Das Gutachten zum ausländischen Recht im Prozess des 21. Jahrhunderts

Das Gutachten zum ausländischen Recht im Prozess des 21. Jahrhunderts

Tagung

  • Beginn: 16.06.2023
  • Ende: 17.06.2023
  • Ort: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

Fremdes Recht vor Gericht: Theorie und Praxis der Gutachtenerstellung zum ausländischen Recht im 21. Jahrhundert

Bei grenzüberschreitenden Rechtsfällen müssen deutsche Richter*innen oft nach ausländischem Recht entscheiden. Zur Ermittlung desselben können sie die Hilfe von Sachverständigen in Anspruch nehmen. Bei der Anwendung haben sie so vorzugehen, wie es ein*e Richter*in des betreffenden Landes tun würde. Soweit die Theorie. Langjährige Erfahrung hingegen zeigt die praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Vorgaben auf. Am 16. und 17. Juni 2023 trafen sich in Hamburg rund 50 Vertreter*innen der Wissenschaft und der Praxis, um sich über die Rolle des Gutachtens zum ausländischen Recht im Prozess des 21. Jahrhunderts auszutauschen.



„Die Notwendigkeit, ausländisches Recht zu ermitteln, auszulegen und anzuwenden, hat aufgrund der stetig gewachsenen internationalen Verflechtungen in den letzten Jahrzehnten immer weiter zugenommen.“

– Jan Peter Schmidt –

 

Seit seiner Gründung im Jahr 1926 werden am Institut Gutachten zum ausländischen Privatrecht verfasst. Die aus der weltumspannenden Grundlagenforschung gewonnene Expertise wird damit in den Dienst der Allgemeinheit gestellt. Inzwischen steuert das Kompetenzzentrum für die Anwendung ausländischen Rechts unter der Leitung von Jan Peter Schmidt diesen Wissenstransfer.

Wachsender Bedarf

„Die Notwendigkeit, ausländisches Recht zu ermitteln, auszulegen und anzuwenden, hat aufgrund der stetig gewachsenen internationalen Verflechtungen in den letzten Jahrzehnten immer weiter zugenommen“, sagt Schmidt. Im Institut arbeiten Expert*innen für islamisches, türkisches, russisches, chinesisches und japanisches Recht sowie diverse europäische und angelsächsische Rechtsordnungen, die mit ihren Gutachten Richter*innen bei der Beurteilung von grenzüberschreitenden Rechtsfällen unterstützen. Zur Erteilung von Gutachten besteht keine Verpflichtung. Angenommen werden nur Aufträge, deren Gegenstand im wissenschaftlichen Interesse des Instituts liegt.

Brücke in die Praxis

„Ältere Fragen zum ausländischen Recht sind heute gelöst oder nur mehr von geringer Bedeutung, so etwa die Diskussion darüber, ob ausländisches Recht als Recht behandelt werden soll oder als beweisbedürftige Tatsache, wann deutsches Recht als Ersatzrecht zur Anwendung kommt oder wie es mit der Zulassung von Rechtsmitteln bei fehlerhafter Anwendung steht“, sagt Institutsdirektor Ralf Michaels, der gemeinsam mit Jan Peter Schmidt die Gutachtenkonferenz initiiert hat. „Neue Problemfelder sind hinzugekommen: Wie ist mit der hohen Verfahrenszahl umzugehen? Was ändert sich dadurch, dass ausländisches Recht viel leichter zugänglich geworden ist? Solche Themen wollten wir praktisch und theoretisch behandeln.“

Insbesondere mit Hilfe von deutschsprachiger Literatur zum ausländischen Recht, des Internets sowie modernen Übersetzungstools haben Gerichte heutzutage viel bessere Möglichkeiten als früher, das ausländische Recht zumindest in Ansätzen auf eigene Faust zu ermitteln. Überdies können sie versuchen, die Parteien zur Mitwirkung anzuhalten. Jedenfalls in komplexen Fällen oder bei schwer zugänglichen Rechtsordnungen führt an der Einholung eines Gutachtens allerdings weiterhin meist kein Weg vorbei.

Praktischer und wissenschaftlicher Fokus

Der praktische Teil der Gutachtenkonferenz bestand aus einem Workshop, in dem „Leitlinien zur Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts in deutschen Verfahren für Gerichte, Sachverständige und Parteien“ diskutiert wurden. Ein entsprechender Entwurf war zuvor von einer internen Arbeitsgruppe des Instituts unter Leitung von Ralf Michaels und Jan Peter Schmidt erarbeitet worden. Um die verschiedenen Perspektiven einfließen zu lassen, nahmen neben Wissenschaftler*innen auch Vertreter*innen der Praxis am Workshop teil, insbesondere Richter*innen. Nach ihrer Finalisierung im Nachgang zur Konferenz wurden die „Leitlinien“ veröffentlicht und als Broschüre sowie online zugänglich gemacht, um so das Vorgehen bei Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts zielführender und einheitlicher zu gestalten.


„Neue Problemfelder sind hinzugekommen: Wie ist mit der hohen Verfahrenszahl umzugehen? Was ändert sich dadurch, dass ausländisches Recht viel leichter zugänglich geworden ist? Solche Themen wollten wir praktisch und theoretisch behandeln.“

– Ralf Michaels –

Im wissenschaftlichen Teil der Konferenz wurden nach Erörterung historischer und rechtstheoretischer Grundlagen verschiedene Teilaspekte der Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts unter die Lupe genommen. Hierzu gehörte unter anderem die Abgrenzung der Aufgaben zwischen Gutachter*in und Richter*in und die Verschränkung von ausländischem Sachrecht mit nationalem Prozessrecht. Ebenso wurde thematisiert, welchen Maßstäben die Ermittlung ausländischen Rechts in puncto Richtigkeit und Vollständigkeit genügen muss. Außerdem tauschte man sich darüber aus, wie das in bereits geschriebenen Gutachten enthaltene Wissen besser für die Praxis nutzbar gemacht werden kann.

Ralf Michaels und Jan Peter Schmidt ziehen ein uneingeschränkt positives Fazit. Die für die Veranstaltung gesetzten Ziele einer Bestandsaufnahme sowie des Erfahrungsaustausches und der Suche nach Feinjustierungen des bestehenden Systems seien umfassend erreicht worden. Demnächst soll die Schriftfassung der Vorträge zusammen mit den „Hamburger Leitlinien“ in einem Konferenzband veröffentlicht werden.


 




Bildnachweise: 
© Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

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