Wissenstransfer

Wissenstransfer

Die Wissenschaftler*innen halten regelmäßig Fachvorträge für Praktiker*innen, insbesondere für die Landesverbände der Standesbeamt*innen sowie die Richterakademien, Ministerien, politische Stiftungen, juristische Vereinigungen und zivilgesellschaftliche Organisationen. Schwerpunkt dieser Veranstaltungen sind das nationale und internationale Ehe- und Ehescheidungsrecht islamischer Länder.

Forschung als Grundlage für Entscheidungen der Gerichte

- EuGH, Urteil v. 26.3.2019 – Rs. C-129/18 (SM ./. Entry Clearance Officer, UK Visa Section): Zur Qualifikation der algerischen kafāla

Am 4. Dezember 2018 verhandelte die große Kammer des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg den Fall SM (Algeria) v Entry Clearance Officer, UK Visa Section. Es ging u.a. um die Frage des Status eines Kindes, das durch eine algerische kafāla-Entscheidung in die Familie eines französischen Paares eingegliedert worden war. Mit dem Begriff kafāla wird eine durch das Gericht angeordnete Kindesannahme im algerischen Recht bezeichnet. Da diese Institution dem englischen Recht fremd ist, war fraglich, ob das Kind als „direct descendant“ oder als „extended family member“ nach den Immigration (European Economic Area) Regulations 2006 zu beurteilen war. Der Supreme Court hatte den Fall dem EuGH zur Auslegung dieser Begriffe vorgelegt. Die Europäische Kommission und das am Verfahren beteiligte AIRE-Center, eine NGO zur Förderung der Kenntnisse über das Europäische Recht, hatten ihren Stellungnahmen zur Rechtsnatur der algerischen kafāla einen Bericht von Nadjma Yassari zugrunde gelegt, den sie 2015 für das Europäische Parlament erarbeitet hatte und in welchem sie nachwies, dass die kafāla eine gesetzlich geregelte Institution des algerischen Rechts ist, die sich von anderen rechtlichen Strukturen gleichen Namens in Nordafrika unterscheidet und zu Anerkennungszwecken als Funktionsäquivalent zur schwachen Adoption fungieren kann. Der EuGH entschied indes, dass nach den Immigration (European Economic Area) Regulations 2006 das Kind nicht als Adoptivkind im Sinne eines „direct descendant“, sondern vielmehr als „extended family member“ (Familienangehöriger) zu behandeln sei. Dieser Begriff, so der EuGH sei geeignet, die Situation eines Kindes zu erfassen, das von Unionsbürgern unter einer Regelung der gesetzlichen Vormundschaft wie der algerischen kafāla betreut wird.

- Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts Saugmandsgaard Øe v. 14.9.2017 – Rs. C-372/16 (Soha Sahyouni ./. Raja Mamisch): Zum islamisch geprägten Scheidungsrecht

Der EuGH entschied im Dezember 2017, dass die Rom III-Verordnung nicht das auf Privatscheidungen anwendbare Recht bestimmt. In dem ihm durch das OLG München vorgelegten Fall ging es um eine Privatscheidung durch einseitige Willenserklärung des Ehemannes. Der EuGH folgte mit seiner Entscheidung im Wesentlichen dem Vorschlag des Generalanwalts Henrik Saugmandsgaard Øe. In seiner Stellungnahme hatte Saugmandsgaard Øe darauf hingewiesen, dass trotz der grundsätzlichen Einschätzung, das Diskriminierungsverbot des Artikels 10 Rom III-Verordnung fordere eine abstrakte Ordre-public-Prüfung, nicht angenommen werden dürfe, auf dieser Grundlage seien islamisch inspirierte Scheidungsrechte in der Regel auszuschließen. Hierbei verweisen die Schlussanträge explizit auf die Analyse Lena-Maria Möllers, die sich in ihrem Aufsatz „No Fear of Ṭalāq: A Reconsideration of Muslim Divorce Laws in Light of the Rome III Regulation“ mit Fragen des gleichberechtigten Zugangs zur Scheidung innerhalb unterschiedlicher nationalstaatlicher Familienrechtssysteme islamischer Länder auseinandersetzt.

Lena-Maria Möller, No Fear of Ṭalāq: A Reconsideration of Muslim Divorce Laws in Light of the Rome III Regulation, Journal of Private International Law 10, 3 (2014), 461–487.

- BGH, Urteil v. 6.10.2004, BGHZ 160, 332-354: Zur kollisionsrechtlich gebotenen Anwendung islamisch-schiitischen Rechts durch deutsche Gerichte

Der BGH hatte in einem Familienrechtsfall zweier iranischer Staatsangehöriger die Frage zu entscheiden, ob das berufene, auf religiösem Recht beruhende iranische Recht in einem deutschen Gericht angewendet werden durfte. Das Urteil bezog sich weitgehend auf die Forschungen von Nadjma Yassari zum iranischen Recht und ihre Stellungnahme vor dem Ausschuss für Menschenrechte des deutschen Bundestages, BT-Aussch.Drucks. 15(16)0098. Das Höchstgericht folgte der Analyse von Nadjma Yassari, wonach das iranische Recht, ungeachtet seines religiösen Fundaments, staatliches Recht ist und vor deutschen Gerichten Anwendung findet.


