Aktuelle Entwicklungen im japanischen Recht
Die jährliche Veranstaltungsreihe des Instituts zu aktuellen Entwicklungen im japanischen Recht fand in diesem Jahr am 20. März unter der erneuten Leitung von Harald Baum ihre Fortsetzung. Themen des halbtägigen Symposiums waren die Modernisierung des Rechts der Zahlungssysteme in Japan, die Auswirkungen der jüngsten Reform des Versicherungsgewerberechts auf die japanische Versicherungspraxis, neue Entwicklungen in ausgewählten asiatischen Familienrechten aus der Perspektive des japanischen Rechts und schließlich die Rolle spezialisierter Spruchkörper in Deutschland und Japan.
Aktuelle Reformen im Recht der Zahlungssysteme Japans
Als Erstes gab Professor Souichirou Kozuka (Gakushūin University, Tōkyō) einen profunden Überblick über die aktuellen Reformen im Recht der Zahlungssysteme Japans. Im Jahr 2016 wurden neue Regelungen zum Gebrauch virtueller Währungen wie Bitcoins verabschiedet, um deren Missbrauch zum Zwecke der Geldwäsche, Finanzierung terroristischer Aktivitäten etc. zu verhindern. Derartige autonom gesteuerte Währungen unterliegen keiner Kontrolle durch eine nationale Regierung oder Zentralbank. Künftig muss jeder, der ein solches System in Japan anbietet, sich bei der japanischen Finanzmarktaufsicht registrieren lassen. Die neuen gesetzlichen Regelungen haben indes privatrechtliche Fragen ausgeklammert und überlassen deren Klärung den Gerichten. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 verneinte das Distriktgericht Tōkyō, dass Bitcoins „Sachen“ im Sinne des Zivilgesetzes seien, da diese lediglich „digital“ und nicht dinglich existierten. Entsprechend beständen an diesen auch keine Eigentumsrechte, welche zur Aussonderung im Konkurs eines Handelsplatzes berechtigten (Mt. Gox Exchange).
Novellierung des Abzahlungsgesetzes
Ferner stellte der Referent die Novellierung des Abzahlungsgesetzes im Jahr 2016 vor, welche die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von Kreditkarten reformieren. Der japanische Gesetzgeber versucht auf diese Weise das Problem zu lösen, dass sich Verbraucher, die im Internet Geschäfte getätigt haben, bei betrügerischem Verhalten ihrer Geschäftspartner zwecks Abhilfe an die Kreditkartenunternehmen wenden, die jedoch gar nicht Vertragspartner sind. Künftig ist ein zwischen das Kreditkartenunternehmen und die angeschlossenen Verkäufer eingeschalteter Dritter als „gatekeeper“ verantwortlich für die Überwachung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Transaktionen. Ein weiteres Ziel der Reform ist es, den Übergang Japans von einer an Barzahlungen orientierten Gesellschaft zu einer „cashless society“ bis zum Jahr 2020 zu erreichen, in dem die Olympischen Spiele in Tōkyō ausgerichtet werden.
Auswirkungen der jüngsten Reform des Versicherungsgewerberechts
Der zweite Vortrag von Professor Satoshi Nakaide (Waseda Universität, Tōkyō) analysierte die Auswirkungen der jüngsten Reform des Versicherungsgewerberechts auf die Versicherungspraxis in Japan. Nachdem im Jahr 2008 ein neues Versicherungsgesetz geschaffen wurde, das Versicherungsverträge regelt, folgte 2014 die erste große Novellierung des Versicherungsgewerbegesetzes seit 75 Jahren. Im Kern der Novelle steht ein neu eingeführter umfassender Pflichtenkatalog für die Anbieter von Versicherungsprodukten. Ziel ist es, den Erwerbern von Versicherungspolicen ausreichende Information über das Produkt vor dessen Erwerb zur Verfügung zu stellen. Dabei sind die Erwartungen des Kunden zu erfragen und es ist sicherzustellen, dass das zu veräußernde Produkt mit diesen Erwartungen übereinstimmt. Zudem müssen Versicherungsvertreter und -makler nunmehr Compliance-Einrichtungen schaffen, mittels derer gewährleistet wird, dass die Werbung von Kunden in angemessener Art und Weise erfolgt. Sämtliche Vorgänge sind zu dokumentieren. Befürworter der Neuregelung weisen auf den erhöhten Schutz der Versicherungsnehmer hin, Kritiker monieren die Gefahr, dass die erhöhten Kosten zu höheren Prämien führen könnten und die Kreativität der Anbieter in der Produktgestaltung behindert werden könnte.
