
Grundlagenforschung zum Recht islamischer Länder
Die Forschungsgruppe arbeitet interdisziplinär, rechtsvergleichend und unter besonderer Beachtung des Verfahrensrechts. Die Rechtsvergleichung erfolgt vor allem zwischen den islamisch geprägten Ländern und versucht nicht nur, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erarbeiten und die Tendenzen der Rechtsentwicklung in einem größeren Kontext darzustellen, sondern auch, das Verhältnis der islamischen Länder zueinander und die Rückkopplung politischer Strukturen auf die Familien- und Erbrechtssysteme der Region zu erfassen.
Forschungsansatz
Der Forschungsansatz der Gruppe baut auf drei Säulen auf:
1. Interdisziplinarität

Die Forschungsarbeit erfordert Interdisziplinarität: Die Mitglieder der Gruppe sind u.a. Jurist*innen, Islamwissenschaftler*innen, Politolog*innen und Arabist*innen, die ihre jeweiligen Fachkenntnisse und ihre unterschiedlichen Methoden zu einem neuen Forschungsansatz zusammenbringen. Alle Forscher*innen betreiben vor Ort Feldforschung, verfolgen Gerichtsverhandlungen und analysieren die Rechtsprechung im Austausch mit den lokalen Akteuren. Ein Erfassen der politischen, historischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe der jeweiligen Länder ist genauso erforderlich wie das Verstehen der herrschenden Rechtskultur.
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2. Rechtsvergleichung innerhalb der islamischen Welt

Die Forschungsgruppe arbeitet rechtsvergleichend innerhalb der islamischen Welt. Eine profunde Auseinandersetzung mit dem Familien- und Erbrecht in verschiedenen islamischen Ländern trägt nicht nur zu seinem besseren Verständnis bei, sondern erlaubt auch eine bessere Übersetzung der relevanten Rechtsinstitute in die europäische Rechtssystematik. Darüber hinaus erlaubt die systematische Untersuchung des Familien- und Erbrechts innerhalb unterschiedlicher Länder Schlüsse über die Wandelbarkeit islamisch geprägter Normen.
3. Einbeziehung des Verfahrensrechts

Die Bedeutung des Verfahrensrechts für das materielle Familien- und Erbrecht wird oft ausgeblendet. Gleichwohl sind die Verflechtungen zwischen dem materiellen und dem formellen Recht mannigfaltig. Das Verfahrensrecht spielt über offensichtliche Zusammenhänge hinaus gerade in den islamischen Ländern eine prominente Rolle. Da das Verfahrensrecht zumeist als ein „werteneutraler“ Rechtsbereich angesehen wird, werden dort Regelungen eingefügt, die, anstatt das materielle Recht direkt anzugreifen, über diesen Umweg materiell-rechtliche Reformen einzuführen oder unerwünschte Auswirkungen des materiellen Rechts aufzufangen versuchen.
Durch die Berücksichtigung dieser drei Säulen wollen die Forscher*innen ein vollständigeres und entzerrtes Bild des Familienrechts in den islamischen Ländern gewinnen, das die Dynamik der Rechtsentwicklungen wiedergibt.
Forschungsprojekte der Gruppe
Forschungsprojekte der Mitarbeiter*innen
Dörthe Engelcke: Das Familienrecht christlicher Gemeinden im Nahen Osten
Dörthe Engelcke vergleicht in ihrem Habilitationsvorhaben das Familienrecht christlicher Gemeinden in Jordanien und im Irak mit dem islamischen Familienrecht. Sie untersucht die unterschiedliche Systematisierung der rechtlichen Autonomie der christlichen Gemeinden in beiden Ländern und geht der Frage nach, inwiefern sich diese auf die Rechtspraxis auswirkt.
Dominik Krell: Konzeptionen des islamischen Rechts in der saudischen Justiz
Wie haben saudische Juristen ausgehend von der islamischen Rechtstradition ein modernes Justizsystem entwickelt? Dieser Frage geht Dominik Krell in seiner Dissertation nach. Seit den 2000er Jahren ist die saudische Justiz im Umbruch: Es ist eine Prozessordnung erlassen, spezialisierte Gerichte sind eingerichtet und digitale Technik eingeführt worden. Dennoch verzichtet Saudi-Arabien als einziges islamisches Land weiterhin in den meisten Rechtsbereichen auf eine Kodifizierung. Das Promotionsvorhaben untersucht das Zusammenspiel dieser beiden Phänomene.
Shéhérazade Elyazidi: Nation-Building und Familienrecht in den kurdischen Gebieten Iraks und Syriens
In ihrem Promotionsvorhaben geht Shéhérazade Elyazidi der grundlegenden Frage nach der Funktion des Familienrechts im Nation-Building-Prozess nach. Ihr Untersuchungsgegenstand ist das kurdische Familienrecht, der regionale Fokus liegt auf den kurdischen Gebieten im Irak und Syrien. Das Dissertationsprojekt steht an der Schnittstelle zwischen den Sozialwissenschaften – durch das Heranziehen theoretischer Ansätze zum Nation-Building – und den Rechtswissenschaften – durch die Untersuchung der Rolle des Familienrechts als Indikator oder/und Katalysator der Herausbildung einer nationalen Identität.
Lena-Maria Möller vertritt seit Herbst 2019 die Professur für Islamisches Recht am Orientalischen Institut der Universität Leipzig. Dort leitet sie aktuell gemeinsam mit Hanan Badr (Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Freie Universität Berlin) ein vom BMBF gefördertes Projekt zu medialen Darstellungen von Recht und Gerechtigkeit in der MENA-Region.