Vorträge und Fortbildungen für die Landes- und Bundesverbände der Standesbeamt*innen und die Richterakademien

Seit 2002 gibt Nadjma Yassari Fortbildungsveranstaltungen für die Hamburger Familienrichter*innen an den Richterakademien in Wustrau und Lüdersberg und an den Oberlandesgerichten.

Alle Mitglieder der Forschungsgruppe halten regelmäßig Vorträge vor den Landesverbänden der Standesbeamt*innen. Zu den Themen dieser Vortragsreihe gehören das nationale und internationale Ehe- und Kindschaftsrecht, die Anwendung islamisch geprägten Rechts vor deutschen Gerichten, die Bedeutung von staatlichem und nichtstaatlichem Familienrecht und die Anerkennung ausländischer Scheidungen im deutschen Rechtsraum. (siehe auch: Veranstaltungen)


Workshops für politische Stiftungen, Ministerien und zivilgesellschaftliche Organisationen

Die Wissenschaftler*innen der Gruppe werden auch von den politischen Stiftungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen für Fortbildungen und Vorträge nachgefragt.

Im Oktober 2019 konzipierte und organisierte Dörthe Engelcke einen Workshop für die Friedrich-Ebert-Stiftung, der marokkanische und jordanische Richter in Amman zusammenbrachte, um sich über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in beiden Rechtsordnungen auszutauschen und zu erörtern, wie sich Unterschiede im materiellen und formellen Recht auf die Rechtslage von Frauen und Kindern auswirken. Ziel war es, den interregionalen Wissensaustausch in Bezug auf Familienrechtsreformen zu fördern, um Kenntnisse über unterschiedliche Reformansätze im Familienrecht zu erlangen.

Im Januar 2019 hat Dominik Krell für Vertreter*innen zahlreicher Bundesministerien ein Briefing über das saudische Justizsystem bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin gegeben. Dabei ging es insbesondere um das Zusammenspiel zwischen Reformen im Rechtssystem und den aktuellen politischen Entwicklungen im Königreich.

2018 leitete Dörthe Engelcke zwei Fortbildungsveranstaltungen der Diakonie Hamburg zu Frauenrechten in islamischen Ländern. Inhaltlich setzten sich die Fortbildungen vor allem mit Geschlechterfragen in der Theologie, der rechtlichen Regulierung von Sexualität und der Entwicklung des Familienrechts auseinander. Die Fortbildungen wurden vor allem von den Mitarbeiter*innen der Partnerorganisationen der Diakonie, die in der Arbeit mit Geflüchteten tätig sind, besucht.

Im November 2017 leitete Lena-Maria Möller auf Einladung von Missing Children Europe im Rahmen der Veranstaltung „Bouncing back: Conference on the wellbeing of children in cases of international child abduction“ in Antwerpen, Belgien, zwei Workshops zum Kindeswohl-Prinzip im islamischen Rechtskreis.

Im Juni 2017 referierten Nadjma Yassari und Lena-Maria Möller im Rahmen eines Expertentreffens zu Mediation in Fällen mit muslimischem Kontext des Vereins MiKK e.V. Mediation bei internationalen Kindschaftskonflikten in Berlin zum Kindschaftsrecht islamischer Länder.

Im März 2016 nahm Lena-Maria Möller auf Einladung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, des kanadischen Außenministeriums und des Doha International Family Institute am Regionalseminar „Protecting the best interests of the child in cross-border family disputes“ der Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrates in Doha, Katar, teil und referierte zu Fragen des Kindeswohl-Prinzips im Familienrecht ausgewählter Golfstaaten.

Im November 2009 sprach Nadjma Yassari auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung auf einer durch das ägyptische Verfassungsgericht organisierten Veranstaltung zur informellen Eheschließung in den islamischen Ländern in Kairo.


Expertenwissen für das Auswärtige Amt und die deutschen Vertretungen im Ausland

Schließlich geben die Mitglieder der Forschungsgruppe ihr Wissen auch an das Auswärtige Amt und die deutschen Botschaften weiter.

So gab Dominik Krell im Sommer 2018 während seiner Feldforschung in Saudi-Arabien in der deutschen Botschaft in Riad ein Briefing zum saudischen Justizsystem. Dabei ging es vor allem um die derzeitigen Entwicklungen in der saudischen Justiz und um menschenrechtliche Fragen. Daneben traf er sich u.a. mit den Menschenrechtsbeauftragten der kanadischen, australischen, französischen und britischen Botschaften, um Einblicke in das aktuelle saudische Rechtssystem zu geben.

Zudem beraten Nadjma Yassari und Lena-Maria Möller regelmäßig deutsche Auslandsvertretungen in Fragen des internationalen und islamisch geprägten Ehe-, Scheidungs- und Kindschaftsrechts.

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