Mehr Freiheit wagen

Symposium anlässlich der Emeritierung von Jürgen Basedow

29. September 2017

Am 29. und 30. September 2017 ist Jürgen Basedow mit dem zweitägigen Symposium „Mehr Freiheit wagen“ als aktiver Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht verabschiedet worden. Das Symposium, das weit über 100 Gäste besuchten, wurde maßgeblich von den Schülerinnen und Schülern Basedows organisiert.

„Mehr Freiheit wagen“, so der Titel des Symposiums, verwies jedoch nicht auf den kommenden Lebensabschnitt des Geehrten (auch wenn einige Redner die Doppeldeutigkeit durchaus aufgriffen), sondern auf einen gleichnamigen, vor fünfzehn Jahren erschienenen Band Basedows mit dem Untertitel „über Deregulierung und Wettbewerb“. Die in diesem Band versammelten Schriften zeigen, wie weitgefächert die Interessen des Geehrten waren und sind. Sie reichen von verschiedenen Aspekten des Verkehrs- und Handelsrechts über allgemeine Fragen zum Recht der Versicherungen und Finanzdienstleistungen. Damit war aus zweierlei Gründen ein sehr passender Rahmen für das Symposium gefunden: Einerseits nahm der Titel etwas vorweg, das alle Redner betonten: das Interesse Basedows an ganz unterschiedlichen Rechtsbereichen und rechtspolitischen Diskussionen, wovon nicht zuletzt seine akademischen Schüler in ganz besonderem Maße profitiert hätten. Andererseits öffnete sich das Thema den Vorträgen aller Schüler, deren Forschungsschwerpunkte die Vielseitigkeit der Interessen ihres akademischen Lehrers widerspiegeln. Das Thema „Mehr Freiheit wagen“ wurde im wahrsten Sinne von A bis Z durchmessen: vom Abstammungsrecht bis zur Zwangsvollstreckung.

Grußwort und Eröffnungsvortrag

Zunächst kamen jedoch zwei Redner zu Wort, die keine Schüler Basedows sind: Reinhard Zimmermann, ebenfalls Direktor des Instituts, und Vassilios Skouris, der ehemalige Präsident des Europäischen Gerichtshofes. Zimmermann begann sein Grußwort mit einem Verweis auf die römisch-rechtliche Tugend „libertas“, die Freiheit. Das Freiheitsdenken der Römer habe zu einem individualistischen Privatrecht geführt – ganz im Sinne des Geehrten.

Vor allem aber würdigte Zimmermann einen Freund und Kollegen: Basedow sei dem Institut lange verbunden gewesen, zunächst von 1974 bis 1987 und dann als Direktor von 1997 bis 2017. Bereits zu Studienzeiten habe sich sein ausgeprägtes internationales Interesse gezeigt. Hier konnte Zimmermann aus dem Briefwechsel mit dem weltreisenden Basedow zitieren, der außer in Hamburg in Genf, Paris, Den Haag und Harvard studiert hat und später zahlreiche Gastprofessuren im Ausland innehatte. Damit war ein zweiter Punkt angesprochen, der sich auch durch zahlreiche weitere Beiträge zog: Basedow war nicht nur an ganz unterschiedlichen Themen interessiert, sondern auch an ganz unterschiedlichen Rechtsordnungen. Er habe, so Zimmermann, die Rechtsvergleichung „mit der juristischen Muttermilch aufgesogen; sie wurde ihm zu einer Berufung“. Diese Beschreibung lässt sich auch in der Titelgeschichte einer Sonderausgabe der Institutszeitung nachlesen, die zu diesem besonderen Anlass als „Basedow Law Gazette 2017“ erschien und dem so Geehrten durch Zimmermann übergeben wurde. Darin kommen vor allem die akademischen Schülerinnen und Schüler mit kleinen Texten und Anekdoten zu Wort: Man erfährt einiges über E-Mails und Klebezettel (prägnant!), über vergangene Sommerakademien (überlebt!) und über Besuche in fernen Ländern (Qom!). Vor allem aber zeigen die Texte, dass die Schüler Basedows ihrem akademischen Lehrer in großer Dankbarkeit verbunden sind.

In seinem Eröffnungsvortrag „Das Prinzip der Vertragsfreiheit aus der Sicht eines Außenseiters“ näherte sich Vassilos Skouris einer privatrechtlichen Frage aus öffentlich-rechtlicher Sicht an. Er fragte nach dem Verhältnis der Vertragsfreiheit zu ihren Einschränkungen und beleuchtete als ehemaliger Richter des europäischen Gerichtshofs unionsrechtliche Aspekte.

15 freiheitliche Antworten auf Gegenwartsfragen

Mit den folgenden fünfzehn Vorträgen versuchten die Schüler Basedows, freiheitliche Antworten auf die von ihnen behandelten Gegenwartsfragen zu finden, und gingen damit wahrscheinlich ganz im Sinne ihres Lehrers vor.

Mehr Freiheit im Vertrags- und im Versicherungsrecht
Giesela Rühl (Jena) sprach unter dem Titel „Mehr Freiheit wagen im Vertragsrecht“ über das als zu streng empfundene deutsche Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen. Sie plädierte dafür, Unternehmen bei Geschäften untereinander mehr Freiräume zu lassen. Rechtsvergleichende Erkenntnisse ließen sich nutzen, um eine zukünftige, freiheitlichere Regelung am schweizerischen Recht zu orientieren. Auch im Versicherungsrecht lud Jan Lüttringhaus (MPI Hamburg) ein, mehr Freiheit zu wagen, wenn es um neue, datenbasierte Versicherungstarife gehe, die die Versicherungsprämie – zumindest theoretisch – ganz genau und immer wieder neu auf den Lebensstil des jeweiligen Versicherungsnehmers abstimmen. Solche Tarife seien grundsätzlich zulässig. Ihre Risiken müssten aber durch das Recht eingehegt werden, das hier – letztlich freiheitssichernde – Standards setzen müsse.

Mehr Freiheit im Familienrecht
Jens Scherpe (Cambridge) und Konrad Duden (MPI Hamburg) berichteten, dass die sozialen Realitäten der modernen Gesellschaft und die fortschreitende Entwicklung der Reproduktionsmedizin zu immer mehr Freiheiten im Familien- bzw. Abstammungsrecht geführt haben und führen werden. Daraus folgte für Scherpe, dass grundsätzlich infrage gestellt sei, ob das Geschlecht als binäre rechtliche Kategorie noch benötigt werde. Ausreichend sei doch, dass „Personen“ heiraten könnten und dass Kinder „Elternteile“ hätten. Damit werde nur die rechtliche Zuschreibung an moderne Realitäten angepasst, soziale Kategorien seien nicht angesprochen. Es lasse sich also, einmal mehr dem Titel des Symposiums entsprechend, „Mehr Freiheit wagen im Familienrecht“. Duden nahm ein notwendiges Gegenstück familienrechtlicher Freiheit in den Blick, die familiäre Verantwortung. Er beschrieb verschiedene Verantwortungsdefizite des geltenden Rechts, wenn dieses nichttraditionelle Familiengründungen zu erfassen versuche. Der Gesetzgeber agiere bei diesem kontroversen Thema zu zurückhaltend. Erforderlich sei eine umfassende Regelung, die keine Familienform ausschließe. Dudens Fazit: „Wer Freiheit wagt, muss Verantwortung tragen!“

Mehr Freiheit im Arbeits- und im Wirtschaftsrecht
Eine vergleichbare Idee formulierte Jan Kleinheisterkamp (LSE) im wirtschaftsrechtlichen Teil des Symposiums. Ließe sich das System des internationalen Investitionsschutzes nicht mit Menschenrechtsgarantien verbinden? Ließe sich ein System denken, das nicht nur Unternehmen, sondern auch Individuen Klagerechte gewährt? In einem solchen System hielten sich Berechtigungen und Verpflichtungen multinationaler Konzerne aufgrund internationaler Investitionsschutzabkommen die Waage.

Der arbeits- und wirtschaftsrechtliche Teil des Symposiums hatte zuvor mit Axel Metzgers (Humboldt Universität) Vortrag „Mehr Freiheit wagen auf dem Markt der Daten“ begonnen. Faktisch, so Metzger, gebe es Märkte für Daten. Beispielsweise in den sozialen Netzwerken handelten Verbraucher täglich mit ihren Daten. Wie jeder Markt brauche aber auch dieser Markt eine Ordnung. Teilweise werde diese durch das Datenschutzrecht, teilweise aber auch durch Marktrecht, durch das Wettbewerbsrecht hergestellt. Anhand verschiedener Beispielsfälle erklärte Metzger, dass ein sinnvolles Verhältnis zwischen dem Markt und seiner Ordnung von den Gegebenheiten des jeweiligen Markts abhinge. Auch Matteo Fornasiers (MPI Hamburg) arbeitsrechtlicher Vortrag zeigte, dass die Grenzen zwischen der (Vertrags-)Freiheit und dem zwingendem Recht ganz unterschiedlich gezogen werden können, je nachdem welche Fälle betroffen sind. So hieße „Mehr Freiheit wagen im Arbeitsrecht“ nicht, den einzelnen Arbeitnehmer ungeschützt der „Vertragsfreiheit“ seines Arbeitgebers auszusetzen. Bei Kollektivarbeitsverträgen und im Rahmen der Gesetzgebung sei jedoch Raum für mehr Freiheit in einer modernen Arbeits(rechts)welt. Duygu Damar (MPI Hamburg) befasste sich mit einem „Stiefkind der deutschen Rechtswissenschaft“, für das sich Basedow jedoch stets interessiert habe: das (See-)Transportrecht. Sie zeichnete die historische und AGB-rechtliche Entwicklung von „identity of carrier“-Klauseln nach, die sich in Konnossementen finden. Deutsche Gerichte hätten es hier versäumt, eine angemessene, wirtschaftlich interessengerechte Lösung zu finden; wie schon in Rühls Vortrag deutlich geworden, sei das deutsche AGB-Recht zu streng.

