter im Korruptionsskandal um das staatliche Ölunternehmen Petrobras zuständig war, bevor er vom designierten Präsidenten Jair Bolsonaro als Justizminister nominiert wurde, genießt in seiner Heimat zweifellos die Bekanntheit eines Nationalspielers. Verschiedene Zeitschriften haben ihn mehrmals zum ‚Brasilianer des Jahres‘ gekürt.

In Deutschland gilt die Justiz als unsichtbare Staatsgewalt. Öffentliche Meinungsäußerungen von Richterinnen und Richtern unterliegen dem gesetzlichen Mäßigungsgebot. Das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit soll nicht gefährdet werden. In Brasilien hingegen stehen sie, etwa durch die Fernsehübertragung aller Beratungen und Urteilsverkündungen am Supremo Tribunal Federal, besonders im Scheinwerferlicht.

Obwohl man auch in Brasilien die starke Medienpräsenz einzelner Richter zuweilen kritisch bewertet, wird im Allgemeinen der Nutzen für den Rechtsstaat betont: Schließlich stünden sie durch ihre Prominenz unter erhöhter Beobachtung, wodurch korrupten Entscheidungen vorgebeugt werden könne. Zudem soll sie der Druck der öffentlichen Aufmerksamkeit zur zügigen Urteilsfindung drängen. Das Fazit der Wissenschaftlerin: „Ein Beispiel dafür, wie zwei Rechtskulturen mit unterschiedlichen Auffassungen von Chance und Risiko dieselben rechtsstaatlichen Ziele verfolgen können.“

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