Chinesische Stiftungen zwischen Parteistaat und Zivilgesellschaft

24. Juni 2020

Der Nonprofit-Sektor (oder auch Dritte Sektor) hat in China in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Dazu gehört die wachsende Zahl gemeinnütziger Stiftungen, die Aufgaben übernehmen, die früher den Regierungsbehörden vorbehalten waren. In einem Gemeinschaftsprojekt haben Knut Benjamin Pißler, Leiter des Kompetenzzentrums China und Korea am Max-Planck-Institut für Privatrecht, und Katja Levy (TU Berlin) erstmals die Situation gemeinnütziger Stiftungen in China untersucht, insbesondere deren Rolle in dem autoritären politischen System Chinas. Die Ergebnisse der Studie liegen unter dem Titel „Charity with Chinese Characteristics“ vor.

Das rasche Wirtschaftswachstum Chinas nach der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik ab Ende 1978 und die damit verbundene Entstehung einer Mittelschicht waren der Grundstein, auf dem sich der so genannte Dritte Sektor seit den 1980er Jahren in China entwickeln konnte. Ende 2018 zählte China 787.949 formell anerkannte Nonprofit-Organisationen, 6.822 davon waren Stiftungen.

Mit der Publikation „Charity with Chinese Characteristics“ liegt erstmals eine Untersuchung der Entwicklung, der Funktionen sowie der derzeitigen Situation gemeinnütziger Stiftungen in China vor. Die Studie basiert auf umfangreichen empirischen Daten sowie eingehenden Textanalysen, zudem entwickelten die Autor*innen Knut Benjamin Pißler und Katja Levy ein analytisches Modell, das "Functional Governance Model", anhand dessen sie die Funktionen gemeinnütziger Stiftungen in Chinas Gesellschaft ermitteln. Der interdisziplinäre Ansatz ermöglicht einen umfassenden Überblick über die gegenwärtigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, in denen chinesische gemeinnützige Stiftungen arbeiten, sowie eine Bewertung ihrer historischen und traditionellen Kontexte.

Wie die Untersuchung zeigt, haben Chinas Stiftungen, obwohl sie in ein autoritäres politisches System eingebettet sind, das Potenzial, dieselben Funktionen zu erfüllen wie Stiftungen in anderen Ländern. Nichtsdestotrotz haben die jüngsten rechtlichen und politischen Entwicklungen diesen nicht nur Hindernisse in den Weg gelegt, sondern die Stiftungen auch in bestimmte Funktionsbereiche gelenkt, die für die chinesische Regierung von besonderem Interesse sind.

Katja Levy, Knut Benjamin Pißler, Charity with Chinese Characteristics – Chinese Charitable Foundations between the Party-state and Society, Elgar, Cheltenham 2020, 320 S.

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