Mehr Freiheit im Kollisions- und im Verfahrensrecht
Der zweite Tag des Symposiums begann mit gleich zwei Vorträgen zum Thema: „Mehr Freiheit wagen im Kollisionsrecht“. Zunächst setzte sich Ralf Michaels (Duke University) mit dem nicht ganz spannungsfreien Verhältnis zwischen Religions- und Rechtswahlfreiheit auseinander. Das religiöse Recht werde verstanden als etwas, das einer bestimmten Form der Freiheit entgegenstehe. Michaels plädierte aber dafür, zu unterscheiden: Soweit es um religiöse Identitätsfragen ginge, sei es sinnvoll, die Wahl religiösen Rechts zuzulassen. In anderen Bereichen gelten die genannten Vorbehalte: Religiöses Recht solle nur insoweit wählbar sein, als es allen Bürgern offenstehe, also nicht um seiner Religiosität willen, sondern als Normsystem gewählt würde. Hannes Rösler (Siegen) beschäftigte sich mit so genannten „floating clauses“. Mit ihnen wählen die Parteien nicht im Voraus ein konkretes Recht. Man einigt sich lediglich auf einen Modus, der das anwendbare Recht bestimmt; z.B. auf eine Klausel, die das Recht des jeweils angerufenen Gerichts wählt. Rösler legte dar, dass solche Klauseln nicht per se unwirksam seien, sondern zeichnete ein differenziertes Bild: Im vertraglichen und außervertraglichen Schuldrecht seien „floating clauses“ denkbar, im Familien- und Erbrecht jedoch höchstens in ganz eng umrissenen Ausnahmefällen.

Dass sich Freiheit sogar dann wagen lässt, wenn dies zunächst begrifflich ausgeschlossen scheint, zeigte Christian Heinze (Hannover): „Mehr Freiheit wagen im Zwangsvollstreckungsrecht“. Es solle den Parteien in mehr Fällen als derzeit freistehen, die (staatliche) Zwangsvollstreckung durch eine privatautonome, vertragliche Abrede zu erleichtern. Dem stehe weder die öffentlich-rechtliche Natur des Vollstreckungsverfahrens noch der Gedanke des Schuldnerschutzes zwingend entgegen.

Sodann folgten drei Beiträge, die Blicke auf das Ausland warfen. Moritz Bälz (Frankfurt a.M.) berichtete, dass Japan traditionell eher mit einem übermächtigen Verwaltungsstaat als mit großen Freiräumen für den Privaten assoziiert werde. Japan habe in den letzten Jahrzehnten des ausklingenden Jahrtausends aber in vielen Bereichen „mehr Freiheit gewagt“ und Reformen angestrengt – auch in der Justiz. Er berichtete von einer strukturellen Verknappung der finanziellen und insbesondere personellen Justizressourcen vor der Reform. Das habe sich, so Bälz, nur bedingt geändert. Die Reform sei – trotz teils beachtlicher Erfolge – in anderen Punkten auf „halbem Wege“ stecken geblieben.

