Recht interdisziplinär

Der 5. Max-Planck-ZEW Private Law & Economics Workshop

7. Dezember 2017

Konzept

Die Zusammenarbeit von Juristen und Ökonomen hat in Wissenschaft und Praxis eine große und nach wie vor zunehmende Bedeutung. Juristen argumentieren verbreitet mit ökonomischen Konzepten und können dabei von der stringenten Gedankenführung ökonomischer Modelle profitieren. Auch empirische Studien finden bei Juristen häufig Beachtung. Umgekehrt erfordern viele wirtschaftswissenschaftliche Forschungsgegenstände eine Erfassung komplexer Normen. Recht verkörpert zudem oft evolutorisches Erfahrungswissen, das für Ökonomen interessant sein kann. Um das damit verbundene Potenzial zu heben, ist ein gewisses Verständnis für die jeweils andere Disziplin unverzichtbar, das zugleich methodische Fehler im Umgang mit dieser vermeidet.

Vor diesem Hintergrund ist die Idee entstanden, am Institut organisiert von Eckart Bueren, Nachwuchswissenschaftler des MPI und benachbarter Institutionen mit Ökonomen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einem Workshop zusammenzubringen, um die interdisziplinäre Methodenkompetenz zu erweitern sowie aktuelle Forschungsvorhaben und -ergebnisse zu diskutieren. Diesem Zweck entsprechen zwei konzeptionelle Schwerpunkte: Den ersten bilden Lehrvorträge zur Einführung in Methoden und Inhalte der jeweils anderen Disziplin, der zweite besteht darin, eigene Forschungsvorhaben mit interdisziplinären Bezügen zu präsentieren, durch Feedback zu verbessern und die interdisziplinäre Vernetzung zu stärken. Spezifische Akzente liegen in der Praxisbezogenheit, die von der Stärke der angewandten Wirtschaftsforschung am ZEW profitiert, sowie in der Einbeziehung rechtsvergleichender Erkenntnisse, die bisher im Austausch von Recht und Ökonomie wenig Beachtung erhalten.

Nach erfolgreichen Veranstaltungen 2013 (Hamburg), 2014 (Mannheim), 2015 (Hamburg) und 2016 (Mannheim) folgte die fünfte Veranstaltung am 07. und 08.12.2017 in Hamburg.

Ökonomische Lehrvorträge mit Anwendungen

Von ökonomischer Seite bot der diesjährige Workshop anwendungsorientierte Einführungen in die Ökonometrie und in die im Wettbewerbsbereich angewandte Theorie, die aufeinander abgestimmt das nötige Rüstzeug vermittelten, um eine anschließend vorgestellte Untersuchung zum Wettbewerb auf dem deutschen Tankstellenmarkt deutlich besser nachvollziehen und verstehen zu können, als es bei interdisziplinären Präsentationen üblicherweise erreicht wird. Zugleich verbessert das anwendungsorientiert vermittelte Wissen das Verständnis ökonomischer Studien allgemein.

Stefan Frübing (ZEW) gab den Teilnehmern in seinem Lehrvortrag einen Überblick über wettbewerbsökonomische Modelle, denen Juristen in Forschung oder Praxis (etwa seitens Behörden, Beratungen) in der Fusionskontrolle, der Missbrauchsaufsicht sowie in Kartellverfahren begegnen können. Hierzu gehören das grundlegende Modell des Preiswettbewerbs (Bertrand-Modell), des Mengenwettbewerbs (Cournot-Modell), für differenzierte Produkte (Hotelling-Modell) sowie Modelle zu vertikalen Beziehungen. Der Vortrag erläuterte jeweils die Standardversionen, diskutierte wichtige Annahmen und zeigte Beispiele aus Wissenschaft und Praxis auf.

Im zweiten ökonomischen Lehrvortrag führte Michael Hellwig (ZEW) praxisorientiert in die Ökonometrie ein. Nach einer begrifflichen Verortung wiederholte er zunächst wichtige statistische Grundkonzepte. Darauf aufbauend erläuterte er die Regressionsmethode der kleinsten Quadrate sowie die Interpretation ihrer Ergebnisse. Ein Großteil des Lehrvortrags behandelte sodann die Inferenz, also inwieweit Schlüsse von einer Stichprobe auf die interessierende Grundgesamtheit möglich sind. Dazu zeigte er wesentlichen Annahmen auf und erklärte, wie ihre Verletzung die Validität der Modelle und Schätzergebnisse beeinflusst. Anschließend stellte er zwei Schätzverfahren vor, um bestimmte Komplikationen zu lösen: Panelschätzungen mit fixen Effekten sowie die Methode der Differenz-in-den-Differenzen können unbeobachtbare individuelle Einflussfaktoren (sog. unbeobachtete Heterogenität) herausrechnen.

Der anschließende Vortrag von Niklas Dürr (ZEW) zeigte anschaulich, wie Ökonomen die vorgestellten theoretischen Modelle und ökonometrischen Techniken anwenden. Er untersuchte, wie sich die Einführung einer Bestpreisklausel einer führenden Tankstellenkette im Jahr 2015 auf die Preissetzung im deutschen Tankstellenmarkt auswirkte. Vor der Klauseleinführung folgte der Markt einer gegenseitigen Unterbietung über den Tagesverlauf (sog. Edgeworth-Zyklen). Nach der Einführung wurden die Zyklen von den beiden größten Spielern im Markt durch einen mittäglichen Preissprung unterbrochen. Die kleineren Anbieter folgten schrittweise entsprechend ihrer Größe und Strategie. Der Preissprung ermöglichte es den Anbietern, die gegenseitige Unterbietung zu dämpfen und höhere Preise durchzusetzen. Niklas Dürr argumentierte, dass die Bestpreisklausel somit zu Kollusion und höheren Preisen im deutschen Tankstellenmarkt führte.

