Der Ausschluss ganzer Verbände von internationalen Sportwettbewerben

Symposium des Forums für internationales Sportrecht

13. November 2017

Sportwettkämpfe dienen der Bestenermittlung. Doch ein Wettkampf kann nur überzeugen und faszinieren, wenn das Gebot der Chancengleichheit nicht nur leere Phrase ist. Wettbewerbsverzerrung durch unlautere Mittel, mit anderen Worten Doping, stellt die Sportwelt vor ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Die McLaren-Reports nun bescheinigen Russland systematisches und umfassendes Staatsdoping. Seitdem stellt sich mit Nachdruck die Frage, wie auf diese Vorwürfe angemessen reagiert werden kann. Sollten ganze Verbände ausgeschlossen werden? Können sie dies nach dem derzeit geltenden Recht, auf welcher Grundlage und unter welchen Voraussetzungen? Wie wäre eine solche Kollektivstrafe mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung zugunsten des einzelnen Sportlers zu vereinbaren?

All diesen Fragen widmete sich das 13. Symposium des Forums für internationales Sportrecht, das am 13. November 2017 am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg stattfand. Das Forum für internationales Sportrecht ist ein Gemeinschaftsprojekt des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht und des Münchener Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik.

Einführung durch Institutsdirektor Reinhard Zimmermann

Der geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, eröffnete das Symposium. Am 01.09.2017 habe das Internationale Olympische Komitee (IOC) eine lebenslange Sperre gegen die russischen Langläufer Alexander Legkof und Jewgeni Below verhängt. Zimmermann nahm diese IOC-Entscheidung zum Anlass, das dieser Entscheidung vorangegangene traurige Vorspiel Revue passieren zu lassen: Die ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“ vom 03.12.2014, die erstmals Belege für den flächendeckenden Leistungsmittelmissbrauch im russischen Spitzensport lieferte; die Anfertigung der McLaren- Reports und der darin formulierte Vorwurf, sowohl das russische Sportministerium als auch der russische Geheimdienst seien in das Dopingsystem verwickelt gewesen; der Beschluss des IOC, die Entscheidung über die Suspendierung russischer Sportler bzw. Verbände den internationalen Verbänden zu überlassen; die darauffolgende Suspendierung u.a. des russischen Leichtathletikverbands durch den Leichtathletikweltverband IAAF. Die Suspendierung des russischen Leichtathletikverbands zeige, dass Verbandsausschlüsse faktisch bereits erfolgten. Diese Entscheidung sei auch kein Novum. Vielmehr füge sie sich ein in eine Reihe von Ausschlüssen ganzer Verbände. Zu nennen sei hierbei nur beispielhaft der Ausschluss Südafrikas von den olympischen Spielen von 1964 bis 1992 wegen seiner Apartheidpolitik, die 2015 erfolgte Suspendierung Kuwaits durch das IOC wegen politischer Einflussnahme in sportliche Belange oder die Suspendierung Nigerias in 2014 und Pakistans in 2017 durch die FIFA. Dennoch stelle sich nach wie vor die Frage nach einer belastbaren Rechtsgrundlage für den Verbandsausschluss, der Entscheidungszuständigkeit, der Möglichkeit, einzelne Athleten als neutrale Teilnehmer zuzulassen, sowie den Rechtsschutzmechanismen. All dies solle durch den Hauptvortrag und die folgende Debatte näher erläutert werden.

Hauptvortrag von Klaus Vieweg, Universität Erlangen-Nürnberg

Prof. Dr. Klaus Vieweg gliederte seinen Vortrag in drei Teile. Im ersten Teil widmete er sich der rechtstatsächlichen Situation. Er stellte fest, dass die Regeln der nationalen Verbände zwischen der Suspendierung als temporärer Maßnahme und dem Ausschluss als Dauermaßnahme unterschieden. Beide Maßnahmen entsprächen gelebter Praxis. Innerhalb der nationalen und internationalen Regelwerke – beispielsweise der olympischen Charta und der FIFA Statuten – habe er sechs Fallgruppen identifizieren können, die Anlass für einen Verbandsausschluss seien. Wahrscheinlich seien es jedoch mehr. Ein Ausschluss könne erfolgen, wenn folgende Verstöße festgestellt würden: (1) Menschenrechtsverletzungen, (2) staatliche/politische Einmischung in die Verbandsautonomie, (3) Verstöße gegen das Territorialitätsprinzip, (4) staatlich organisiertes Doping, (5) Korruption, oder (6) technologisches Doping. Diese Analyse zeige, dass die aktuelle Debatte um Russland in ihrem größeren Zusammenhang zu sehen sei.

