Rechtsvergleichung mit Japan

Rechtsvergleichung mit Japan

Zur Rolle Japans und seines Rechts

Japan zählt zu den führenden Wirtschaftsmächten der Welt und spielt in Asien eine zentrale politische Rolle. Japan war lange Zeit der einzige nicht westliche Staat, der wirtschaftlich und politisch auf Augenhöhe mit den westlichen Industriestaaten stand, in seiner historischen und kulturellen Prägung jedoch asiatisch blieb. Als einziges asiatisches Land verfügt Japan seit mehr als einem Jahrhundert über ein modernes funktionsfähiges Rechtssystem westlicher Prägung, das zudem seit Jahrzehnten fest in eine demokratisch verfasste Gesellschaft eingebettet ist.

Die anhaltende Bedeutung Japans und damit implizit auch die seines Rechts steht außer Frage. Die Ausstrahlung des Recht Japans in andere Staaten Ostasiens war und ist erheblich. Das moderne japanische Recht bildet eine Mischrechtsordnung. Als Ergebnis einer vielschichtigen Rezeptionsgeschichte findet sich heute in Japan eine Gemengelage aus Rechtsfiguren unterschiedlicher Rechtsordnungen, nicht zuletzt der deutschen, die ihrerseits wiederum in eine andere Rechtstradition und Rechtsmentalität eingebettet sind.

Im Jahr 2011 hat sich die freundschaftliche und historisch unbelastete Beziehung zwischen Japan und Deutschland (zunächst Preußen) zum 150. Male gejährt. Diese Beziehung war schon früh eine auch vom Rechtsaustausch geprägte. Diese Tradition gilt es weiterzuentwickeln und zudem auch die Chance wahrzunehmen, in einer rechtlichen Zusammenarbeit mit dem japanischen Partner das deutsche Engagement in der asiatischen Region zu vertiefen und damit auf die Herausforderung zu reagieren, die aus der stetig zunehmenden politischen wie wirtschaftlichen Bedeutung Asiens für die Zukunft erwächst.


Rechtsentwicklung in Japan

Bei dem modernen japanischen Recht handelt es sich um eine mehrfach gestufte Mischrechtsordnung, um ein sogenanntes mixed legal system. Am Anfang der Rechtsentwicklung in Japan steht ein religiös geprägtes Recht, dessen Ursprünge in die frühen Kulturen des Südpazifiks reichen. Bereits in dieser frühen Phase, also in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, bilden sich eine Reihe bis heute charakteristischer Elemente der japanischen Rechtsauffassung heraus, in der die konsensorientierte Konfliktlösung eine wichtige Rolle spielt. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts setzt eine umfassende Rezeption chinesischen Rechts und chinesischer Staatsorganisation ein, die sich über das 7. und 8. Jahrhundert erstreckt. Die großen kulturellen Unterschiede zwischen Japan und China führen allerdings zu einer erheblichen Assimilation konfuzianischer Ordnungsvorstellungen an die japanische Wirklichkeit.

Eine zweite große Rezeptionswelle, diesmal des europäischen Rechts, beginnt nach dem Umbruchjahr 1868, dem Anfang der sogenannten Meiji-Restauration. Diese leitet eine Öffnung des Landes und eine systematische Übernahme westlicher Institutionen ein und stellt damit einen historischen Wendepunkt in der Entwicklung Japans dar. In einer Kulturleistung, die ihresgleichen sucht, gelingt es Japan als erstem asiatischem Land innerhalb von nur drei Jahrzehnten, ein modernes funktionsfähiges Rechts- und Justizsystem nach dem Vorbild insbesondere des deutschen, aber auch des französischen und anderer europäischer Rechte aufzubauen. Nach 1945 kommt es aus geschichtlichen Gründen im Zuge der alliierten Besatzung zu einer dritten großen Rezeption, die sich eng am US-amerikanischen Recht orientiert. In deren Mittelpunkt steht neben dem Verfassungs- vor allem das Wirtschaftsrecht. Die neu rezipierten Institutionen überlagern in Teilen die zuvor aus Europa übernommenen.

