Nachruf auf Susanne und Axel Flessner

Susanne Flessner † 18. November 2022, Axel Flessner † 26. November 2022

21. Dezember 2022

Im Abstand von nur wenigen Tagen sind Susanne Flessner im Alter von 90 Jahren und Axel Flessner im Alter von 86 Jahren verstorben. Beide wirkten im internationalen und europäischen Privatrecht und waren dem Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht stets eng verbunden. Tatsächlich waren sie über das Institut auch miteinander verbunden – sie begannen hier fast gleichzeitig im Jahr 1961 und verließen das Institut ebenfalls fast gleichzeitig knapp zwanzig Jahre später.

Susanne Flessner, geb. am 18. Dezember 1931, stammte aus Bremen und entwickelte schon während ihres Hamburger Studiums der Rechtswissenschaft Interesse an den südosteuropäischen Rechtsordnungen. Ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut begann sie am 1. Januar 1961. Zunächst wirkte sie dort redaktionell, aber auch inhaltlich an der „Darstellung des deutschen Familienrechts mit rechtsvergleichenden Hinweisen“ (1964/65) des damaligen Institutsdirektors Hans Dölle mit. Axel Flessner, geb. am 22. Dezember 1935, hatte in seiner Geburtsstadt Hamburg sowie in Freiburg, München und New Orleans Rechtswissenschaft studiert. Er begann seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Max-Planck-Institut am 1. August 1961. Seine von Konrad Zweigert betreute rechtsvergleichende Dissertation war dem Bereicherungsrecht gewidmet (1970 erschienen). Doch nicht nur akademisch, sondern auch ganz handfest war Axel Flessner im Institut aktiv: Sein praktischer Sinn zeigte sich in seiner umfangreichen Mitwirkung bei der Klärung von Baufragen anlässlich der Errichtung des damaligen Seitenflügels des Hamburger Planck-Instituts.

Besonders hervorgehoben sei für die Leser dieser Zeitschrift die Tätigkeit des Ehepaars Flessner für RabelsZ, bei der sie sich zeitweise einzelne Redaktionsaufgaben teilten. Über mehr als ein Jahrzehnt, von 1970 bis in das Jahr 1980, lag die Gesamtredaktion der Zeitschrift in den Händen von Susanne Flessner. Den für einen Überblick und eine kritische Diskussion des Schrifttums wichtigen Rezensionsteil verantwortete von 1972 bis 1980 Axel Flessner.

Nach seiner Habilitation an der Universität Hamburg schied Axel Flessner im Jahr 1980 aus dem Institut aus und übernahm einen Lehrstuhl an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Von 1994 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2000 hatte er an der Humboldt-Universität zu Berlin den Lehrstuhl für deutsches, europäisches und internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung inne.

Als Hochschullehrer blieb Axel Flessner seinen bisherigen Forschungsfeldern treu und entwickelte sie weiter. Kennzeichnend für ihn war, dass er vielfach gleichermaßen die kollisionsrechtlichen, rechtsvergleichenden und einheitsrechtlichen Aspekte seiner Themen bearbeitete. Dabei durchleuchtete er nicht nur die einzelnen Wege zur Bewältigung grenzüberschreitender Rechtsverhältnisse, sondern untersuchte auch ihr Verhältnis zueinander im Rahmen europäischer und internationaler Regelungsansätze.

Von seinen vielfältigen und zahlreichen Beiträgen können hier nur einige erwähnt werden. Er hat an der Entwicklung des europäischen Privatrechts aktiv mitgewirkt, war zugleich aber auch kritischer Beobachter. Dies gilt für die Entwicklung von Prinzipien des europäischen Privatrechts, aber auch für Einzelfragen wie das Finden einer europäischen Position zum Schadensrecht und den Leistungsstörungen. Axel Flessner war zudem von Beginn an Mitherausgeber der seit 1993 erscheinenden Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (ZEuP).

Ein Schwerpunkt seines wissenschaftlichen Wirkens lag auf dem Insolvenzrecht. Seine rechtsvergleichend und rechtspolitisch angelegte Habilitationsschrift, die ebenso wie die Dissertation in der Schriftenreihe des Instituts erschien, widmete sich vor allem der Sanierung und Reorganisation von Großunternehmen (1982). In der Arbeit geht es um die Aufstellung und Durchführung eines Sanierungsplans, nachdem zugunsten des Unternehmens die „Atempause“ des Sanierungsverfahrens einsetzt. Später wirkte Axel Flessner an der Entwicklung des europäischen Insolvenzrechts mit. So gab er beim Jahrestreffen des Vereins der Freunde des Hamburger Max-Planck-Instituts 2005, das dem europäischen und internationalen Insolvenzrecht gewidmet war, die Einführung in das Thema.

Axel Flessner beschäftigten immer wieder Methodenfragen im internationalen Privatrecht. Das gilt vor allem für die Entwicklung einer „realistischen“ Interessenjurisprudenz, welche die wirklichen Parteiinteressen besser bewältigen soll (1990). Viele Einzelfragen fanden sein Interesse, wie etwa die Parteiautonomie im Sachenrecht, die Rolle der lex fori und die internationale Forderungsabtretung. Nicht durchsetzen konnte er sich mit seinem Plädoyer für ein fakultatives Kollisionsrecht (1970).

