Neuorientierung um europäischen Privatrecht

25 Jahre Europäische Privatrechtsentwicklung – 25 Jahre ZEuP

Die Europäische Union sah sich gerade in den vergangenen Jahren einer Vielzahl großer Herausforderungen ausgesetzt, von der Finanz- und Schuldenkrise über den aufstrebenden Rechtspopulismus bis hin zum Brexit. Diese Geschehnisse haben sich maßgeblich auf die Entwicklung des europäischen Privatrechts ausgewirkt. So scheint der Traum von einem Europäischen Zivilgesetzbuch vor dem Hintergrund der zunehmenden antieuropäischen Ressentiments jedenfalls vorerst ausgeträumt. Ausgehend von diesem ernüchternden Befund stellt sich die Frage, wie sich die europäische Privatrechtswissenschaft der zunehmenden Ungewissheit in Zukunft stellen sollte.

Dieses Thema wurde im Rahmen der vom C.H. Beck-Verlag unterstützten Tagung „Neuorientierung im Europäischen Privatrecht“ vom 4.–5. Mai 2018 im Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht ausführlich erörtert. Anlass war hierfür das 25-jährige Jubiläum der Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (ZEuP).

Das zweitägige Symposium wurde zum einen als Bestandsaufnahme des geltenden europäischen Privatrechts genutzt, zum anderen aber auch zur Untersuchung von dessen zukünftiger Entwicklung im Lichte der gegenwärtigen Herausforderungen, jeweils in Relation zur Entstehung und Entwicklung der ZEuP.

Idee: Die Jugend an das europäische Privatrecht heranführen

Reinhard Zimmermann eröffnete die Tagung in diesem Sinne mit einer kurzen Darstellung der Gründungsgeschichte der Zeitschrift. Die Idee, eine Zeitschrift des europäischen Privatrechts ins Leben zu rufen, sei im Sommer 1991 auf einer Almwiese am Arlberg entstanden. Von zentraler Bedeutung sei das Bestreben gewesen, das – aus damaliger Sicht – neue Rechtsgebiet des europäischen Privatrechts einer größeren Zahl an Juristen zugänglich zu machen, insbesondere jenseits von Experten des Unionsrechts. Dieses Ziel der ZEuP habe bereits in ihrem Gründungsmanifest im Jahr 1993 Erwähnung gefunden, genieße aber nach wie vor große Aktualität.

folgte ein kurzer Beitrag des Lektoratsleiters des Verlages C.H. Beck Dr. Thomas Schäfer, der weitere Anekdoten zur Gründungsgeschichte der ZEuP erzählte. So sei bereits am 11. Mai 1992 in einer Telefonnotiz des Verlages zu einem Gespräch mit Jürgen Basedow die Absicht zum Ausdruck gekommen, die Jugend mittels der ZEuP an den europäischen Gedanken heranzuführen.

Europäisches Privatrecht in Zeiten von Brexit, Rechtspopulismus und Schuldenkrise

Hieran schloss sich eine inhaltliche Einführung in das Thema der Tagung samt Überblick über die folgenden Beiträge durch Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) an. Zwar bestehe gegenwärtig keine Aussicht auf die absehbare Kodifikation eines Europäischen Zivil- oder Handelsgesetzbuches. Zudem sehe sich die Union verschiedenen Bedrohungen in Gestalt des Brexits, des Rechtspopulismus und der Schuldenkrise ausgesetzt. Dennoch sei auch ein gewisser Stolz auf das Erreichte angebracht, einschließlich der hehren Grundwerte der Europäischen Union. Vor allem aber sei offensichtlich, dass nur eine starke Rechtsund Wirtschaftsgemeinschaft in diesen unsicheren Zeiten Bestand haben könne.

Sektorielles EU-Recht und allgemeine Privatrechtssystematik

Den ersten Fachvortrag hielt Prof. Dr. Thomas Ackermann (Ludwig-Maximilians-Universität München) zum Thema „Sektorielles EU-Recht und allgemeine Privatrechtssystematik“. Er vertrat die These, das Privatrecht beruhe nicht auf einer stringenten vorpositiven Struktur, die es zu ergründen gelte. Deshalb sei die Kritik an der fehlenden Systematisierung der europäischen Rechtsakte teilweise fehlgeleitet. Die Wissenschaft solle sich stattdessen insbesondere darauf konzentrieren, systematische Bezüge zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht herzustellen und zu erläutern. Ferner könne eine Systematisierung der existierenden Privatrechtsakte gewinnbringend für die Rechtspraxis und die Vorbereitung künftiger Gesetzgebung sein.

Auf Ackermanns Referat folgte ein Kommentar von Basedow. Hierin betonte dieser insbesondere die Gefahr, unionsrechtliche Vorschriften aufgrund der fehlenden Kohärenz des europäischen Privatrechts bei der Rechtsanwendung zu übersehen. Dieses Problem stelle sich gerade aufgrund der aktuellen Tendenz, einzelne privatrechtliche Regelungen in Verordnungen aufzunehmen, die weit überwiegend öffentlich-rechtlicher Natur sind. Als mögliche Antwort auf die fehlende Stimmigkeit des Unionsprivatrechts schlug Basedow die Schaffung einer Dienststelle vor, welche neu zu erlassende Rechtsakte auf ihre Kohärenz prüfen solle.

