Forschen in Sicherheit und Freiheit

14. Juli 2023
Private Law Gazette 1/2023 – Wenn Verfolgung, Krieg oder Katastrophen das Leben unsicher machen, ist an die Fortsetzung wissenschaftlicher Arbeit oft kaum oder gar nicht mehr zu denken. Ein großes Anliegen des Instituts ist es, in Not geratenen Wissenschaftler*innen aus dem Bereich des Privatrechts die Möglichkeit zu bieten, ihrer Forschung weiter nachzugehen. So hat das Institut in der Vergangenheit Stipendien-Programme für Wissenschaftler*innen ins Leben gerufen, die durch den Krieg in der Ukraine oder durch die verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien in Not geraten waren. Außerdem kooperiert das Institut mit dem Institute of International Education’s Scholar Rescue Fund (IIE-SRF). So sind am Institut mehrere Forschende tätig, in deren Herkunftsländern besondere Gefahrenlagen herrschen. Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiter*innen oder werden durch Stipendien und Fellowships unterstützt. Drei von ihnen schildern hier ihre aktuellen Perspektiven.



Prof. Dr. Iryna Dikovska ist Professorin für Zivilrecht an der Taras Shevchenko National University in Kiew. Sie war bereits mehrmals als Gastwissenschaftlerin am Institut und war der erste Fellow in unserem Programm für kriegsbetroffene Wissenschaftler*innen. Sie ist zudem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Obersten Gerichtshofs der Ukraine und arbeitet gerade an einem Gutachten zu einem aktuellen Fall. Ihre Lehrtätigkeit setzt sie von Hamburg aus online fort und steht so mit ihren Studierenden über Vorlesungen, Seminare und Sprechstunden in engem Kontakt. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich aktuell mit der Frage, wie Krieg und dadurch ausgelöste Vorgänge, wie erzwungene Migration oder Sanktionen, sich auf privatrechtliche Beziehungen auswirken. Außerdem arbeitet sie an einem Lehrbuch über internationales Privatrecht für ukrainische Studierende.

„In der Institutsbibliothek finde ich alles, was ich brauche. So kann ich zum Beispiel die vertragsrechtlichen Prinzipien der Ukraine mit jenen Deutschlands und der Schweiz vergleichen und auf Basis der Erfahrungen verschiedener Länder Lösungsvorschläge für Fragen erarbeiten, die sich im ukrainischen Recht stellen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Für meine Publikationen zum internationalen Privatrecht, sei es für die Wissenschaft oder die Lehre, kann ich rechtsvergleichend zum EU-Recht arbeiten, was mit Blick auf eine zukünftige Mitgliedschaft der Ukraine in der EU natürlich besonders wichtig ist.“

Ein großes Plus für Iryna Dikovska: „Mein längerer Aufenthalt in Hamburg hat mir die Möglichkeit eröffnet, Deutsch zu lernen.“ Sie ist überdies sehr froh über die Unterstützung für die Ukraine, die viele Menschen hier leisten und an der sie sich auch selbst beteiligt: „Hier gibt es Organisationen, die verschiedene Arten von Hilfe realisieren. Jede und jeder kann sich einbringen – sowohl finanziell als auch mit persönlichem Engagement. Zum Beispiel kann man Tarnnetze für das Militär weben oder Kerzen herstellen, die im Schützengraben gebraucht werden.“


Dr. Mohammad Taqi Maghrebi ist seit 2023 wissenschaftlicher Referent in der Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel“. Nach seiner Promotion an der Universität Teheran war er Professor an der Gharjistan Universität in Kabul sowie Head of Legal Affairs im Büro des Zweiten Vizepräsidenten von Afghanistan. Bevor er 2021 als Gastwissenschaftler ans Institut kam, arbeitete er in Kabul außerdem als Berater der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Im Rahmen eines Projekts der Forschungsgruppe beschäftigt er sich derzeit mit dem afghanischen Familienrecht mit Schwerpunkt auf dem Eherecht.

