Corporate Purpose aus gesellschaftsrechtlicher Sicht

Corporate Purpose aus gesellschaftsrechtlicher Sicht

Eine Unternehmensphilosophie sucht nach neuen juristischen Lösungen

Brauchen moderne Unternehmen einen Existenzgrund, der über die reine Gewinnorientierung hinausgeht? Viele Vorstände im In- und Ausland folgen heute dem sogenannten Corporate-Purpose-Konzept. Es wird von führenden Stimmen aus der Managementlehre empfohlen und dient dazu, den erkennbaren Sinn und inneren Antrieb eines Unternehmens zu ermitteln. Eine grundlegende Neuausrichtung unternehmerischer Tätigkeit scheint sich abzuzeichnen.

Corporate Purpose hat sich in den letzten Jahren international als Management-Philosophie etabliert. Führende Purpose-Protagonisten unterbreiten inzwischen auch rechtspolitsche Vorschläge, etwa eine obligatorische Verankerung des Corporate Purpose in der Satzung oder Say-on-Purpose-Abstimmungen der Aktionäre in der Hauptversammlung. Institutsdirektor Holger Fleischer untersucht mit seiner wirtschaftsrechtlichen Arbeitsgruppe am Institut das Themenfeld Corporate Social Responsibility (CSR). Welche Perspektiven sieht er für eine Verankerung des Corporate-Purpose-Konzepts im Gesellschaftsrecht?

Corporate Purpose und CSR – woher kommen diese so modern anmutenden Konzepte?

„Die Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, insbesondere von Konzernen, hat in den letzten Jahren enorm an Schwung gewonnen. Der CSR-Gedanke hat aber tiefe historische Wurzeln. Schon die Gesellschaftsverträge der ersten großen oberitalienischen und süddeutschen Handelsgesellschaften sahen die Einrichtung eines ‚Konto Gottes‘ vor, über das bestimmte Gewinnanteile regelmäßig wohltätigen Zwecken zuflossen. Die Beteiligung Bedürftiger am Unternehmensgewinn setzte sich über die Jahrhunderte in diversen Formen korporativer Freigebigkeit fort und zeigt sich beispielsweise auch im Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns.

Frühe Vorläufer hat auch die Idee einer schon im Unternehmenszweck angelegten sozialen Nützlichkeit der Gesellschaft. So mussten etwa nach dem Preußischen Aktiengesetz von 1843 gegründete Gesellschaften in ihren Statuten einen gemeinnützigen Zweck ausweisen. Ähnliche Erfordernisse gab es auch in anderen Rechtsordnungen, wie etwa im US-amerikanischen Korporationsrecht des ausgehenden 18. Jahrhunderts.“

Welche Forderungen richtet die Purpose-Philosophie an die heutige Gesetzgebung?

„In Abgrenzung zur CSR mit ihrem Fokus auf Philanthropie und Stakeholder-Beziehungen setzt Corporate Purpose auf wirtschaftlichen Erfolg durch gesamtgesellschaftlich nützliche Aktivitäten: „Doing Well by Doing Good“ (Colin Mayer). Daraus erwächst etwa die Forderung, Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, einen Corporate Purpose in ihrer Satzung zu verankern. Ganz so einfach lässt sich die Brücke zwischen Managementlehre und Gesellschaftsrecht jedoch nicht schlagen.“

Lässt sich Corporate Purpose überhaupt in rechtliche Verpflichtungen übersetzen?

„Management-Experten und Gesellschaftsrechtler reden hier häufig aneinander vorbei, weil es keine einheitliche Terminologie gibt. Der Begriff des Corporate Purpose im Sinne der Managementlehre deckt sich weder mit dem Unternehmensgegenstand noch mit dem Gesellschaftszweck des deutschen Aktienrechts. Der französische Reformgesetzgeber hat 2019 allen Gesellschaften die Möglichkeit eröffnet, freiwillig eine raison d’être in ihre Satzung aufzunehmen. Seit 2018 empfiehlt der UK Corporate Governance Code dem board die Festlegung des company’s purpose. In den Vereinigten Staaten wird aktuell darüber diskutiert, ob die Maximierung des Shareholdervalue als Zielvorgabe für Leitungsorgane korrigiert werden soll.“

Welche Perspektiven gibt es für die Unternehmenspraxis?

„Die Formulierungen, mit denen internationale Unternehmen heute ihren Sinn und Antrieb zum Ausdruck bringen, reichen von ‚First Move the World‘ von Mercedes-Benz bis zu ‚We connect for a better future‘ von Vodafone oder ‚to organize the world’s information and make it universally accessible and useful‘ von Google. Sie sind fester Bestandteil unternehmerischer Selbstdarstellung, lassen aber viel Spielraum für Interpretationen und sind daher als Steuerungsinstrument wenig geeignet. Außerdem werfen sie eine Reihe ungeklärter Rechtsfragen auf. Daher überrascht es nicht, dass bisher noch kein DAX30-Unternehmen seinen Corporate Purpose in die Satzung aufgenommen hat.

Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die freiwillige Erarbeitung eines Purpose-Konzepts höchst sinnvoll sein kann. Im Gegenteil: Es erscheint plausibel, dass eine strukturierte Purpose-Suche bisher unentdeckte Wertschöpfungspotenziale zu Tage fördert und zur Schärfung des Geschäftsmodells beiträgt. Als zwingender Satzungsbestandteil verspricht der Corporate Purpose im Sinne der Managementlehre aber keinen rechten Gewinn.“

Braucht es also für die Realisierung des Corporate-Purpose-Konzepts neue Gesellschaftsformen?

„Als zukunftsweisendes Beispiel ist hier die benefit corporation US-amerikanischer Provenienz zu nennen. Varianten dieser Gesellschaftsform, die Gewinn- und Gemeinwohlorientierung miteinander verbindet, haben inzwischen in Italien und Frankreich Fuß gefasst. Der Ruf nach solchen Dual-Purpose-Konzepten verdient auch in Deutschland eine ernsthafte Prüfung. Mehr Diversität stimuliert den Entdeckungswettbewerb um neue Gesellschaftstypen, was grundsätzlich zu begrüßen ist.“



Weiterführende Literatur

Holger Fleischer, Corporate Purpose: Ein Management-Konzept und seine gesellschaftsrechtlichen Implikationen, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2021, 5–16.
Holger Fleischer, Corporate Purpose: A Management Concept and its Implications for Company Law, European Company and Financial Law Review 2021, 161–189.

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