In der anschließenden Diskussion wies Prof. Dr. Ulrich Magnus (Universität Hamburg) auf die positiven Aspekte der Systematisierung des europäischen Privatrechts hin. Der Schwerpunkt der Debatte lag sodann auf der Frage, ob ein Privatrechtssystem zwingend einer vor- bzw. naturrechtlichen Grundlage bedürfe, wie Prof. Dr. Reiner Schulze (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) und Prof. Dr. Oliver Remien (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) postulierten. Demgegenüber vertraten Ackermann und Prof. Dr. Gerhard Wagner (Humboldt-Universität zu Berlin), dass sich Kohärenzanforderungen ausschließlich aus dem gesetzten Recht ableiten ließen. Dies folge schon aus dem Demokratieprinzip: Grenze der einfachen Gesetzgebung sei nicht ein vorpositives System, sondern nur die Verfassung. Der Systemgedanke dürfe dementsprechend nicht überhöht werden.

Auswirkungen des (zwingenden) EU-Verbraucherschutzrechts

In ihrem Beitrag setzte sich Prof. Dr. Brigitta Lurger (Karl- Franzens-Universität Graz) mit den Auswirkungen des (zwingenden) EU-Verbraucherschutzrechts auseinander. Hierbei bediente sie sich verschiedener Methoden von der ökonomischen Analyse des Rechts bis hin zu behavioral law and economics. Auf dieser Grundlage stellte sie acht Thesen zum Stand des EU-Verbraucherschutzrechts auf. Im Ergebnis sei die Kritik an der mangelhaften inhaltlichen Ausgestaltung des EU-Verbraucherschutzrechts teilweise berechtigt. Verbesserungen könnten aber insbesondere durch den verstärkten Einsatz empirischer Forschung erreicht werden.

In seinem Kommentar zu dem Referat von Lurger ging Gerhard Wagner auf die unterschiedlichen Zielrichtungen des allgemeinen Vertragsrechts als dispositive Lückenfüllung zur Erleichterung des Rechtsverkehrs im Gegensatz zu dem zwingenden europäischen Verbraucherschutzrecht ein.

Es schloss sich eine Diskussion an, in welcher Kieninger auf die fehlende Berücksichtigung der empirischen Forschung zu Verbraucher-Informationspflichten durch die Europäische Kommission hinwies. Prof. Dr. Christiane Wendehorst (Universität Wien) mahnte an, die Kohärenz zwischen dem europäischen Verbraucherschutzrecht und den nationalen Rechtsordnungen zu wahren.

Rolle wissenschaftlicher Entwürfe eines Europäischen Privatrechts

In seinem Vortrag zur Rolle wissenschaftlicher Entwürfe eines Europäischen Privatrechts unterstrich Prof. Dr. Pietro Sirena (Universität Bocconi) die Bedeutung der nationalen Rechtsordnungen als Grundlage eines einheitlichen europäischen Privatrechts. Dabei dürften die jeweiligen nationalen Gesetzbücher nicht isoliert betrachtet, sondern müssten vielmehr im Lichte der dazugehörigen Rechtskultur, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft gesehen werden. Demnach sollten zukünftig gerade allgemeine nationale Zivilrechtlerinnen und Zivilrechtler stärker in die Diskussion eingebunden und die dogmatischen Grundlagen der nationalen Rechtsordnungen berücksichtigt werden.

Zimmermann kommentierte diesen Vortrag mit Ausführungen zu den verschiedenen wissenschaftlichen Modellregelungen, wie dem Draft Common Frame of Reference. Um einen Überblick über das Labyrinth an Texten zu gewinnen, sei eine vergleichende Evaluation der verschiedenen Modellregelungen erforderlich. Gerade in Anbetracht der fehlenden Rechtsprechung zu diesen Entwürfen handele es sich zunächst nur um ein dürres Gerippe, welches eines entstehungsgeschichtlichen Kommentars bedürfe. Nur so könnten sich letztlich allgemeine Grundregeln herausbilden.

Zum Abschluss des ersten Tages des Symposiums wurde sodann vor allem die Aussicht auf ein Europäisches Zivilgesetzbuch diskutiert. Prof. Dr. Winfried Tilmann (Hogan Lovells, Düsseldorf) gab sich insoweit optimistisch, allerdings gelte es zunächst, die „Pause“ bis zur Wiederaufnahme der aktiven Kodifikationsbestrebungen sinnvoll zu nutzen. Schulze vertrat die Ansicht, die bisherigen Entwürfe stellten lediglich einen Zwischenstand dar, es bedürfe in erster Linie eines fortschreitenden regen wissenschaftlichen Diskurses.

