Lotse im globalen Diskurs

Daniel Bonilla Maldonado im Gespräch

24. August 2023

Private Law Gazette 1/2023 – Rechte der Natur sind in den meisten westlichen Ländern bisher nur Theorie. Gleichzeitig findet die Idee, unsere natürliche Umwelt zu schützen, indem wir sie mit einklagbaren Rechten ausstatten, wachsenden Zuspruch. Doch was genau meinen wir, wenn wir von der Natur sprechen? Daniel Bonilla Maldonado hat die verschiedenen Naturrechtsmodelle, die vor allem im Globalen Süden entwickelt worden sind, in seiner jüngsten Forschung wissenschaftlich begleitet. Gemeinsam mit Institutsdirektor Ralf Michaels hat er einen General Report zum Thema „Global Legal Pluralism – Rights of Nature“ für den General Congress der International Academy of Comparative Law 2022 in Asunción, Paraguay, verfasst. In Hamburg hat er über die Genealogie des Begriffs der Natur als Subjekt in westlichen und nicht-westlichen rechtlichen und politischen Traditionen geforscht.

„Die Geschichte des Begriffs ‚Natur’ ist in den westlichen Kulturen durchaus facettenreich“, sagt der aus Kolumbien stammende Rechtswissenschaftler. „Durchgesetzt hat sich aber die in der judäo-christlichen Tradition, der modernen Wissenschaft und im liberalen Eigentumsbegriff begründete Idee von der Natur als Objekt. Das hat dazu geführt, dass westliche Rechtsordnungen die Natur als etwas betrachten, worüber die Menschen frei verfügen können.“

Angesichts der Klimakrise gibt es inzwischen jedoch weltweit Stimmen, die ein Umdenken fordern und die Natur als autonomes Rechtssubjekt anerkennen wollen. Die wesentlichen Impulse dafür kommen aus Staaten, die bis vor Kurzem wenig Einfluss auf die internationale Rechtsentwicklung hatten. So war Ecuador 2008 das erste Land der Welt, das einklagbare Rechte der Natur in seine Verfassung aufgenommen hat. Bolivien folgte 2010 und 2012 mit der Verabschiedung des Mutter-Erde-Gesetzes. 2017 erklärte die neuseeländische Regierung den Whanganui River zu einer juristischen Person. Federführend beteiligt an diesen Verfassungs- und Gesetzesänderungen waren indigene Gemeinschaften.

Wie genau sah der Weg zu diesen für die Rechte der Natur wegweisenden Rechtsnormen und -grundsätzen aus? Wie wurden sie ausgehandelt? Welche Rechtsvorstellungen liegen ihnen zugrunde? Fragen, die Daniel Bonilla schon lange im Blick hat. In seinem viel beachteten Buch „Legal Barbarians, Identity, Modern Comparative Law and the Global South“ zeigt er auf, dass sich die Rechtsvergleichungslehre bis ins einundzwanzigste Jahrhundert nahezu ausschließlich mit einer Handvoll europäischer und nordamerikanischer Staaten beschäftigt hat. Dies beruht, so seine historische Analyse, auf der Annahme, dass die Länder des Globalen Südens als ungeeignet für die Produktion juristischen Wissens betrachtet wurden.

„So wurden Narrative geschaffen, die uns glauben lassen, dass Recht ein Kulturprodukt ist und, dass die europäische Kultur reichhaltiger und komplexer ist als die Kulturen der restlichen Welt. Die westlichen Rechtssysteme gelten demnach als der Ursprung der wichtigsten Rechtsfamilien. Im Gegensatz dazu werden die Rechtssysteme Lateinamerikas, Afrikas und Asiens lediglich als Abwandlungen ihrer ‚Mutterrechtsordnungen’ verstanden.“

Bei den Themen, denen Bonilla seine wissenschaftliche Arbeit widmet, schöpft er auch aus Erfahrungen, die seinen persönlichen Werdegang geprägt haben. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und ersten Jahren als Professor in Kolumbien ging er nach Yale, wo er promovierte, bevor er Gastprofessuren an verschiedenen Universitäten in den USA und Europa wahrnahm. Er fand es immer bemerkenswert, dass es in den Law Schools des Globalen Nordens nur wenige aus dem Globalen Süden stammende Professor*innen gibt, während diese in anderen Disziplinen durchaus zahlreich vertreten sind.

