Rechte der Natur

Rechte der Natur

In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Recht weltweit zu einem wichtigen Forschungsgegenstand geworden. Die Verankerung von Rechten der Natur in den Verfassungen von Bolivien und Ecuador sowie beispielsweise die Anerkennung der Rechte von Flüssen in Neuseeland und Kanada sowie eines Sees in Indien haben die Aufmerksamkeit von Rechtswissenschaftler*innen sowohl im Globalen Norden als auch im Globalen Süden auf sich gezogen. Die weltweite Bewegung hat mittlerweile auch Europa erreicht, wo die Implementierung von Rechten der Natur in mehreren Ländern diskutiert und angestrebt wird.
Ihr bahnbrechender Ansatz hat auch das Interesse von Institutsdirektor Ralf Michaels und Daniel Bonilla, Professor an der Universidad de los Andes, Kolumbien, geweckt. Gemeinsam haben sie auf dem XXI General Congress der International Academy of Comparative Law als General Rapporteurs zum Thema "Global Legal Pluralism – Rights of Nature" referiert.

Die Forschung über die Rechte der Natur ermöglicht die Untersuchung von vier Aspekten, die für die Rechtsvergleichung und den globalen Rechtspluralismus von besonderem Interesse sind: die Prozesse wechselseitiger Befruchtung zwischen nationalen Rechtssystemen; das Zusammenspiel, Konflikte und gegenseitige Beeinflussung zwischen nationalen Rechtssystemen und internationalem Recht; die Beziehungen zwischen dem transnationalen theoretischen Diskurs, dem internationalen Recht und den nationalen Rechtssystemen; die geopolitische Dimension von juristischem Wissen.



Die Rechte der Natur sind ein spannendes Thema, auch weil es sich um eine Rechtsidee des Globalen Südens handelt, die den Globalen Norden inspiriert, und nicht umgekehrt – also um ein reverse legal transplant. Obwohl die Idee der Naturrechte nicht so gut in die europäische Tradition des 'subjektiven Rechts' passt, stehen diese kulturellen Unterschiede dem transplant nicht grundsätzlich im Weg.“

– Institutsdirektor Ralf Michaels –


Mit dem Projekt werden die folgenden vier Ziele verfolgt:

  • Es soll erforscht werden, wie der Dialog zwischen den Rechtssystemen des Globalen Südens und des Globalen Nordens zur Schaffung nationaler und internationaler Konzepte, Regeln und Prinzipien im Zusammenhang mit den Rechten der Natur beigetragen hat.
  • Es soll die Wechselwirkung zwischen nationalen Rechtssystemen und internationalem Recht untersucht werden, die einen transnationalen Diskurs über die Rechte der Natur sowie die Schaffung nationaler und internationaler Rechtsordnungen ermöglicht hat, welche darauf abzielen, die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu regeln.
  • Es soll die Art und Weise analysiert werden, wie transnationale theoretische Diskurse über die Rechte der Natur mit unterschiedlichen rechtlichen Akteuren auf verschiedenen Ebenen interagiert haben und von diesen genutzt worden sind: von lokalen und transnationalen Nichtregierungsorganisationen und Regierungen bis hin zu internationalen Institutionen, Universitäten, politischen Parteien und einfachen Bürger*innen.
  • Es soll untersucht werden, wie die Schaffung, der Austausch, die Verwendung und die Legitimation von juristischem Wissen den Diskurs über die Rechte der Natur durchdringen.


Um diesen Zielen näherzukommen, erstellen derzeit etwa 25 Wissenschaftler*innen, die überwiegend von den National Committees der International Academy of Comparative Law ausgewählt wurden, auf der Grundlage eines detaillierten Fragebogens Länderberichte über den Untersuchungsgegenstand des Projekts.

Ralf Michaels und Daniel Bonilla haben außerdem verschiedene Wissenschaftler*innen ausgewählt, die Themenberichte über internationale und theoretische Aspekte der Rechte der Natur verfassen werden. Zudem werden die beiden einen General Report erstellen, der eine konzeptionelle Brücke zwischen den Länderberichten und den Themenberichten schlägt. Darin werden die Rechte der Natur in einen Dialog mit Globalisierung und Rechtspluralismus gestellt. Erstere werden dabei nicht nur als Beispiel für Letztere dienen, und Letztere nicht bloßer Vorwand für die Untersuchung Ersterer sein. Im General Report werden vielmehr die spezifischen Untersuchungsziele mit den generellen Zielen verknüpft.


Rechte der Natur sind sowohl in politischer als auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht interessant. Aus politischer Sicht verteidigen Rechte der Natur eine biozentrische Perspektive der Beziehung zwischen Mensch und Natur, die im Widerspruch zur anthropozentrischen Sichtweise steht, die normalerweise mit dem modernen Konstitutionalismus einhergeht. Aus erkenntnistheoretischer Sicht stützen sich die paradigmatischen Ansichten über Rechte der Natur auf eine Art von Wissen, nämlich indigenes Wissen, das im Allgemeinen nicht als legitime Quelle für rechtliches und politisches Wissen angesehen wurde.

– Daniel Bonilla –


Der General Report wird zusammen mit ausgewählten Länder- und Themenberichten nach dem Kongress im Verlag Intersentia erscheinen.
Weitere Informationen zum IACL und dem Kongress
Informationen zur Publikation folgen.

Außerdem haben Ralf Michaels und Daniel Bonilla zusammen mit Patricia Zalamea die Ausgabe "The Rights of Nature: Dialogues between Law and the Arts" der Zeitschrift "Naturaleza y Sociedad" als Guest Editors herausgegeben. Darin werden die zeitgenössischen Debatten über die Rechte der Natur aus rechtlicher und künstlerischer Sicht kritisch beleuchtet:

Daniel Bonilla Maldonado , Ralf Michaels, Patricia Zalamea (Hrsg.), Los derechos de la naturaleza: diálogos entre el derecho y las artes (Naturaleza y Sociedad. Desafíos Medioambientales no. 4/2022).



Headerbild:
2017 wurde dem neuseeländischen Fluss Whanganui als erstem Fluss der Welt der Status einer juristischen Person zugesprochen. © shutterstock / PK289

Portrait Ralf Michaels: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

Portrait Daniel Bonilla: privat

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