Grundlagen und Rechtsvergleichung
Nadjma Yassari (MPI Hamburg) sprach über die Formvorschriften für Testamente des iranischen Rechts, bei denen islamische Rechtsgedanken auf Gesetzesregeln getroffen sind, die aus Frankreich übernommen worden waren. Hier zeige sich exemplarisch die Kraft des religiösen Rechts, Freiräume für privatautonome Gestaltung zu schaffen. Die strengen Regeln französischen Ursprungs widersprechen dem Prinzip der Formfreiheit im islamischen Recht. Yassari zeigte, wie sich in Jahrzehnten gelebter Rechtspraxis die Regeln des islamischen Rechts durchsetzten und im Jahr 2000 sogar Gesetz wurden. Bei Yassari wurde deutlich, was auch in vielen anderen Vorträgen anklang und was viele Redner als prägend für den Forscher Basedow bezeichneten: Die Einladung, genauer hinzusehen und sich einzulassen auf das ausländische Recht. Eigentlich, so schlug Lajos Vékás (Budapest) in der Diskussion des Vortrags vor, müsste man den Vortrag (wohl gekürzt) an Donald Trump schicken, weil das westliche Nichtverständnis anderer Kulturen, gerade des Islams, doch Ursache so vieler politischer Fehler sei.

Einem ähnlichen Impetus folgte der dritte rechtsvergleiche Beitrag von Eugenia Kurzynsky-Singer (MPI Hamburg), „Mehr Freiheit wagen im Recht der Transformationsstaaten“. Sie warnte vor einem zu undifferenzierten Rechtsvergleich, wenn ein rechtliches Konstrukt in einem fremden Rechtssystem adaptiert worden sei. Das verdeutlichte sie am russischen Recht, namentlich am Verständnis der Vertragsfreiheit und den umfangreichen Möglichkeiten Dritter, einen Vertrag anzufechten, auch wenn sie nicht Partei sind. Schließlich richtete Eva-Maria Kieninger (Würzburg) den Blick auf einen weiteren Aspekt der Arbeiten Basedows, der nicht nur über Ländergrenzen, sondern auch über Fachgrenzen hinausgeschaut habe. Sie forderte „Mehr Offenheit wagen“, mehr Offenheit gegenüber empirischen Forschungsprojekten. Ohne eine Extremposition einnehmen zu wollen, ohne die Empirie gegen die Dogmatik ausspielen zu wollen, plädierte sie dafür, sich vertieft mit dem tatsächlichen Rechtsleben zu beschäftigen. Die Rechtstatsachenforschung habe nicht den Stand erreicht, der ihrer Bedeutung angemessen sei. Das gelte für den akademischen Betrieb genauso wie für den Gesetzgeber, auf nationaler genauso wie auf europäischer Ebene. Damit schlug Kieninger eine sehr passende, wenn auch nur scheinbar abgesprochene Brücke – das versicherte Basedow – zu seinem Schlusswort.

Schlusswort von Jürgen Basedow
Basedow beschloss das Symposium mit einem Plädoyer für methodische Öffnung und eine freiheitsorientierte Rechtswissenschaft: Der Veranstaltungstitel, „Mehr Freiheit wagen“, sei immer ein Aufruf gewesen. Ein Aufruf zu mehr Wahlfreiheit, zu mehr unternehmerischer Freiheit, zur Entscheidung durch Private und zum Wirkenlassen gesellschaftlicher Kräfte. Die Frage nach der Freiheit sei die zentrale Frage nach der Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, dem eigentlichen Thema der Jurisprudenz, im Wirtschaftsrecht, aber auch in allen anderen Rechtsgebieten. Umso bedauerlicher sei es, dass die Freiheit zugunsten von immer mehr zwingenden Regeln zurückgedrängt werde. Das geschehe einerseits durch einen immer eifrigeren Gesetzgeber, aber auch durch die Gerichte andererseits. Die Aufgabe, Spielräume für mehr Freiheit auszuloten, falle deswegen der Rechtswissenschaft zu. Eine wissenschaftlich orientierte Rechtspolitik sei berufen, die richtige Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft vorauszudenken. Das impliziere neben der Dogmatik eine Vielzahl von Methoden: von der Rechtstatsachenforschung über die ökonomische Analyse bis hin zu Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung. Endgültig verabschiedet wurde Basedow nach diesem Plädoyer mit „Standing Ovations“ und sicherlich dem tief empfundenen Dank für sein langes Wirken am Institut.

Ein Wermutstropfen blieb: Leider reichten nicht einmal zwei volle Symposiumstage aus, um alle Schüler Basedows mit einem Vortrag zu Wort kommen zu lassen. Anatol Dutta (München), Simon Schwarz (Freshfields Bruckhaus Deringer, Frankfurt), Wolfgang Wurmnest (Augsburg) und Franco Ferrari (NYU) ließen anderen den Vortritt und führten stattdessen durch das Symposium. Man wird sich bis zum Erscheinen des Tagungsbands gedulden müssen, um zu erfahren, wo sich auf ihren Forschungsfeldern „Mehr Freiheit wagen“ lässt.

Hinweis: Das vollständige Schlusswort von Jürgen Basedow ist in der FAZ vom 07.12.2017 erschienen.

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