Kommentar zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Kommentar zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Orientierung in einer anspruchsvollen Querschnittsmaterie

Private Law Gazette 2/2022 – Deutschland ist die weltweit drittgrößte Importnation. Dem am 11. Juli 2021 vom Bundestag verabschiedeten Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (LkSG) gingen lange und harte Debatten voraus. Für die eine Seite ist das Gesetz ein Meilenstein in der Bekämpfung von Ausbeutung und Umweltzerstörung in Entwicklungsländern. Die andere Seite spricht von unzumutbaren Belastungen und Wettbewerbsnachteilen für hiesige Unternehmen. Hinzu kommen viele ungelöste Rechtsfragen. Umso wichtiger ist jetzt eine sachliche Orientierung.

Kurz nach dem Inkrafttreten des LkSG am 1. Januar 2023 wird dazu ein Großkommentar erscheinen, der zu einem wesentlichen Teil von einem Team um Institutsdirektor Holger Fleischer verfasst worden ist. Zu den Autoren gehören neben dem Herausgeber Fleischer auch Claas-Lennart Götz, Philipp Alexander Hülse, Christian Kolb, Stefan Korch und Christian Stemberg, die am Institut forschen und mit eigenen Kommentierungen beteiligt sind. Das Werk ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem am 10. Februar 2022 unerwartet verstorbenen Peter Mankowski, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privat- und Prozessrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Hamburg, und seinen Mitarbeitenden. Er bleibt posthum Mitherausgeber des Kommentars.

Komplexe Verflechtungen

Das LkSG verpflichtet ab 2023 Unternehmen mit über 3.000, ab 2024 auch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten im Inland, international anerkannte Menschenrechts- und bestimmte Umweltstandards zu achten. Dadurch sollen insbesondere Kinderarbeit, Sklaverei und Zwangsarbeit, die Missachtung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, die Vorenthaltung eines angemessenen Lohns, die Missachtung des Rechts, Gewerkschaften zu bilden, die Verwehrung des Zugangs zu Nahrung und Wasser sowie der widerrechtliche Entzug von Land und Lebensgrundlagen bekämpft werden.



„Sowohl für die wissenschaftliche Durchdringung als auch für die Rechtsberatung ist es hier notwendig, intradisziplinär – also unter Einbeziehung der relevanten juristischen Disziplinen – zusammenzuarbeiten.“

– Institutsdirektor Holger Fleischer –

Die neuen Verpflichtungen wurzeln also im internationalen Recht. Wie aber können Unternehmen zu Adressaten völkerrechtlicher Bestimmungen werden? Wie sehen die Sanktionen aus? Das Recht welchen Staates kommt bei Haftungsansprüchen in internationalen Lieferketten zur Anwendung? Welches Gericht ist zuständig?

Im LkSG trifft eine Vielfalt rechtlicher Materien aufeinander. Es schafft Schnittstellen zwischen dem Gesellschafts- und Unternehmensrecht, dem Vertragsrecht, dem Internationalen Privatrecht und dem Internationalen Zivilverfahrensrecht sowie dem öffentlichen Recht und dem Völkerrecht. Flankierend kommen strafrechtliche Vorschriften hinzu.

„Sowohl für die wissenschaftliche Durchdringung als auch für die Rechtsberatung ist es hier notwendig, intradisziplinär – also unter Einbeziehung der relevanten juristischen Disziplinen – zusammenzuarbeiten“, sagt Fleischer. In seiner Arbeitsgruppe wird bereits seit mehreren Jahren zu Fragen geforscht, die der Corporate-Social-Responsibility-Debatte entsprungen sind. Aus diesem größeren Kontext hat sich das Themenfeld „Wirtschaft und Menschenrechte“ herausgelöst und bildet inzwischen einen Sonderforschungsbereich.

Internationaler Kontext

Mit dem LkSG folgt Deutschland mehreren europäischen Ländern, die in den vergangenen Jahren entsprechende Gesetze geschaffen haben. Hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung schlagen diese unterschiedliche Wege ein. Während das französische Gesetz Loi de vigilance aus dem Jahr 2017 bei Nichterfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten eine zivilrechtliche Haftung eingeführt hat, setzt Norwegen in seinem 2021 erlassenen Transparenzgesetz ganz auf eine hoheitliche Durchsetzung durch die nationale Verbraucherschutzbehörde. Der deutsche Gesetzgeber hat sich ebenfalls für ein Public Enforcement entschieden.

