Von Corporate Governance bis LGBTQ+
Womit beschäftigt sich die Forschung zum japanischen Recht?
Westliche Vorstellungen von Japan drehen sich häufig um die technologische Innovationskraft, die starke Exportwirtschaft oder die faszinierende Kultur des Landes. Welchen Erkenntnisgewinn die Rechtsvergleichung mit Japan bietet, ist selbst unter Jurist*innen wenig bekannt. „Vieles spricht dafür, sich mit dem japanischen Recht zu befassen“, sagt Ruth Effinowicz, Leiterin des Kompetenzzentrums Japan am Institut. „Der Blick auf Japan sollte aber nicht nur durch die – zum Teil vermeintliche – Andersartigkeit der japanischen Kultur und Gesellschaft geleitet sein.“
Ein Hauptanknüpfungspunkt für die Forschung aus deutscher Sicht ergibt sich aus einem Stück gemeinsamer Rechtsgeschichte. Als Japan sich unter dem Druck europäischer Länder und der USA ab Mitte des 19. Jahrhunderts innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem Staatsgefüge nach westlichem Zuschnitt entwickelte, diente das Rechtssystem des selbst gerade erst entstehenden deutschen Kaiserreichs als zentrales Vorbild. Seit der Rezeption des deutschen Zivil- und Zivilprozessrechts Ende des 19. Jahrhunderts ist die japanische Zivilrechtswissenschaft maßgeblich von deutschen Einflüssen geprägt.
Gemeinsame Themen
Nach den USA, China und Deutschland ist Japan heute die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und eine der wenigen stabilen Demokratien Asiens. „Das moderne japanische Recht lässt sich aufgrund der Einflüsse aus verschiedenen Rechtskreisen als Mischrechtsordnung beschreiben“, erklärt Effinowicz. „Japan zählt inzwischen zum Globalen Norden, und der deutsch-japanische Rechtsdialog beschäftigt sich vor allem mit den gemeinsamen Herausforderungen moderner, hoch industrialisierter Gesellschaften. Dazu gehören Klimaschutz und Corporate Governance ebenso wie der demografische Wandel, das Gesundheitswesen oder sicherheitspolitische Fragen.“
So ergriff das Kompetenzzentrum nach Ausbruch der Pandemie 2020 die Initiative zu einer virtuell abgehaltenen Tagung, auf der Rechtswissenschaftler*innen aus Deutschland und Japan die Reaktionen der beiden Rechtssysteme auf Corona beleuchteten. Eine 2022 von Effinowicz in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung (DJJV) ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe ist gemeinsamen Fragen der Sicherheitspolitik vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gewidmet.
„Die wissenschaftliche Arbeit zum japanischen Recht erfordert
eine kontextsensible Herangehensweise, die immer auch die
japanische Sichtweise einbezieht.“
– Ruth Effinowicz –
Auch gesellschaftliche Normvorstellungen von Familie werden in Japan wie in Deutschland infrage gestellt, etwa durch den Wunsch queerer Menschen nach rechtlicher Anerkennung ihrer Beziehungen. Effinowicz begleitet daher die Entwicklung des Rechts der gleichgeschlechtlichen Ehe in Japan. Bisher gibt es für diese – anders als in Deutschland – zwar noch keine gesetzliche Grundlage, sie war in den letzten Jahren aber immer wieder Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. „Die japanische Verfassung, die wie das Grundgesetz einen Gleichbehandlungsgrundsatz beinhaltet, könnte für eine mögliche Gesetzesänderung durchaus einen Rahmen bieten.“ Die parallelen deutschen Entwicklungen und Debatten werden in Japan mit Interesse verfolgt.
Rolle im asiatischen Kontext
Doch nicht nur von Deutschland aus richtet sich der Blick nach Japan. In verschiedenen Ländern Asiens hat man sich von modernen japanischen Regelungsmodellen inspirieren lassen. Die Rolle Japans als Exporteur juristischer Konzepte steht im Widerspruch zu der bei uns immer noch vorherrschenden hierarchisch gefärbten Darstellung des Landes als bloßer Empfänger westlicher Rechtskonzepte. Dabei tritt Japan schon seit rund 120 Jahren als Rechtsexporteur auf. Seinen Anfang nahm dieser Einfluss in der Zeit, als das Inselreich zu einer regionalen Kolonialmacht wurde. Seit den 1990er-Jahren gehört der Rechtstransfer zur offiziellen japanischen Außenpolitik. „Konkret handelt es sich dabei etwa um technische Rechtshilfe, Rechtsharmonisierungsprojekte und juristische Ausbildungsprogramme“, sagt Effinowicz, die 2022 federführend an einem internationalen Symposium zu diesem Themenfeld beteiligt war.
Differenzierter Forschungsansatz
„Die wissenschaftliche Arbeit zum japanischen Recht erfordert eine kontextsensible Herangehensweise, die immer auch die japanische Sichtweise einbezieht“, betont Effinowicz. „Das Kompetenzzentrum verfügt über ein hochkarätiges, über Jahrzehnte gewachsenes internationales Netzwerk aus Wissenschaft und Praxis mit Expertise aus allen Rechtsbereichen. So können wir unsere Forschungsthemen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.“
Japankompetenz ohne Sprachbarriere
Zu den wichtigsten Aufgaben des Kompetenzzentrums Japan gehört die redaktionelle Betreuung der Zeitschrift für Japanisches Recht / Journal of Japanese Law (ZJapanR / J.Japan.L.). Das halbjährlich erscheinende Periodikum hat sich zum Ziel gesetzt, in einem methodisch wie formal breit gefächerten Ansatz alle Bereiche der japanischen Rechtsordnung in westeuropäischen Sprachen zugänglich zu machen. 1996 vom damaligen Leiter des Kompetenzzentrums, Harald Baum, ins Leben gerufen, wird die Zeitschrift vom Institut in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung e.V. herausgegeben. Sie ist die einzige Publikation außerhalb Japans, die die vielfältigen Entwicklungslinien des japanischen Rechts regelmäßig und mit aktuellem Bezug für eine internationale Leserschaft auf Deutsch, Englisch und Französisch dokumentiert und analysiert. Damit ist es in den fast drei Jahrzehnten ihres Bestehens gelungen, einen weltumspannenden fachlichen Dialog zu etablieren.
Headergrafik: © Adobe Stock_ake1150
Porträt Ruth Effinowicz: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering