Das islamische Erbrecht: Mechanismen seiner Reform und soziale Praxis

Tagung

  • Beginn: 22.10.2021 13:00
  • Ende: 23.10.2021 13:30

Am 22. und 23. Oktober 2021 richtete die Forschungsgruppe gemeinsam mit der Gesellschaft für Arabisches und Islamisches Recht (GAIR) eine Tagung zum islamischen Erbrecht am Institut aus. Die Tagung ist die erste Veranstaltung des Erbrechtsprojektes „Von Generation zu Generation: Vermögenstransfer durch Erbrecht, Vertrag und religiöse Stiftungen im islamischen Recht“ der Forschungsgruppe.

Die in Kooperation mit der GAIR ausgerichtete Tagung hatte das Ziel, Reforminitiativen und Mechanismen des Erbrechts sowie der Erbrechtspraxis in islamischen Ländern nachzuspüren. Ein erster Schwerpunkt lag dabei auf staatlichen und nichtstaatlichen Reforminitiativen, ein zweiter auf der Erbrechtspraxis und der Frage, wie Muslime im Rahmen des Vermögensübergangs islamisches Erbrecht einbeziehen und ausschließen.

Eröffnet wurde die Tagung von Prof. Dr. Irene Schneider, 1. Vorsitzende der GAIR und Professorin an der Georg-August-Universität Göttingen, und Nadjma Yassari, die das aktuelle Erbrechtsprojekt ihrer Forschungsgruppe vorstellte. Im Anschluss daran fand zunächst die pandemiebedingt verschobene Vergabe des GAIR-Dissertationspreises 2020 an Dr. Abdelaali El Maghraoui für seine Arbeit zum Thema „Geld im islamischen Erbrecht – Die Grundzüge einer Geldtheorie nach der Rechtslogik ausgewählter klassisch-muslimischer Gelehrter“ statt, die dieser daraufhin dem Publikum vorstellte. Des Weiteren wurde Frau Dr. Dr. h.c. Silvia Tellenbach vom MPI zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg für ihre langjährige Arbeit und ihre zahlreichen Beiträge für die GAIR geehrt.

Prof. Dr. Hans-Georg Ebert, emeritierter Professor der Universität Leipzig, beleuchtete zunächst in einem Einführungsvortrag die Grundlagen des sunnitischen Erbrechts und hob insbesondere Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Rezeption erbrechtlicher Regelungen in den arabischen Ländern hervor. Prof. Dr. Norbert Oberauer von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster berichtete im Anschluss über religiöse Stiftungen (waqf) und deren Genese als islamisches Rechtsinstitut. Oberauer erläuterte, wie die Institution des waqf in der Frühzeit des Islams aus zwei Vorläufern, der sogenannten ḥabs fī sabīl Allāh, einer Stiftung zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes, und der sogenannten ʿumrā, einer Form der dauerhaften Zuwendung an natürliche Personen, entwickelt wurde. Erweitert wurde der Blick auf den waqf durch einen Vortrag von Dominik Krell, Mitarbeiter der Forschungsgruppe, zum waqf und den Rechten der Töchter im Saudi-Arabien der Gegenwart. Der Vortrag zeigte, inwieweit saudische Gelehrte und Gerichte Familienstiftungen erlauben, die lediglich Abkömmlinge in der väterlichen Linie begünstigen. Im Fokus stand hierbei die Frage, wie das islamische Erbrecht mittels solcher Familienstiftungen umgangen wird.

Den zweiten Veranstaltungstag eröffnete Dr. Imen Gallala-Arndt, ehemalige Mitarbeiterin der Forschungsgruppe, nun affiliiert am MPI für ethnologische Forschung Halle, mit einem Vortrag zur Reform des tunesischen Erbrechts. Gallala-Arndt illustrierte anhand von Beispielen aus der Geschichte Tunesiens den politischen und sozialen Kontext verschiedener Reformvorhaben der vergangenen Jahrzehnte und erläuterte, warum diese meist schwer umzusetzen waren. Mit einem Praxisbericht aus dem Iran stellte Khashayar Biria, Mitarbeiter der Forschungsgruppe, eine Vertragskonstruktion zur Regelung der Rechtsnachfolge außerhalb des Erbrechts vor. Die sogenannte ṣolḥ-e ʿomrā wird im Iran regelmäßig verwendet, um v.a. Immobilien vor Tod des Erblassers auf die Erben übergehen zu lassen. Biria zeigte, dass die maßgebliche Motivation hierfür die Umgehung der starren Regelungen des iranischen Erbrechts und die Vermeidung von Erbschaftssteuer ist. Zum Abschluss der Veranstaltung lieferte Dr. Andrea Issad, Notarin aus Heilsbronn, mit ihrem Vortrag zur Frage, ob islamische Testamente in Deutschland wirksam sind, einen Einblick in die Inhaltskontrolle von Testamenten im deutschen Erbrecht. Der Vortrag beleuchtete hierbei sowohl dogmatische Fragestellungen im deutschen Recht als auch wichtige praktische Herausforderungen bei der Einbeziehung islamischen Erbrechts in Testamente.

Eine Veröffentlichung der Beiträge in Form eines Symposium Issue der Zeitschrift Welt des Islams ist für 2022/2023 geplant.

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