Folgen des Brexits für das englische und das europäische Privatrecht

Der zweite Tag wurde von Prof. Dr. Horst Eidenmüller (University of Oxford) mit einem Vortrag zu den Folgen des Brexits für das englische und das europäische Privatrecht eröffnet. Darin führte er aus, aufgrund des Brexits würden englische Rechtsprodukte in Zukunft nicht mehr in gleicher Weise in Kontinentaleuropa berücksichtigt werden. Hierdurch verliere die EU den innovativen Einfluss des englischen Rechts. Überdies gebe es für den Bürger dann weniger Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Regelungsalternativen. Dies sei dem Wettbewerb der Rechtsordnungen und damit letztlich auch der rechtlichen Innovation abträglich, wie Eidenmüller anhand von Beispielen aus dem Unternehmens-, Insolvenz- und Vertragsrecht erläuterte.

Brexit: Statutenwechsel und Acquis communautaire

Prof. Dr. Marc-Philippe Weller (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) schloss sich mit einem Kommentar zum Thema Brexit: Statutenwechsel und Acquis communautaire an. Der Brexit werde eine Vielzahl an Statutenwechseln mit sich bringen, welche eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Beteiligten bedeuten würden. Ferner wirke sich der Brexit auf das geltende Unionsrecht aus: da dieses unter Berücksichtigung des Rechts des Vereinigten Königreiches entstanden sei, müsse es neu verhandelt sowie revidiert ausgelegt werden („Acquis révisé“).

Ausdehnung des Europäischen Privatrechts auf Drittstaaten am Beispiel Georgiens

Daraufhin präsentierte Prof. Dr. Lado Chanturia (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Straßburg) seinen Beitrag zur Ausdehnung des Europäischen Privatrechts auf Drittstaaten am Beispiel Georgiens. Auf dem Weg zur angestrebten EU-Mitgliedschaft habe Georgien im Rahmen eines Assoziierungsabkommens Teile des Unionsrechts übernommen. Die Europäisierung des georgischen Privatrechts gehe als kulturhistorischer Prozess aber durchaus mit einigen Schwierigkeiten einher. Gerade die strengeren Regulierungen im Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzrecht seien nicht unumstritten, zumal sie sich nicht nahtlos in das bisherige georgische Geschäftsklima einfügen würden.

Aufbauend hierauf beschäftigte sich Prof. Dr. Reiner Schulze (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) mit der Frage, auf welchem Wege und in welcher Gestalt europäisches Privatrecht im Allgemeinen von Drittstaaten übernommen werden kann. So sei neben einer institutionellen Einbindung von Drittstaaten über Assoziierungsabkommen auch eine autonome Rezeption des Privatrechts möglich. Als schwierig könne es sich allerdings erweisen, EU-Regelungen in das sozio-kulturelle Umfeld von Drittstaaten einzufügen. Deshalb sei die Europäisierung ein langwieriger Vorgang, der Geduld erfordere.

Podiumsdiskussion „Neuorientierung im Europäischen Privatrecht“

Abgerundet wurde das Symposium schließlich durch eine Podiumsdiskussion zu dem übergeordneten Tagungsthema „Neuorientierung im Europäischen Privatrecht“ zwischen Prof. Dr. Uwe Blaurock (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Prof. Dr. Axel Flessner (Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Heike Schweitzer (Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. Christiane Wendehorst (Universität Wien), geleitet von Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger (Julius-Maximilians-Universität Würzburg). Die Diskutanten setzten dabei unterschiedliche Akzente, häufig inspiriert durch die vorangegangenen Vorträge und Diskussionen. So kam insbesondere die zuvor thematisierte „Pause“ bis zur Wiederaufnahme der aktiven Kodifikationsbemühungen auf europäischer Ebene erneut zur Sprache. Kontrovers war dabei, ob es sich möglicherweise sogar um das dauerhafte Ende der Kodifikationsaussichten handele. Insgesamt überwog aber eine optimistischere Deutung, wonach das Pendel mittel- bis langfristig wieder in eine proeuropäischere Richtung schwingen werde. Einigkeit herrschte dahingehend, dass die Zwischenzeit oder „Pause“ nicht primär als missliches Hindernis gesehen werden sollte, sondern vielmehr als Chance, um die Wissenschaft voranzutreiben und die Grundlagen für die künftige Weiterentwicklung des europäischen Privatrechts zu schaffen.

Ausblick: Die Ziele der ZEuP sind von ungebrochener Aktualität

Auch das Schlusswort von Kieninger war optimistisch gestimmt: trotz der vielen Herausforderungen gebe es keinen Grund zu verzagen. Die regen wie bereichernden Beiträge und Diskussionen während der Tagung hätten stattdessen gezeigt, dass das europäische Privatrecht weiterhin Anlass zur Hoffnung biete. Damit richtet sich der Blick nach vorne auf weitere 25 Jahre ZEuP. Gerade in Zeiten der Ungewissheit sind die im Gründungsmanifest der Zeitschrift verankerten Ziele von ungebrochener – oder vielmehr besonderer – Aktualität. Wann, wenn nicht heute, sollte die Jugend an den europäischen Gedanken herangeführt werden?

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