Auch wenn dieses Gefälle weiterhin vorherrscht, zeichnet sich mit Themen wie den Rechten der Natur eine Wende ab. In ihr sieht Bonilla sowohl in politischer als auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht bezeichnende Entwicklungen. Neu sei etwa, dass ein Dialog zwischen Rechtssystemen des Globalen Südens und Nordens innovative Konzepte für die nationale und internationale Rechtsentwicklung hervorgebracht hat. Bahnbrechend aus erkenntnistheoretischer Sicht sei, dass in den Rechten der Natur indigene Ideen zum Tragen gekommen sind, die zuvor nicht als legitime Quellen für rechtliches und politisches Wissen angesehen worden waren.

„Die Rechte der Natur sind ein hybrides kulturelles Produkt“, stellt Bonilla fest. „Indem sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellen, stehen sie im Widerspruch zur anthropozentrischen Sichtweise, die mit dem modernen Konstitutionalismus und dem Umweltrecht westlicher Prägung einhergeht. Subjektive Rechte hingegen sind ein liberales Rechtskonzept. Sie entstammen einer westlichen Denkweise und sind den politischen und rechtlichen Traditionen der indigenen Völker Ecuadors, Boliviens und Neuseelands fremd.“

Daniel Bonilla ist aber nicht nur Forscher, sondern auch akademischer Lehrer aus Leidenschaft. Davon konnte sich die Institutsgemeinschaft bei mehreren Vorträgen überzeugen, in denen er während seines Aufenthaltes in Hamburg seine aktuelle Forschung vorstellte. Zudem pflegt er die Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur, was seine Publikationen und Vorträge sehr bereichert. So stellt er etwa Beispielen der europäischen Barockmalerei ein Werk des Andenbarocks gegenüber, um europäische und indigene Vorstellungen von Mensch, Natur und Macht herauszuarbeiten. Sein Anliegen: „Ich möchte Kommunikationskanäle zwischen Recht, Literatur und Kunst öffnen, um die Rechte der Natur genauer und umfassender zu untersuchen und sie einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

Was den international und interdisziplinär versierten Wissenschaftler aktuell besonders interessiert, sind die Herausforderungen, die sich bei der Implementierung von Rechten der Natur in bestehende Rechtsordnungen stellen. Er zeigt sich optimistisch: „Wir stehen am Beginn einer Entwicklung mit viel Raum für Interpretation, aber auch mit potenziell grundlegenden Konflikten. Es wird transformative Anpassungen innerhalb einzelner Rechtsordnungen geben müssen. Wir werden sehen, wie Gerichte mit kollidierenden Interessen umgehen. All das sollte uns aber nicht davon abhalten, Analyse und Kritik des globalen Diskurses über die Rechte der Natur weiterzuführen.“


Prof. Dr. Daniel Bonilla Maldonado ist Ordinarius für Rechtswissenschaft an der Universidad de los Andes in Bogotá, wo er Verfassungsrecht, Rechtstheorie und Rechtsvergleichung lehrt. Nach seinem Jurastudium an der Universidad de los Andes absolvierte er einen LL.M. sowie einen Doctor of the Science of Law an der Yale Law School. Für seine Lehre wurde er mehrfach ausgezeichnet. Gastprofessuren und -dozenturen führten ihn unter anderem an die Science Po Law School in Paris, die Fordham Law School in New York, die Universidade de Brasília, die Universidad de Buenos Aires und die Universidad Nacional de Colombia. Von Oktober 2022 bis Februar 2023 war er Senior Visiting Fellow am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt. Von März bis Juni 2023 war er Senior Visiting Fellow am Institut.


Weiterführende Literatur

Daniel Bonilla Maldonado, Global Legal Pluralism and the Rights of Nature, 2023, 44 S., https://ssrn.com/abstract=4510374, 18.07.2023.
Daniel Bonilla Maldonado , Ralf Michaels, Patricia Zalamea, Los derechos de la naturaleza: diálogos entre el derecho y las artes / The rights of nature: Dialogues between law and the arts, Naturaleza y Sociedad. Desafíos Medioambientales (no. 4), 2022, https://doi.org/10.53010/nys4.00, 16.12.2022.




Foto: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

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