Entwicklungen im Familienrecht
Das dritte Referat von Professor Yuko Nishitani (Universität Kyōto) gab einen umfassenden Überblick über neue Entwicklungen in ausgewählten asiatischen Familienrechten und setzte dabei das japanische Recht in einen rechtsvergleichenden Kontext. Anders als in Europa hat sich in Japan, Korea, Taiwan und anderen ostasiatischen Staaten bislang kein Schutz für gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Form einer Registrierung oder Eheschließung etablieren können. Vielmehr knüpfen alle familienrechtlichen Institutionen nach wie vor an die heterosexuelle Ehe an. Bezüglich des Ehenamens zeigt sich ein unterschiedliches Bild. Während in Japan 98 Prozent der verheirateten Paare den Namen des Ehemannes als (alleinigen) Familiennamen wählen, ist es in anderen asiatischen Ländern, die in konfuzianischer Tradition stehen, üblich, dass beide Ehepartner ihren jeweiligen Familiennamen weiterführen.
Die einvernehmliche Scheidung ist vor allem in Japan und Südkorea anerkannt. Während in Japan lediglich eine Erklärung gegenüber dem Familienregister ausreicht, was die Gefahr von Missbräuchen mit sich bringt, ist in Korea zusätzlich eine Urkunde des Familiengerichtes erforderlich, in welcher die Zustimmung des anderen Ehepartners und Regelungen bezüglich der Scheidungsfolgen aufzunehmen sind. In Hong Kong ist demgegenüber eine Scheidung nur durch Gerichtsurteil möglich und in den Philippinen überhaupt nicht; dort besteht lediglich die Möglichkeit eines rechtlichen Getrenntlebens. Bei gemischtnationalen Ehen werfen die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten zum Teil schwierige kollisionsrechtliche Fragen auf.
Rolle spezialisierter Spruchkörper in Deutschland und Japan
Den abschließenden Vortrag hielt Yoshinori Shimamoto (Richter in Kyōto, z.Z. Doktorand an der Universität Hamburg) zu der Rolle spezialisierter Spruchkörper in Deutschland und deren funktionalen Entsprechungen im Recht Japans. Fortschritte in Wissenschaft und Technik stellen immer höhere Anforderungen an die Fachkenntnisse von Richtern zur Lösung komplexer Sachverhalte. Eine Möglichkeit zur Unterstützung von Richtern ist der Einsatz von Sachverständigen. Eine weitere Möglichkeit liegt in der Beteiligung von Experten an Gerichtsverfahren durch die Einrichtung von Fachgerichten. Dies stößt in Japan jedoch auf Schwierigkeiten, weil das Land seit 1945, anders als Deutschland mit seinen verschiedenen fachlichen Gerichtsbarkeiten, über eine einheitliche Gerichtsbarkeit verfügt. Eine Ausnahme ist das 2005 errichtete Obergericht für Geistiges Eigentum. An diesem Gericht werden die Berufsrichter von Mitarbeitern mit Fachkenntnissen unterstützt, bei denen es sich aber nicht um technisch vorgebildete Mitglieder des Gerichts handelt – wie dies etwa am deutschen Bundespatentgericht der Fall ist, bei dem über die Hälfte der Richter eigene Fachkenntnisse besitzen.
Nichtjuristen werden in Japan lediglich ausnahmsweise neben Berufsrichtern eingesetzt, so beispielsweise seit 2009 als Laienrichter in Strafsachen. Kammern für Handelssachen, die mit fachkundigen Schöffen besetzt sind, gibt es in Japan jedoch nicht. Als funktionaler Ersatz kommen zwei Arten sachkundiger Berater an japanischen Gerichten zum Einsatz, zum einen saiban-sho chōsa-kan (Untersuchungsbeamte) und senmon i’in (Fachberater). Am Obersten Gerichtshof werden jedoch, ähnlich wie beim deutschen Bundesverfassungsgericht, neben Berufsrichtern regelmäßig auch andere Personen, häufig Rechtswissenschaftler, als Richter ernannt.
Die Referate wurden in der ZJapanR / J.Japan.L. 44 (2017) veröffentlicht.