Wissenschaftliche Puzzlearbeit: Deutschsprachige Übersetzung des neuen Zivilgesetzbuches der Volksrepublik China

Private Law Gazette 1/2020 – Ende Mai 2020 ist das neue Zivilgesetzbuch der Volksrepublik China verabschiedet worden. Seither ist ein Team aus aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Instituts damit beschäftigt eine deutschsprachige Übersetzung zu erstellen. Was bedeutet es, in Schriftzeichen gegossene Paragraphen für den deutschen Sprachraum verständlich zu machen?

„Bei diesem Projekt geht es um das Zusammenfügen eines riesigen Puzzles“, sagt Knut Benjamin Pißler, Leiter des Kompetenzzentrums China und Korea am Institut. Bislang bestand die Materie des chinesischen Zivilrechts nämlich aus einer Reihe von Einzelgesetzen, die nun mit einigen Änderungen und Ergänzungen in einer umfassenden Zivilrechtskodifikation zusammengefasst wurden.

Wertvolle Grundlagen

Für die Einzelgesetze, die in der Volksrepublik seit den 1980er Jahren erlassen worden sind, liegen bereits deutschsprachige Fassungen vor. Unter anderem kann dabei auf die Arbeit des kürzlich verstorbenen ehemaligen Leiters des Chinareferats am Institut, Frank Münzel, zurückgegriffen werden. Damit aus dem bisherigen Puzzle ein sprachlich eindeutiges Bild entsteht, liegt bei der Zusammenführung aller relevanten Normen in einem Text das Augenmerk auch auf der Schaffung einer konsistenten Terminologie.

„Bereits Ende der 1920er Jahre wurde in der Republik China das Zivilrecht kodifiziert. Es gilt heute noch auf Taiwan. Nach unseren bisherigen Befunden gibt es Hinweise darauf, dass bei der Neukodifikation der Volksrepublik China auf innovative Konzepte aus der Zeit der Republik zurückgegriffen wurde“, berichtet Pißler. „Ins Deutsche übersetzt hat das Zivilgesetz der Republik China 1934 übrigens der erste Chinareferent an unserem Vorgängerinstitut in Berlin, Karl Bünger.“

Sprachliche Feinarbeit

Wie geht man vor, wenn es für einen chinesischen Begriff keinen deckungsgleichen Ausdruck in der deutschen Rechtssprache gibt? „Die Methode der funktionalen Rechtsvergleichung hilft dabei, chinesische Begriffe selbst dann ins Deutsche zu übertragen, wenn man nach ihrer Bedeutung laut Wörterbuch zunächst annehmen möchte, dass sie kein Äquivalent im deutschen Recht haben“, erklärt Pißler. „Wir sehen uns den Zusammenhang, in dem der betreffende chinesische Begriff verwendet wird, dahingehend an, welche Funktion die von ihm bezeichnete Norm hat. Dann überlegen wir, wo das Rechtsinstitut, das diese Funktion erfüllt, im deutschen Recht geregelt ist. Dabei stellt sich beispielsweise die Frage, wie ein Begriff, der aus deutscher Sicht eine sachenrechtliche Konnotation hat, in China aber auch im Schuldrecht verwendet wird, übersetzt werden kann, ohne in die Irre zu führen.“

Außerdem, so der Rechtswissenschaftler und Sinologe Pißler, sei es hilfreich, dass die chinesischen Schriftzeichen für juristische Fachtermini auch in Korea und Japan verwendet werden. „Wir können uns auch daran orientieren, welche Lösungen bei der Übertragung von koreanischen und japanischen Rechtsbegriffen und Rechtsinstituten in die deutsche Sprache gefunden wurden.“

Unverzichtbares Vorwissen

In die Übersetzung fließen erhebliches Wissen über die chinesische Rechtskultur sowie ein tiefgehendes Verständnis des chinesische Rechtsdenkens ein. Nur mit Hilfe der im Institut jahrzehntelang aufgebauten Expertise lässt sich eine Übersetzung erarbeiten, in der die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum deutschen Recht klar erkennbar sind. Dabei sei es, so Pißler, immer wieder eine Herausforderung abzuwägen, in welchem Maß man dafür sorgt, dass deutschsprachige Leserinnen und Leser aus dem eigenen Rechtssystem Vertrautes wiederfinden, ohne ihnen den Blick in die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Besonderheiten des chinesischen Zivilrechts zu versperren.

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