Die Europäisierung der Juristenausbildung war Axel Flessner wichtig. Er war einer der Sprecher des von 1996 bis 2004 bestehenden Graduiertenkollegs „Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht“ an der Humboldt-Universität.

Vielfalt und Mehrsprachigkeit waren für ihn unentbehrliche Bausteine auch für eine Kultur des europäischen Privatrechts. Dabei warnte er vor Bequemlichkeit angesichts des immer weiter fortschreitenden Vordringens der englischen Sprache. So waren die Rolle und Beachtung der deutschen Sprache als Wissenschaftssprache, aber auch als Gerichtssprache, weitere Anliegen, für die er sich aktiv einsetzte. Juristische Methode und europäisches Privatrecht war das Thema seiner Abschiedsvorlesung vom 9. Juli 2001. Bei der Entwicklung innovativer und einheitlicher Lösungen bildete der vergleichende Blick für ihn stets einen wichtigen Ausgangspunkt.

Sein seit Längerem geplantes „Europäisches Vertragsrecht“ (das ursprünglich Teil eines gemeinsam mit Hein Kötz zu verfassenden Gesamtwerks sein sollte) konnte Axel Flessner noch fertigstellen. Bei seinen regelmäßigen Besuchen der Institutsbibliothek arbeitete er bis zuletzt an dem Band, der nun postum erscheinen wird.

In der jüngeren Vergangenheit galt Axel Flessners Sorge den Herausforderungen durch den internationalen Investitionsschutz und die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Die Problematik der bilateralen Freihandelsabkommen der Europäischen Union, in denen er im Hinblick auf das deutsche Verfassungsrecht und das Unionsrecht eine nicht zu rechtfertigende „Selbstermächtigung und Selbstentmachtung“ sah, beschäftigte ihn immer wieder. Nicht nur die Souveränität, sondern auch das Demokratieprinzip sah er in Gefahr.

Zum 31. Juli 1980, fast zeitgleich mit ihrem Mann, schied Susanne Flessner aus dem Hamburger Max-Planck-Institut aus und übernahm von 1982 bis 2009 die Schriftleitung der Zeitschrift „Das Standesamt“ (StAZ) des Frankfurter Verlags für Standesamtswesen. Hier befasste sie sich nicht nur mit Fragen des Personenstandswesens – Markenzeichen der Zeitschrift war und ist neben dem Praxisbezug auch die wissenschaftliche Vertiefung von Fragen des in- und ausländischen Familienkollisions- sowie -verfahrensrechts. Vor allem für die zahlreichen in- und ausländischen Reformvorhaben gilt die StAZ als ein wichtiger Ort der Information und Diskussion. Susanne Flessner reiste zu vielen Fachtagungen und pflegte den Kontakt zu den Autoren, insbesondere aber auch zu den Verbänden der Standesbeamten, vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Zusätzlich zur Tätigkeit in der Schriftleitung der StAZ übernahm Susanne Flessner im juristischen Lektorat des Verlages weitere Aufgaben und beschäftigte sich besonders mit der Sammlung Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht. Diese einzigartige Loseblattsammlung liefert in nunmehr 25 Ordnern und als Online-Version in über 150 Länderberichten zuverlässige und aktuelle Informationen. Gegenstand der einheitlich gestalteten Länderberichte sind neben dem für Anknüpfungsfragen relevanten Staatsangehörigkeitsrecht die Gebiete Eherecht, Kindschaftsrecht, Namensrecht, internationales Privatrecht sowie internationales Verfahrensrecht. Die von Susanne Flessner entwickelte Struktur gab der Sammlung, die in den vergangenen Jahrzehnten im Sach- und Kollisionsrecht zahlreiche Veränderungen bewältigen musste, ein einheitliches Gesicht. Bearbeiter sind vielfach auch gegenwärtige und frühere Mitarbeiter des Hamburger Max-Planck-Instituts, wodurch Susanne Flessner auch in dieser Schaffensphase dem Institut verbunden blieb.

Axel und Susanne Flessner wurden im Kreis ihrer Hamburger wie auch der späteren Kolleginnen und Kollegen außerordentlich geschätzt. Entsprechendes gilt für Axel Flessners Tätigkeit als akademischer Lehrer. Bei seinen gründlichen wissenschaftlichen Analysen hat er auch immer wieder eigenständige Positionen bezogen. Durch ihr Wirken als sachkompetente Lektorin und Schriftleiterin hat Susanne Flessner vielfach die Basis für den Diskurs im komplexen europäischen Rechtsraum geschaffen. Beider Tod bedeutet den Verlust weitblickender, außerordentlich produktiver und engagierter Forscher und Wissenschaftler. In ihrer Familie hinterlassen sie ihre Töchter Melanie und Camilla.


Dieter Martiny


Der Nachruf wird in Heft 1/2023 der Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (RabelsZ) erscheinen.

Zur Redakteursansicht