Das Recht der Familiengesellschaften

Das Recht der Familiengesellschaften

12. April 2018

Familienunternehmen rücken zusehends in den Fokus der gesellschaftsrechtlichen Forschung. Dies ist nicht weiter verwunderlich: 91 Prozent aller Gesellschaften in Deutschland sind Familienunternehmen; sie beschäftigen 57 Prozent aller Arbeitnehmer und erzielen 55 Prozent des Umsatzes im privaten Sektor. Auch andernorts bilden sie vielfach das Rückgrat der Volkswirtschaft. Um das Recht der Familiengesellschaften sowie das damit verbundene Thema der Familienverfassung rechtsvergleichend wie auch interdisziplinär zu diskutieren, hat Institutsdirektor Holger Fleischer eine Konferenzserie initiiert. Zudem widmet er sich den Themen in verschiedenen Publikationen.

In seinem Beitrag „Familiengesellschaften und Familienverfassungen: Eine historisch-vergleichende Standortbestimmung“ veranschaulicht Holger Fleischer im zeitlichen Längsschnitt, welcher Rechtsformen sich Familiengesellschaften bedient haben bzw. bedienen und analysiert die von ihnen verabschiedeten Familienverfassungen:

Familienunternehmen haben die Ausformung des Gesellschaftsrechts von seinen frühen Anfängen geprägt. An der Wiege der altrömischen societas stand die von den Erben des paterfamilas fortgesetzte Hausgemeinschaft (consortium ercto non cito), die man häufig auch als Brüdergemeinschaft bezeichnete. Im Mittelalter wirkten Familienunternehmen als Promotoren der compagnia, accomenda und oHG. Von der compagnia – wörtlich: Gemeinschaft des Brotes – machten im 14. Jahrhundert etwa die Medici bei der Gründung ihres Florentiner Bankhauses Gebrauch, das als ein wahrer Personengesellschaftskonzern organisiert war. Außerdem nutzten sie die accomenda, die ihnen ein Florentiner Gesetz von 1408 zur Verfügung gestellt hatte. Hierzulande bildete der Gesellschaftsvertrag der Gebrüder Ulrich, Georg und Jakob Fugger von 1494 einen der ersten oHG-Verträge überhaupt.

Gesellschaftsformen mit beschränkter Haftung

Der nächste große Entwicklungssprung vollzog sich im späten 19. Jahrhundert durch die Einführung neuer Gesellschaftsformen mit beschränkter Haftung. In Deutschland hatte man gerade für Familien- und Erbengesellschaften einen dringenden Reformbedarf ausgemacht, dem der Gesetzgeber mit dem GmbH-Gesetz von 1892 Rechnung trug. In England wandelten viele Familienbetriebe ihr Kleinunternehmen in eine private company um, was das House of Lords in der berühmten Salomon-Entscheidung von 1897 billigte. Den Formwechsel von der partnership in eine Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung unternahmen aber auch große Wirtschaftsdynastien, in England etwa das Bankhaus Baring nach einem Beinahe-Zusammenbruch im Jahre 1890, in den Vereinigten Staaten die Rockefellers 1870 zur Erschließung neuer Finanzquellen.

Rechtsformvielfalt im 20. und 21. Jahrhundert

Im 20. und 21. Jahrhundert zeichnet sich das Bild der Familiengesellschaften in Deutschland durch eine enorme Rechtsformvielfalt aus. Neben den zahlreichen Grundtypen einschließlich der KGaA (z.B. Merck) haben vor allem Typenkombinationen an Beliebtheit gewonnen – von der GmbH & Co. KG bis hin zur SE & Co. KGaA (z.B. Bertelsmann). Viele Nachbarländer kommen demgegenüber mit weniger Rechtsformen aus und stehen auch Typenkombinationen kritisch gegenüber.

Die Familienverfassung

Immer mehr Familienunternehmen ergänzen ihr gesellschaftsrechtliches Grundgerüst heutzutage durch eine so genannte Familienverfassung, in der sie ihren kollektiven Wertekanon und ihre unternehmensbezogenen Zielvorstellungen verbriefen. Dieses moderne Steuerungsinstrument hat frühe Vorläufer in den sog. Hausgesetzen des Spätmittelalters, mit denen Familien des Hochadels (z.B. Habsburg, Hohenzollern) familien- und erbrechtliche Festlegungen außerhalb der bürgerlichen Gesetze trafen. Patriarchen des nationalen und internationalen Geldadels (z.B. Rothschild, Peugeot, Schlumberger) taten es ihnen später gleich, indem sie Leitlinien für ihr Familienunternehmen aufstellten.