In unmittelbarer Folge widmete sich Vieweg im zweiten Teil seines Vortrags der Analyse der widerstreitenden Interessen. Sein spezieller Fokus lag hierbei auf den kollidierenden Interessen, denen sich der individuelle Sportler ausgesetzt sehe – u.a. denen des Trainers, des Sponsors, des Vereins, des Verbands, des Beraters, der Teamkollegen, der Familie.

Hiernach leitete Vieweg in den dritten Teil seines Vortrags über: die rechtliche Analyse der Problematik. Primäres Anspruchsziel sowohl von Verbänden also auch einzelner Sportler sei die Aufhebung der Suspendierung bzw. des Ausschlusses. Positiv formuliert, die Zulassung zum Wettkampf. Mögliche Anspruchsgrundlagen hierfür seien (1) § 826 BGB, (2) § 19 GWB oder (3) die Figur der culpa in contrahendo. Bei genauerer Betrachtung erweise sich das Kartellrecht als Königsweg. Diese Schlussfolgerung speise sich auch aus eigenen positiven Erfahrungen mit der Anwendung des § 19 GWB auf Zulassungsansprüche im Sportrecht – wenn auch dieser Ansatz im Fall Pechstein (BGH, Urteil vom 7. Juni 2016 – Az. KZR 6/15) nicht zum Erfolg geführt hatte.

Statement von Patrick Baumann, Mitglied des IOC, u.a. als dessen Vertreter bei der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA)

Es folgte das Statement von Patrick Baumann. Er erläuterte, dass der ursprüngliche (und einfachste) Grund eines Verbandsausschlusses der Ausschluss infolge der Nichtzahlung von Mitgliedsbeiträgen sei. Erst später seien die Regeln über den Ausschluss erweitert worden. Allerdings genieße der Ausschluss nach wie vor, als fundamentaler und weitreichender Eingriff, nur beschränkte Beliebtheit beim IOC. Baumann ging daraufhin dazu über, die Struktur des IOC sowie der Nationalen Olympischen Komitees (NOK) näher zu erläutern. Schließlich nutzte Baumann die Gelegenheit, Stellung zur Reaktion des IOC infolge der Vorwürfe des McLaren-Reports zu beziehen. Die Entscheidung über den Umgang mit dessen Erkenntnissen sei alleinige Kompetenz des IOC-Exekutivkomitees. Dieses treffe seine Entscheidung unabhängig von politischer oder medialer Einflussnahme in einem rechtsstaatlichen Verfahren; diese Entscheidung sei vor dem CAS angreifbar. Bereits 2016, nach Veröffentlichung des Zwischenberichts durch McLaren, seien daher zwei IOC-Kommissionen eingesetzt worden, um über etwaige Sanktionen zu befinden. Während die Schmid-Kommission die Systemfrage des Dopings behandle, widme sich die Oswald-Kommission den Vorwürfen in Bezug auf einzelne Athleten. Im Rahmen der Entscheidung über mögliche Sanktionen sei immer das Grundrecht auf individuelle Gerechtigkeit mit dem Interesse an einer Kollektivbestrafung abzuwägen.

Statement von Dr. Clemens Prokop, Präsident des deutschen Leichtathletik-Verbandes

Es folgte das Statement von Dr. Clemens Prokop. Sein Statement war ein klares Plädoyer zugunsten von Kollektivausschlüssen. Zwei Grundprinzipien der olympischen Bewegung müsse man sich zunächst vergegenwärtigen: (1) das Prinzip der Chancengleichheit, ohne das die olympischen Spiele zu inhaltsleeren Veranstaltungen verkämen, und (2) den Grundsatz, dass Athleten kein originäres, sondern lediglich ein von den Verbänden abgeleitetes Startrecht zustehe. Individuelle Regelverstöße einzelner Athleten und staatlich organisierte Regelverstöße bedrohten das Prinzip der Chancengleichheit in gleich zweierlei Hinsicht. Ersteres Missverhalten könne durch die persönliche Sanktionierung des jeweiligen Athleten angemessen geahndet werden. Dagegen könne Letzterem lediglich durch einen Kollektivausschluss hinlänglich begegnet werden. Ein solcher Verbandsausschluss würde durch die Regeln des IOC ermöglicht und sei, wie bereits gezeigt, auch faktisch bereits anerkannt. Einem Ausschluss stünde kein eigenes Recht der Athleten entgegen – deren derivative Rechte könnten nicht weitergehen als die Rechte des NOK. Würde BMW einen Vertrag mit einem seiner Zulieferer kündigen, hätten die Angestellten des Zulieferers schließlich ebenfalls keinen Anspruch aus eigener Rechtsverletzung gegen BMW. Allenfalls in Extremfällen seien Rückausnahmen zuzulassen, z. B. wenn ein NOK aufgrund der Nichtzahlung seines Mitgliedsbeitrags durch das IOC ausgeschlossen würde. Grundsätzlich sei festzuhalten: Würde das Prinzip der Chancengleichheit ernst genommen, dann müsse es im Fall staatlich koordinierter Regelverstöße gegen den WADA-Code zu einem Kollektivausschluss kommen. Andernfalls würden derlei Verstöße letztlich dauerhaft toleriert.

Jan Fitschen, ehemaliger deutscher Langstreckenläufer

Auch Jan Fitschen positionierte sich unzweideutig als Befürworter von Kollektivausschlüssen. Sein Statement ergänzte die juristische Perspektive um die Perspektive des betroffenen Sportlers. Zwar würden durch Kollektivausschlüsse regelmäßig unschuldige Athleten getroffen – er berichtete hier von seiner eigenen Sperre im Kontext der Dopingaffäre um Dieter Baumann –, doch sei dies hinzunehmen. Würde nicht konsequent gegen staatliches Doping vorgegangen, seien ebenfalls unschuldige Athleten betroffen: diejenigen, die sich strikt an die WADA-Vorgaben hielten und deren Erfolgschancen durch das unredliche Verhalten ihrer Konkurrenten vermindert würden. Doch fügte Fitschen an, dass das eigentlich größere Problem die nach wie vor nicht funktionierenden Kontrollmechanismen seien. Nur punktuell würden Skandale durch Journalisten aufgedeckt, während die eigentlichen Kontrollorgane und -institutionen, die Verbände, die WADA, etc. versagten. Zudem würden die derzeitigen Maßnahmen das Problem nicht umfassend genug angehen. Zwar würden überführte Athleten gesperrt; Maßnahmen gegen Ärzte, Trainer, Berater, kurzum, das dahinterstehende System blieben jedoch aus. Daraus ließe sich nur eine Schlussfolgerung ziehen: Der wirkliche Anti-Doping-Kampf funktioniere (derzeit) nicht.

Statement von Natalia Kisliakova, Anwältin in Moskau

Natalia Kisliakova, russische Anwältin in Moskau, schloss die Statement- Runde ab. Sie widmete sich der Schilderung der Vorfälle aus russischer Sicht. Die Enthüllungen der ARD-Dokumentation hätten drei Komplettausschlüsse zur Folge gehabt: den Ausschluss des Leichtathletik- sowie des Gewichtheberverbandes und des gesamten russischen paralympischen Komitees. Die Sperre russischer Athleten sei jedoch nicht ohne Weiteres rechtmäßig gewesen. Dies hätten die Erfolge russischer Sportler vor dem CAS gezeigt. Beispielhaft sei nur die Klage der russischen Ruderer Anastasia Karabelshikova und Ivan Podshivalov gegen ihr Startverbot bei den olympischen Spielen zu nennen. Der CAS habe diese Sperre als unzulässige Doppelbestrafung qualifiziert. Zudem drohe eine Vorverurteilung der russischen Athleten infolge ihrer namentlichen Nennung im McLaren-Report. Auch dies sei zu beachten. Seit der Suspendierung der Rusada durch die WADA seien ferner erhebliche Fortschritte erzielt worden. Insbesondere machten sich Trainer und Ärzte nunmehr strafbar, wenn sie ihre Sportler zum Dopen zwängen. Zudem könne in diesen Fällen der Trainervertrag gekündigt und ggfs. die Trainerlizenz lebenslänglich entzogen werden. Doch sei auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Im Anschluss eröffnete Prof. Dr. Ulrich Becker, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, eine intensive Diskussion.

Ein weiterführender Bericht zum Symposium befindet sich auf der Webseite www.forumsportrecht.de

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