„Hamburger Leitlinien“ bieten der Rechtspraxis Orientierung in internationalen Gerichtsfällen

11. Oktober 2023

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht veröffentlicht die „Hamburger Leitlinien für die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts in deutschen Verfahren“ (www.hhleitlinien.de). Diese sollen dazu beitragen, den Umgang mit ausländischem Recht in deutschen Verfahren rechtskonform, transparent und effizient zu gestalten. Nach intensivem Austausch mit Wissenschaftler*innen innerhalb und außerhalb des Instituts, Richter*innen, Anwält*innen und anderen Praktiker*innen haben Institutsdirektor Ralf Michaels und Jan Peter Schmidt, Leiter des Kompetenzzentrums zur Anwendung ausländischen Rechts, die Leitlinien finalisiert und am 9. Oktober 2023 am Oberlandesgericht Hamburg der Öffentlichkeit vorgestellt.

Wer vertritt eine nach dem Recht der Cayman Islands gegründete Gesellschaft? Unter welchen Voraussetzungen kann ein englisches Unternehmen von seinem deutschen Vertragspartner Schadensersatz wegen verspäteter Lieferung verlangen? Ist ein maschinenschriftliches Testament, das ein deutscher Tourist während eines Urlaubs in Zypern erstellt hat, formgültig? Längst gehören internationale Rechtsfragen wie diese vor deutschen Gerichten zur Tagesordnung. Was viele nicht wissen: Deutsche Gerichte müssen in diesen Fällen oftmals ausländisches Recht ermitteln und anwenden – und das haben die deutschen Richter*innen in der Regel nicht studiert.

Das Gericht kann für die Ermittlung ausländischen Rechts auf verschiedene Hilfsmittel zurückgreifen, darunter das Sachverständigengutachten, das in aller Regel bei deutschen Expert*innen zu ausländischen Rechtsordnungen in Auftrag geben wird. Wie mehrere Universitätsinstitute erstellt auch das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht im Auftrag deutscher Gerichte Gutachten zu vielen der weltweit rund 200 verschiedenen Rechtsordnungen.

„Das Gutachtenverfahren hat sich im Grunde bewährt“, erklärt Institutsdirektor Ralf Michaels. „Allerdings stellen seine rechtlichen und praktischen Probleme alle Beteiligten im Alltag immer wieder vor Herausforderungen. Genau an dieser Stelle setzen die Hamburger Leitlinien an.“

Die Hamburger Leitlinien sollen Gerichten, Sachverständigen und den Parteien sowie ihren Vertretern eine Orientierung in internationalen Gerichtsfällen bieten. Neben allgemeinen Vorschriften zu den Zielen der Gutachtenpraxis sowie der Rollenverteilung zwischen Gericht, Sachverständigen und Parteien enthalten die Leitlinien daher drei in Einzelparagraphen aufgeteilte Artikel, die sich jeweils an eine der genannten Gruppen richten und nach Möglichkeit alle relevanten Fragen behandeln. Zugleich bilden die Leitlinien die Vorgaben ab, die aus Gesetz und Rechtsprechung folgen, insbesondere der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

„Besonders wichtig war uns, dass die Hamburger Leitlinien allen Beteiligten eine konkrete Hilfestellung im Alltag bieten“, erklärt Jan Peter Schmidt, der am Institut das Kompetenzzentrum für die Anwendung ausländischen Rechts leitet und in dieser Funktion das Gutachtenwesen am Institut koordiniert. „Sie sind daher in enger Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtspraxis entstanden und beruhen auf praktischen Erfahrungen aller Beteiligten, vor allem der Gerichte sowie der Institute, die regelmäßig Gutachten erstellen.“

Im Rahmen der feierlichen Launch-Veranstaltung am 9. Oktober 2023 im Plenarsaal des Oberlandesgerichts Hamburg attestierte dessen Präsident Dr. Marc Tully in seiner Begrüßung den Hamburger Leitlinien eine große Praxisrelevanz: „Sie sind ein großer Gewinn für die deutsche Zivilrechtspraxis.“ Stephanie Zöllner, Vorsitzende Richterin des 3. Zivilsenats, die an der Ausarbeitung der Hamburger Leitlinien mitgewirkt hatte, würdigte diese aus Sicht der Richterschaft: „Die Hamburger Leitlinien sind eine unschätzbare Hilfeleistung. Sie erleichtern die Arbeit, nehmen die Angst vor der Anwendung ausländischer Rechtsordnungen und helfen dabei, Fehler zu vermeiden.“

Das Institut bringt in dieses Gemeinschaftsprojekt seine fast 100-jährige Gutachtenerfahrung ein, mit der es auch seine aus internationaler und rechtsvergleichender Grundlagenforschung gewonnenen Erkenntnisse in den Dienst der Allgemeinheit stellt. Gleichzeitig sind die Leitlinien ein Meilenstein eines langfristig angelegten Forschungsprojekts, bei dem es sich Ralf Michaels und Jan Peter Schmidt zur Aufgabe gemacht haben, das Gutachtenwesen zum ausländischen Recht wissenschaftlich zu beleuchten.

Die Hamburger Leitlinien wurden in einem frei verfügbaren Booklet aufbereitet und sind über die Webseite www.hhleitlinien.de zugänglich.

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht widmet sich der Grundlagenforschung und dem Wissenstransfer im vergleichenden und internationalen Privat- und Wirtschaftsrecht. Das Institut arbeitet an der wissenschaftlichen Konzeption einer künftigen europäischen Privatrechtsordnung und befasst sich auf globaler Ebene mit den durch Rechtsvereinheitlichung aufgeworfenen Herausforderungen.

 


Fotos: © Marlena Staak / Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

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