Juristische Lehrvorträge mit Anwendungen

Die juristischen Lehrvorträge des Workshops führten in zentrale Rechtsmaterien ein, die den Erwerb von Unternehmen regeln: Die privatrechtlichen Grundlagen mitsamt der spezifischen Praxis des Unternehmenskaufs, das Übernahmerecht beim Erwerb börsennotierter Gesellschaften sowie die Fusionskontrolle zur Verhinderung von Marktmacht. Ein Grundverständnis dieser Gebiete, die dem besonderen Wunsch der ökonomischen Teilnehmer entsprachen, ist wichtig, um bei der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zu Übernahmen relevante Fragen zu erkennen und Fehler bei der Modellspezifikation zu vermeiden.

Stefan Korch (MPI Hamburg) erläuterte im ersten juristischen Lehrvortrag zunächst die unterschiedlichen rechtlichen Konstruktionen (share deal und asset deal) sowie den kaufrechtlichen Rahmen des Unternehmenskaufs. Er machte zugleich deutlich, dass die Rechtspraxis umfangreiche Verträge erstellt und kaum auf das dispositive Recht zurückgreift. Die wichtigsten Klauseln wurden anhand eines Vertragsmusters besprochen. Der zweite Teil seines Vortrags behandelte vor allem die besonderen Regelungen zur Übernahme börsengehandelter Unternehmen (insbesondere im WpÜG).

Maximilian Volmar (MPI Hamburg) führte im zweiten Lehrvortrag in die deutsche und europäische Fusionskontrolle ein. Nach einem Überblick über die Rechtsquellen stellte er den streng getakteten Verfahrensablauf sowie die behördlichen Entscheidungsmöglichkeiten vor. Sodann erläuterte er die zentralen Stationen der materiellen Prüfung: ob bzw. auf welcher Ebene die Fusionskontrolle anwendbar ist, ob ein relevanter Zusammenschluss vorliegt, und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen er untersagt wird. Besondere praktische Bedeutung haben horizontale Zusammenschlüsse. In ihrer Prüfung stehen sog. unilaterale und koordinierte wettbewerbsbeschränkende Effekte im Vordergrund, die der Vortrag anhand zahlreicher Beispiele anschaulich machte. Liegen sie vor, kann eine Freigabe noch mit Blick auf Effizienzgewinne oder im Wege der Ministererlaubnis erfolgen.

Unternehmenskauf wie Kartell- und Fusionskontrollrecht bergen Haftungsfallen für Manager. Hieran knüpfte Jakob Hahn (MPI Hamburg) mit seinem juristischen Forschungsvorhaben an. Er geht der Frage nach, ob eine Gesellschaft im Innenverhältnis für eine ihr auferlegte Kartellgeldbuße Regress bei ihrem Geschäftsleiter nehmen kann. Er beleuchtete zunächst die Anspruchsgrundlagen in GmbHG und AktG und ging auf die Legalitäts- und Compliancepflicht des Geschäftsleiters ein. Sodann untersuchte er, ob der Regress aufgrund öffentlich-rechtlicher Wertungen, insbesondere der Bußgeldzwecke zu verwehren sei. Dies verneinte er, entgegen einer Ansicht in der Rechtsprechung. Hingegen befürwortete er, noch vorhandene kartellbedingte Gewinne im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen, soweit der Geschäftsleiter diese nachweisen kann.

Zwei weitere Präsentationen verdeutlichten, wie rechtsund wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse in der modernen Rechtswissenschaft verzahnt werden können.

Jonas Kranz ( MPI H amburg) b eleuchtete d ie k artellrechtlich komplexe Problematik der Erstreckung von Marktmacht. Er führte zunächst in die Fallgruppen des Missbrauchsverbots (Art. 102 AEUV) ein und stellte den Behinderungsmissbrauch mit seinen (Unter-)Fallgruppen näher vor, insbesondere die sog. Geschäftsverweigerung. Anschließend erklärte er anhand des Huawei-Falles des EuGH von 2015 das Phänomen des Marktmachttransfers (leverage theory oder Hebelwirkung), stellte dem drei Leiturteile des EuGH zur Geschäftsverweigerung sowie zur Kampfpreisunterbietung i.V.m. Marktmachttransfer gegenüber und zeigte Parallelen auf. Daraus leitete er eine wirkungsbasierte Einteilung der Fallgruppen ab (effects-based-analysis).

Marius Müller (Bucerius Law School) schlug mit seinem Thema, der Verwendung von Ratings in Anlagerichtlinien von Fonds, eine Brücke zwischen Marktmachttransfer und Kapitalmarktrecht. Einführend erläuterte er zunächst die Charakteristik von Kreditratings als Informationsprodukt für Investitionsentscheidungen und wichtige Regulierungszwecke. In der letzten Finanzkrise wirkte sich dramatisch aus, dass viele Marktteilnehmer ihre Anlage an die Änderung eines Kreditratings koppelten bzw. koppeln mussten („Market-Over Reliance“). Das kann Finanzmärkte destabilisieren. Mehrere Regulierungsinitiativen sollen daher nun Bezüge auf Ratings in Rechtsnormen entfernen. Allerdings werden Ratings auch in Anlagerichtlinien von OGAW-Fonds verwendet, um das Investitionsspektrum einzugrenzen. Die BaFin überprüft nun, ob Anlagerichtlinien in Wertpapierprospekten von Fonds Investitionshandlungen an Ratingänderungen koppeln. Der Vortrag setzte sich mit der Notwendigkeit dieser Anpassung und den entstehenden Rechtsfragen auseinander.

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