Die Kernthemen der heutigen Familienverfassungen sind mit ihren gesellschafts-, familien- und erbrechtlichen Bezügen weithin gleich geblieben. Geändert hat sich vor allem die Art und Weise, wie diese Leitlinien festgelegt werden: Sie werden nicht mehr einseitig von den Familienoberhäuptern des Hoch- oder Geldadels dekretiert, sondern in einem gemeinsamen Prozess von allen Familienmitgliedern konsentiert. Dieser Erstellungsprozess ist häufig ebenso bedeutsam wie sein Ergebnis.

Holger Fleischer, Familiengesellschaften und Familienverfassungen: Eine historisch-vergleichende Standortbestimmung, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2017, 1201–1210.

Beiträge zum Thema Familienverfassung

Die Familienverfassung erfreut sich zunehmender Beliebtheit. In ihr legt die Unternehmerfamilie gemeinsame Werte und Antworten auf potenzielle Konfliktfragen nieder. Bisher wurde der Familienverfassung, deren Entwicklung in erster Linie von betriebswirtschaftlicher Seite begleitet wird, keinerlei rechtliche Relevanz zugesprochen. Der Rechtswissenschaftler Holger Fleischer widerlegt diese These. Um Funktion und Wirkung der Familienverfassung zu erklären, stellt er sie in den Gesamtzusammenhang der Family Business Governance. Hierunter versteht man einen übergreifenden Ordnungsrahmen, der die drei Teilbereiche eines Familienunternehmens – Unternehmen, Familie, Gesellschafter – miteinander verbindet und aufeinander abstimmt.

Siehe auch: Holger Fleischer: Die Familienverfassung: Vertrag ohne Schwert?

Holger Fleischer, Family Firms and Family Constitutions: A Legal Primer, European Company Law 15 (2018), 11–20.
Holger Fleischer, Das Rätsel Familienverfassung: Realbefund – Regelungsnatur – Rechtswirkungen, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 37, 32 (2016), 1509–1519.

Züricher Tagung und Buchpublikation zum Recht der Familiengesellschaft

Den Auftakt der Veranstaltungen zum Recht der Familiengesellschaften bildete eine gemeinsam mit Susanne Kalss (Wirtschaftsuniversität Wien) und Hans-Ueli Vogt (Universität Zürich) organsierte Tagung, deren Erträge nun in einem umfangreichen Sammelband vorliegen. Dieser Band widmet sich den gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Spezialproblemen von Familiengesellschaften. Er behandelt Rechtsformalternativen für Familienunternehmen, die Bedeutung einer Familienverfassung, das Family Office, Kapitalmarkt-Compliance für börsennotierte Familienunternehmen, die Steuerung des Anteilseignerkreises und Rechtsfragen des Generationenübergangs.

Holger Fleischer, Susanne Kalss, Hans-Ueli Vogt (Hrsg.), Recht der Familiengesellschaften, Mohr Siebeck, Tübingen 2017, VIII + 302 S.

Interdisziplinäre Tagung: Hamburg Conference on the Law and Management of Family Firms

Eine Premiere fand am 14. und 15. September 2017 im Hamburger Max-Planck-Institut statt: Unter der Leitung von Holger Fleischer, Direktor am MPI, und Stefan Prigge, Professor an der Hamburg School of Business Administration und Forschungsleiter am Institut für Mittelstandsforschung, hatten sich erstmals Managementforscher und Gesellschaftsrechtler aus Wissenschaft und Praxis zusammengefunden, um über die Fächergrenzen hinweg über Fragen der Family Business Governance zu diskutieren. Als zentrales Thema hatten sie die „Family Constitution“ gewählt, die nicht nur in den Vereinigten Staaten und Australien, sondern auch in Europa immer größere Bedeutung gewinnt: als pacte familial in Frankreich, protocolo familiar in Spanien, charte familiale in Belgien, patto di famiglia in Italien und Familienverfassung in Deutschland. Insgesamt zehn Referate beleuchteten dieses moderne Instrument der Corporate Governance aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Ein Tagungsband ist in Vorbereitung. Wegen der erfreulichen Resonanz findet dieses interdisziplinäre Forum im Herbst 2018 eine Fortsetzung, diesmal zu dem Generalthema „Financing the Family Firm“.





Headerbild: © iStock / AlexD75

Portrait Holger Fleischer: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

Vertragsunterzeichnung: © iStock / stevecoleimages

Gruppenbild: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

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