Alle rezipierten westlichen Rechtsfiguren operieren indes in einem gesellschaftlichen Umfeld originär anderer kultureller Prägung. Japan verfügt als alte Kulturnation über eine lange eigenständige Tradition der Regelung sozialer Konflikte, die gänzlich unabhängig von den Europa prägenden Einflüssen des römischen Rechts gestaltet war und die bis heute in starkem Maße durch kooperative Verhaltensweisen und kommunitaristische Strukturen gekennzeichnet ist. Aus diesen verschiedenen Entwicklungssträngen hat sich das moderne japanische Recht in einer Synthese als ein genuin eigenständiges Recht geformt, das sich keiner der herkömmlichen Rechtstraditionen eindeutig zuordnen lässt und von großem rechtsvergleichenden Interesse ist. Dies gilt umso mehr, als sich das jahrzehntelang erfolgreiche Wirtschafts- und Regulierungsmodell Japans zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem paradigmatischen Umbruch befindet, um den aktuellen Herausforderungen eines globalisierten Wirtschaftsgeschehens Rechnung zu tragen. Die dabei gemachten japanischen Erfahrungen gilt es hierzulande nutzbar zu machen.

Rechtsvergleichung mit Japan – Aufgaben des Kompetenzzentrums

Wer am japanischen Recht interessiert ist, sieht sich mit einer erheblichen Sprachbarriere konfrontiert. Damit ist ein zentrales Aufgabenfeld der am Institut betriebenen Rechtsvergleichung mit Japan bereits umrissen: In einem ersten Schritt ist eine Plattform zu schaffen, über die verlässliche Informationen zum japanischen Recht in westlichen Sprachen zur Verfügung gestellt werden können. Dies ist mit der Etablierung und internationalen Verankerung der Zeitschrift für Japanisches Recht / Journal of Japanese Law gelungen, die am Hamburger Institut herausgegeben wird.

Neben der Erarbeitung der handwerklichen Standards für den Umgang mit japanischen Primärquellen, namentlich der komplexen Transkription und Übersetzung japanischer Fach-termini, die inzwischen als deutscher Standard gelten, bedarf eine profunde Analyse des gelebten japanischen Rechts wegen seiner spezifischen Kontextualität und seinen divergierenden Prägungen des Aufbaus eines internationalen Netzwerkes von Experten aus unterschiedlichen Rechtstraditionen als Autoren. Auch dieses ist gelungen und hat sich inzwischen in zahlreichen Symposien im Rahmen der rechtsvergleichenden Triade Europa-Japan-USA bewährt. Wissenschaft und Praxis sind für Informationen zum japanischen Recht in gleicher Weise auf die Möglichkeit angewiesen, auf eine komprimierte westliche Darstellung dieses Rechts oder zumindest wesentlicher Teile desselben zurückgreifen zu können. Eine solche Zugriffsmöglichkeit gibt das am Institut erstellte knapp 2.000 Seiten starke Handbuch Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, das 2011 erschienen ist.

Neben der Schaffung des Zugangs zum Recht Japans gilt es in einem zweiten Schritt, dessen Erkenntnisse für die Rechtsvergleichung fruchtbar zu machen. Dies geschieht etwa, indem das japanische Recht immer häufiger in die rechtsvergleichenden Vorarbeiten für den deutschen Gesetzgeber mit einbezogen wird. Ein Beispiel ist der umfassende Beitrag zu Japan für das Großgutachten des Instituts zur Mediation, in dem die historisch gewachsenen Erfahrungen Japans mit verschiedenen Formen der außergerichtlichen Streitbeilegung eine herausgehobene Rolle spielten.

Herausforderungen

Die Rechtsvergleichung mit außereuropäischen Ländern ist voller Tücken. Sie verlangt in besonderem Maße, der jeweiligen kulturspezifischen Prägung wie auch der gesellschaftlich-institutionellen Dynamik dieser Länder Rechnung zu tragen. Die vergleichende Arbeit mit dem japanischen Recht ist ein Musterbeispiel dafür. Sie erfordert – noch stärker als bei ernsthaft betriebener Rechtsvergleichung ohnehin notwendig – über das Instrumentarium der klassischen funktionalen Rechtsvergleichung hinaus einen erweiterten kulturvergleichend institutionenökonomischen Ansatz in der Vergleichung, der kulturanthropologische, soziologische, ökonomische und auch politische Aspekte mit einbezieht; kurz, eine genuine Rechtsvergleichung im Sinne Ernst Rabels.

Namentlich gilt es, die Diskrepanz zwischen dem Recht und außerrechtlichen Regelungsmechanismen zu erfassen und transparent zu machen. Dabei ist der vermeintlichen Attraktivität und trügerischen Sicherheit einer Rechtsvergleichung zu widerstehen, die normbezogen argumentierend Parallelen behauptet, wo Unterschiede die Rechtswirklichkeit prägen. Ein Beispiel hierfür ist die verbreitete, aber unzutreffende Annahme einer fortdauernden Übereinstimmung zwischen den europäischen bzw. amerikanischen Mutterrechten und dem in Japan rezipierten und weiterentwickelten Recht.

Zur Redakteursansicht