Das Herzstück der modernen Lieferkettengesetze in Frankreich, Norwegen und Deutschland bildet die Human Rights Due Diligence, die menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken verhindern soll. Sie knüpft an das allgemeine unternehmerische Risikomanagement an und schafft neue Bezüge zwischen Aktienrecht, Aufsichtsrecht und Lieferkettenrecht.

„Bei den neuen europäischen Gesetzen handelt es sich um die zweite Generation nationaler Regelungen über die Lieferkettenverantwortung“, erklärt Fleischer. „Ihnen vorausgegangen sind etwa 2010 der Dodd-Frank Act und der Transparency in Supply Chains Act in Kalifornien sowie 2015 der britische Modern Slavery Act. Diese erste Generation der Lieferkettengesetze hat es bei menschenrechtlichen Berichtspflichten belassen. Damit hat sie zwar stark zur Bewusstseinsbildung beigetragen, ist aber bei der Durchsetzbarkeit ihrer Zielsetzung an Grenzen gestoßen.“

Kommentar und Handbuch in einem

Das von Fleischer und Mankowski herausgegebene Werk ist mehr als ein wissenschaftlicher Kommentar. Drei umfangreiche Kapitel, die in die Materie einführen, werden der Kommentierung der einzelnen Paragrafen vorangestellt. Erläutert werden darin die völkerrechtlichen Ursprünge und internationalen Entwicklungslinien des Lieferkettenrechts. Detailliert beschrieben wird die nicht undramatische Entwicklung in Deutschland – vom „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ im Jahr 2016 über den ersten Entwurf für ein Sorgfaltspflichtengesetz 2019 bis zum Gesetzesbeschluss im Bundestag 2021. Einer genauen Betrachtung unterzogen werden außerdem die CSR-Richtlinie und die Konfliktmineralien-Verordnung der EU sowie die aktuellen Vorschläge für eine EU-Richtlinie über Lieferketten. Im Rahmen einer rechtsvergleichenden Bestandsaufnahme werden die weltweit bestehenden Regelungsregime von Berichts- über Sorgfaltspflichten bis hin zur deliktsrechtlichen Haftung vorgestellt und systematisch eingeordnet. Ein eigenes Kapitel ist den kollisionsrechtlichen Aspekten internationaler Lieferketten gewidmet.

Nachhaltiger Wissenstransfer

Die Grundlagen zu diesem Gemeinschaftswerk wurden in mehrjähriger Forschungsarbeit geschaffen. Lange vor dem Kommentarprojekt gab es bereits sichtbare Ergebnisse. In zahlreichen Fachartikeln haben Fleischer und sein Team nationale, internationale und supranationale Regelungen zur Lieferkettenverantwortung von Unternehmen zum Schutz vor menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken beleuchtet. Angesichts der praktischen Reichweite des Themas lag die Entscheidung nahe, dieses Fundament zu einem Kommentar auszubauen. „Die juristische Praxis wird durch Kommentare regiert“, sagt Fleischer. „Wir wollen unsere Forschung auch da einbringen, wo sie jeden Tag gebraucht wird.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. (Michigan), ist seit 2009 Direktor am Institut sowie Affiliate Professor an der Bucerius Law School. Er wurde 1999 von der Universität zu Köln habilitiert und war Professor am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung der Universität Göttingen und Professor an der Universität Bonn. 2008 wurde er mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher Handbücher und Kommentare zum Handels-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht sowie Mitherausgeber mehrerer Fachzeitschriften.

Holger Fleischer, Peter Mankowski (†) (Hrsg.), Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Kommentar,
C. H. Beck, München, 683 S., erscheint im März 2023


Weiterführende Literatur

Ralf Michaels, Peter Mankowski *11.10.1966 †10.2.2022, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 86 (2022), 323–326.


Headergrafik: ©
 shutterstock / Red Monkey

Portrait Holger Fleischer: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

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