Philosophische Grundlagen des internationalen Privatrechts
Das internationale Privatrecht (IPR) gilt vielen als die technischste unter den juristischen Disziplinen. Während dogmatische Spezialfragen und der Diskurs über angemessene Methoden die Themen des Fachs bestimmen, finden seine philosophischen Grundlagen relativ wenig Beachtung. Umgekehrt spielt das IPR in der Rechtsphilosophie keine große Rolle. Diese Lücke zu schließen ist Ziel eines interdisziplinären Projekts, das Institutsdirektor Ralf Michaels gemeinsam mit Roxana Banu von der Queen Mary University of London und Michael Green von der William & Mary Law School ins Leben gerufen hat.
Obwohl sich im IPR zahlreiche philosophische Fragen stellen, die in anderen Rechtsdisziplinen gar nicht auftauchen, existieren nur einzelne wegweisende Werke, die sich mit den philosophischen Grundlagen der Anwendbarkeit ausländischen Rechts durch inländische Gerichte auseinandersetzen. Ein Grund dafür liegt darin, dass die Rechtsphilosophie zumeist von einem einzigen Recht ausgeht – sei es ein universales Naturrecht oder das positive Recht eines Staates – und die Pluralität von Rechten bis vor Kurzem kaum behandelt hat.
Klärungsbedarf für Grundsatzfragen
In der Praxis wird das IPR häufig als Verweisungsrecht betrachtet, das keine eigenständigen Wertungen vornimmt. Aber auch innerhalb der internationalprivatrechtlichen Wissenschaft stehen Grundsatzfragen, etwa zu Gerechtigkeit, Gleichheit oder Autonomie, nur selten zur Debatte. Gleichwohl weist der in dieser Disziplin zentral angelegte Umgang mit verschiedenen Rechtsordnungen und damit auch Rechtskulturen auf Themenfelder, deren rechtstheoretisches Fundament philosophischer Klärung bedarf.
„Die Grundlagenforschung zu philosophischen Ansätzen für das IPR ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. IPR und Rechtsphilosophie leben weitgehend ohne Austausch nebeneinander her. Uns geht es darum, den Dialog zwischen diesen beiden Fächern wiederzubeleben.“
– Ralf Michaels –
Interdisziplinärer Projektauftakt
Es wird ein geschlossener Workshop im Herbst 2020 (notfalls als Videokonferenz) am Institut stattfinden. Dazu wurden etablierte und jüngere Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt identifiziert, die Themen an der Schnittstelle zwischen IPR und Philosophie bearbeiten. Sie kommen sowohl aus der Rechtswissenschaft als auch aus der Philosophie. Ihre geographische Diversität umspannt vier Kontinente.
„Das IPR stellt praktisch jedes juristische Thema in einen anderen, transnationalen und pluralistischen Kontext. Es ist daher schwer nachzuvollziehen, weshalb eine philosophische Auseinandersetzung dazu bisher fehlt. Wir wollen die langjährige Isolation zwischen den beiden Disziplinen durchbrechen und die vielfältigen Möglichkeiten gegenseitiger Bereicherung erkunden.“
– Roxana Banu –
Wegweisendes Publikationsvorhaben
Die Liste der behandelten Themen ist vielfältig und reicht von der Normstruktur und Kohärenz des IPR über die Verankerung des ordre public im Konstitutionalismus bis hin zu rechtsphilosophischen Kernfragen nach der Autorität und Legitimität des Rechts. Ein eigener Themenblock beleuchtet Probleme der Pluralität und des Rechtspluralismus. Zudem geht es um Moral und Gerechtigkeit, also etwa um Fragen der Gleichheit und der Zustimmungsfähigkeit, sowie um Globalisierung.
Die Ergebnisse werden als Sammelband erscheinen, mit dem Anspruch, mehr zu sein als die Dokumentation einer Tagung. Es ist geplant, die Veröffentlichung des Sammelbandes mit einer öffentlichen Veranstaltung am Institut zu begleiten. Weitere Informationen dazu werden zu gegebener Zeit folgen.
„Die bislang vorliegenden Veröffentlichungen stellen überwiegend Positionen vor, die in der wissenschaftlichen Literatur bereits gut entwickelt worden sind. Da Rechtsphilosophie und IPR-Wissenschaft aber schon so lange die Existenz der jeweils anderen Disziplin ignoriert haben, muss die von uns geplante Publikation sich davon notwendigerweise unterscheiden. Ihr Ziel ist es, der erste Schritt in der Schaffung einer eigenen Literatur zu dieser überaus reichhaltigen Thematik zu sein.“
– Michael Green –