„In Hamburg genieße ich Sicherheit und profitiere davon, dass ich hier Zugang zu wertvollen Quellen für meine Forschung habe. Das sind die besten Voraussetzungen, die sich ein Wissenschaftler für seine Tätigkeit wünschen kann”, sagt Maghrebi. „Nachdem in Afghanistan alle politischen und sozialen Strukturen zusammengebrochen und alle Errungenschaften der Vergangenheit sowie alle Hoffnungen für die Zukunft zerstört worden waren, wurde meine Familie auseinandergerissen und eine ungewisse Zukunft lag vor mir. Ich stand zunächst unter Schock, und es fiel mir eine Zeit lang schwer, mich auf wissenschaftliche Themen zu konzentrieren. Inzwischen entdecke ich neue Forschungsthemen und bin dabei, mir durch das Erlernen der deutschen Sprache ein Fenster zur Kultur und zum Wissen dieser Weltregion zu schaffen.”

Viele seiner Freunde und Kollegen haben Afghanistan ebenfalls verlassen, einige sind noch im Land. Er verfolgt die Ereignisse dort aufmerksam und steht mit beiden Gruppen im Kontakt. „Fast alle Regierungsangestellten, die nicht der Ethnie und Religion der Taliban angehören, wurden aus ihren Ämtern entlassen. Die meisten Richter und Staatsanwälte wurden ihres Amtes enthoben und durch Absolventen religiöser Schulen ersetzt, die keine juristische Ausbildung haben. Frauen sind fast vollständig von Bildung und Beschäftigung ausgeschlossen. Individuelle Handlungsspielräume sind insgesamt sehr begrenzt“, beschreibt er die Situation. Einige Mitglieder seiner Familie konnte er nach Hamburg holen. „Eine Person ist leider bisher an deutschen Verwaltungshürden gescheitert.“


Dr. Gebreyesus Abegaz Yimer, LL.M. (Rotterdam), war außerordentlicher Professor an der Mekelle Universität, Äthiopen, und ist seit Januar 2023 wissenschaftlicher Referent am Institut. In seiner Heimat lehrte er Gewohnheitsrecht, traditionelle Streitbeilegungsmechanismen, Rechtsgeschichte und Privatrecht. Zudem leitete er das Büro für Forschung und gemeinnützige Arbeit des College of Law and Governance an der Mekelle Universität und koordinierte diverse Projekte zum Aufbau neuer Forschungskapazitäten. Er ist Fellow des IIE Scholar Rescue Funds. Sein Forschungsschwerpunkt am Institut ist die Finanzregulierung in Afrika. Er untersucht Rotating Saving and Credit Associations (ROSCAs), Mikrofinanz-Institutionen, Spar- und Kreditgenossenschaften sowie nachhaltiges Finanzwesen. Außerdem beschäftigt er sich mit der Rechtstheorie in Afrika. „Mein Aufenthalt in Hamburg ermöglicht es mir, meine Forschung zu vertiefen und den Umfang meiner wissenschaftlichen Arbeit auszubauen, etwa indem ich mich mit rechtsvergleichenden Analysen befasse. Das Institut verfügt über eine exzellente Materialsammlung, die es mir ermöglicht, auf dem neuesten Stand der Forschung zu arbeiten“, sagt der Wissenschaftler, der an der Erasmus-Universität Rotterdam studiert und an der Katholischen Universität Löwen promoviert hat, bevor er ans Institut kam. Er beteiligt sich aktiv an den Workshops und Konferenzen des Instituts, zuletzt mit einem Vortrag zum Thema „Die Pluralität der Normen in Äthiopien: Courts in Defence of Pluralism“.

„Das Umfeld im Institut ist sehr freundlich und einladend. Mein Aufenthalt in Hamburg ist jedoch nicht frei von Herausforderungen. Es ist mir noch nicht gelungen, eine Wohnung für mich und meine Familie zu finden. So konnten meine Frau und meine Kinder mir bisher nicht aus Belgien hierher folgen. Für mein Land und für Afrika wünsche ich mir Frieden und Freiheit.“  






Bildnachweise:

© Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht