Art. 2: Leitlinien für Gerichte




§ 1 Identifizierung des anwendbaren Rechts


1. In Deutschland gilt grundsätzlich deutsches Recht. Es gibt aber Fälle, in denen dieses deutsche Recht, insbesondere das IPR, es erforderlich macht, ausländisches Recht anzuwenden oder zu berücksichtigen. Das ist vor allem in folgenden Situationen der Fall:

  • Das in Deutschland geltende IPR beruft ausländisches Recht zur Anwendung.
  • Es fragt sich, ob ein Tatbestandsmerkmal einer deutschen Norm durch einen ausländischen Rechtsvorgang erfüllt werden kann („Substitution“).
    Beispiel: Kann die „notarielle Beglaubigung“ i.S.d. § 129 BGB durch einen ausländischen Notar erfolgen?
  • Die Parteien eines Rechtsgeschäfts (z.B. eines schuldrechtlichen Vertrages oder einer letztwilligen Verfügung) gingen von der Anwendung eines ausländischen Rechts aus, sodass dieses bei der Auslegung zu beachten ist („Handeln unter falschem [d.h. nicht anwendbarem] Recht“).
  • Ausländische Verhaltensvorschriften, etwa am ausländischen Unfallort geltende Straßenverkehrsregeln, sind auf Tatbestandsebene zu berücksichtigen (z.B. nach Art. 17 Rom II-VO).
  • Im Rahmen eines inländischen Verfahrens muss geprüft werden, ob und wann die Rechtshängigkeit eines ausländischen Verfahrens eingetreten ist.
  • Im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung einer außereuropäischen Gerichtsentscheidung muss die Frage der Gegenseitigkeit i.S.d. § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO beantwortet werden.
  • Im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Gerichtsentscheidung ist zu prüfen, ob das ausländische Verfahren mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.
  • Im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Titels muss festgestellt werden, ob dieser nach dem Recht des Entscheidungsstaates rechtskräftig bzw. vollstreckbar ist (z.B. im Rahmen von behördlich titulierten Unterhaltsansprüchen).
  • Im Rahmen eines Strafverfahrens ist zu klären, ob ein dem ausländischen Familienrecht unterliegender Vorgang (z.B. eine Eheschließung) ein Zeugnisverweigerungsrecht begründet.
  • Im Steuerrecht wird durch sog. Korrespondenzregeln („linking rules“) der Eintritt bestimmter Rechtsfolgen (z.B. Berücksichtigung von Aufwendungen als Betriebsausgaben) davon abhängig gemacht, wie der zugrunde liegende Sachverhalt nach ausländischem Steuerrecht zu bewerten ist (z.B. §§ 4i und 4k EStG).

In all diesen Fällen muss die Frage, ob es auf ausländisches Recht ankommt (im Unterschied zur Frage nach dem Inhalt des ausländischen Rechts selbst), vom Gericht selbstständig beantwortet werden (vgl. → Art. 1 § 1 Ziff. 1).

2. Die Anwendung des in Deutschland geltenden IPR schließt auch Fragen seiner Auslegung ein, z.B. hinsichtlich der Feststellung einer „offensichtlich engeren Verbindung mit einem anderen Staat“ i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO. Ebenso vom deutschen Gericht zu entscheiden sind, jedenfalls im Grundsatz, Probleme der sog. Qualifikation, also z.B. die Frage, ob die Regeln über das Beweismaß oder den Anscheinsbeweis dem anwendbaren ausländischen Deliktsrecht zu entnehmen sind oder dem deutschen Prozessrecht (zur Qualifikation auch → Art. 3 § 4 Ziff. 3, 4).

3. Zu den vom Gericht zu klärenden Fragen gehört auch, ob die in Deutschland geltenden Regelungen des IPR auf ausländische Sachvorschriften verweisen (Sachnormverweisung) oder auf ausländisches IPR (Gesamtverweisung) (vgl. Art. 4 Abs. 1, 2 EGBGB). Im zweiten Fall hängt das anwendbare Recht vom Inhalt des ausländischen IPR ab; zu dessen Ermittlung und Auslegung kann sich das Gericht, anders als beim in Deutschland geltenden IPR, der Hilfe eines Sachverständigen bedienen (→ Art. 2 § 5). Die Prüfung des ausländischen IPR ist auch dann in der Entscheidung auszuweisen, wenn es keine Rückverweisung ausspricht (vgl. aber auch → Art. 2 § 1 Ziff. 5).

Beispiele:

  • Hat das Kind, dessen Abstammung festgestellt werden soll, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich, so ist gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB zu prüfen, ob das französische IPR auf deutsches Recht zurückverweist oder auf das Recht eines weiteren Staates weiterverweist („Renvoi“).
  • Ist der Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Südafrika gestorben, ist gemäß Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 EuErbVO das südafrikanische IPR auf eine Rück- oder Weiterverweisung hin zu prüfen. Wie viele andere außereuropäische Rechtsordnungen unterwirft das südafrikanische IPR unbewegliches Nachlassvermögen dem Recht des Belegenheitsortes, sodass es hinsichtlich deutscher Nachlassgrundstücke zu einer Rückverweisung kommt.

Rechtsprechung: BGH, Beschl. v. 4.10.1990 – XII ZB 200/87, IPRspr 1990-73 (= NJW 1991, 3088 (3090)).

4. Verweisen die in Deutschland geltenden Regeln des IPR auf eine ausländische Rechtsordnung, die mehrere Teilrechtsordnungen enthält (vgl. Art. 4 Abs. 3 EGBGB), hat das Gericht selbst zu prüfen, ob die von ihm angewandte IPR-Regel die maßgebliche Teilrechtsordnung unmittelbar bezeichnet oder ob zunächst die internen Kollisionsnormen des ausländischen Rechts zu befragen sind. Zu deren Ermittlung kann sich das Gericht der Hilfe eines Sachverständigen bedienen, ebenso wie zur Frage, ob überhaupt eine Mehrrechtsordnung vorliegt.

Beispiele:

  • Für die Formgültigkeit eines schuldrechtlichen Vertrags verweist Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO auf das Recht des Abschlussortes. Lag dieser in den USA, wird damit auf das Recht eines Staates verwiesen, der viele territoriale Teilrechtsordnungen enthält (nämlich die der einzelnen US-Bundesstaaten, die das Privatrecht grundsätzlich eigenständig regeln). Gemäß Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO gilt in diesem Fall jede Gebietseinheit als eigener Staat, sodass Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO unmittelbar auf das Recht desjenigen Bundesstaates verweist, in dem der Vertrag geschlossen wurde (also z.B. auf das Recht von Florida bei Vertragsabschluss in Miami).
  • Wird hingegen in einem Erbfall auf das Recht der USA verwiesen (z.B. weil der Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in den USA gestorben ist, vgl. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO), so ist gemäß Art. 36 Abs. 1 EuErbVO zunächst zu prüfen, ob es interne Kollisionsregeln der USA gibt, die den Bundesstaat bestimmen, dessen Recht anwendbar ist. Da es solche Regeln in den USA nicht gibt, ist das anwendbare bundesstaatliche Recht über Art. 36 Abs. 2 EuErbVO zu ermitteln.
  • Das pakistanische Familienrecht ist interreligiös gespalten; Angehörige unterschiedlicher Religionen werden nach unterschiedlichem Recht behandelt. Verweist nun das deutsche IPR auf das pakistanische Recht (z.B. weil ein Pakistani eine Ehe eingegangen ist, vgl. Art 13 Abs. 1 EGBGB), so bestimmt gemäß Art. 4 Abs. 3 S. 1 EGBGB das pakistanische interpersonale Kollisionsrecht, welches religiöse Recht anzuwenden ist.


5. Wenn alle in Betracht kommenden Rechtsordnungen in der Sache zum selben Ergebnis führen, kann die Frage, welches dieser Rechte anwendbar ist, in der Regel offenbleiben. Erst die Berufungsgerichte müssen die Frage des anwendbaren Rechts grundsätzlich entscheiden, weil nur deutsches, nicht aber ausländisches Recht revisibel ist. Ausnahmsweise können auch die Berufungsgerichte die Frage offenlassen, wenn das ausländische Recht gegen den Ordre public verstieße und deutsches Recht damit jedenfalls als Ersatzrecht zur Anwendung käme.

Rechtsprechung: OLG Hamburg, Beschl. v. 29.3.2021 – 2 W 17/20, IPRax 2023, 90.

Erläuterung: In FamFG-Verfahren gilt das über die Berufungsgerichte Gesagte entsprechend für die Beschwerdegerichte.


§ 2 Ermittlung des ausländischen Rechts von Amts wegen


1. Das Gericht hat das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln und grundsätzlich so anzuwenden, wie es von Gerichten des betreffenden Landes angewendet wird bzw. angewendet würde.

Rechtsgrundlage: § 293 ZPO.

Erläuterung: Die Ermittlung des in einem anderen Staat geltenden Rechts obliegt dem Tatgericht auch insoweit, als von ihm die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union abhängt (BGH, Urt. v. 25.1.2022 – II ZR 215/20, BeckRS 2022, 5369).
In Ehe- und Familienstreitsachen ist § 293 ZPO über § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG entsprechend anwendbar. In nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Rechtsprechung zu § 293 ZPO ebenfalls zu berücksichtigen.

2. Das Gericht muss, wenn es bei der Entscheidung auf ausländisches Recht ankommt, dies mit den Parteien erörtern (rechtliches Gehör) und ihnen Gelegenheit geben, zu dessen Ermittlung und Inhalt vorzutragen. Soweit sich das Gericht, z.B. aufgrund von eigenen Recherchen (→ Art. 2 § 3 Ziff. 1), eine vorläufige Meinung zum Inhalt des ausländischen Rechts gebildet hat, teilt es diese den Parteien mit.

3. Im gerichtlichen Eilverfahren sind die Anforderungen an die Ermittlungspflicht grundsätzlich nicht herabgesetzt. Allerdings kann die Eilbedürftigkeit zur Nichtermittelbarkeit des ausländischen Rechts führen (zu dieser → Art. 2 § 7).

4. Tragen die Parteien in einem vermögensrechtlichen Verfahren zum anwendbaren ausländischen Recht detailliert und übereinstimmend vor, so kann das Gericht diesen Vortrag, wenn er unter Nachvollzug der Quellen für seine Überzeugungsbildung genügt, in der Regel ohne Verletzung seiner Ermittlungspflicht als richtig zugrunde legen (allgemein zum Parteivortrag → Art. 4). In Verfahren, in denen es um Statusfragen oder Rechte Dritter geht (also insbesondere im Familienrecht), gilt das in der Regel nicht.

Rechtsprechung: BAG, Urt. v. 10.4.1975 – 2 AZR 128/74, IPRspr 1975-30b (= NJW 1975, 2160).

5. Ein von einer Partei vorgelegtes privates Sachverständigengutachten („Parteigutachten“) gilt als urkundlich belegter Parteivortrag. Das Gericht muss sich damit im Rahmen seiner Ermittlungspflicht auseinandersetzen.


§ 3 Wege zur Ermittlung des ausländischen Rechts (Freibeweis)


1. Das ausländische Recht bedarf des Beweises nur insofern, als es dem Gericht unbekannt ist. Das bedeutet insbesondere, dass das Gericht den Inhalt des ausländischen Rechts auch durch eigene Recherchen, zuvörderst mithilfe von zugänglicher Literatur, Internetquellen und Übersetzungsprogrammen ermitteln darf und oft auch kann.

Erläuterung: Die eigene Recherche ist in einfach gelagerten Fällen häufig ausreichend. Selbst dort, wo sie keine abschließenden Erkenntnisse zu bringen verspricht, kann sie als Grundlage für Hinweise an die Parteien (dazu → Art. 2 § 2 Ziff. 2) und für die Formulierung eines zielführenden Beweisbeschlusses zur Einholung eines Sachverständigengutachtens dienen (dazu → Art. 2 § 6).

Eine regelmäßig aktualisierte Liste deutschsprachiger Standardwerke zum ausländischen Privatrecht findet sich hier.

Weitere wichtige deutschsprachige Quellen zum ausländischen Recht sind die Gutachtensammlung IPG (Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht) und die Rechtsprechungssammlung IPRspr (Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts). Auch in den Entscheidungen des EuGH finden sich mitunter ausführliche Angaben zu nationalen Rechtsordnungen.

2. Führt die eigene Recherche nicht zu einem genügend sicheren Ergebnis, etwa weil weder eine einschlägige höchstgerichtliche Rechtsprechung noch ein eindeutiger Gesetzeswortlaut vorliegen (dazu → Art. 2 § 3 Ziff. 4), stehen dem Gericht insbesondere folgende Wege zur Ermittlung des ausländischen Rechts zur Verfügung:

  • die Einladung an die Beteiligten, zum ihnen bekannten oder zugänglichen ausländischen Recht konkret vorzutragen (vor allem, wenn es ihr Heimatrecht ist), z.B. Normentexte sowie gerichtliche Entscheidungen (mit Quellenangabe und ggf. einfacher Übersetzung) vorzulegen;
  • die Nutzung des Europäischen Übereinkommens betreffend Auskünfte über ausländisches Recht von 1968 („Londoner Übereinkommen“);
  • die Einholung einer Auskunft durch deutsche Botschaften, Konsulate, Ministerien oder eine Außenhandelskammer;
  • die Verwertung eines Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren, das die gleiche Frage betrifft und nicht wegen seines Alters wenig vertrauenswürdig ist (§ 411a ZPO);
  • die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Erläuterung: Das Europäische Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht von 1968 („Londoner Übereinkommen“) lässt nur die Stellung abstrakter, d.h. nicht fallbezogener Fragen zu, und eine Rechtsauskunft besteht nur in der Mitteilung des Wortlauts der einschlägigen Gesetze und Gerichtsentscheidungen. Die Einholung einer Rechtsauskunft nach dem Übereinkommen empfiehlt sich daher nur dann, wenn dem Gericht die abstrakte Beantwortung einzelner Fragen genügt (siehe auch → Art. 2 § 3 Ziff. 4). Zu berücksichtigen sind zudem die anfallenden Übersetzungskosten und die häufig lange Bearbeitungszeit. Erfahrungsgemäß funktioniert die Zusammenarbeit mit einigen Ländern deutlich besser als mit anderen.

Die im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen ernannten Verbindungsrichter*innen können bei der Beschaffung von Gesetzestexten und ausländischen Entscheidungen behilflich sein, ihre Aufgabe besteht aber nicht in der Erstattung von Rechtsauskünften.

Zur Auskunft durch Botschaften, Handelskammern und andere Institutionen siehe BGH, Urt. v. 16.10.1986 – III ZR 121/85, IPRspr 1986-3 (= NJW 1987, 591); BFH, Urt. v. 7.12.2017 – IV R 23/14, IPRspr 2017-3, Rn. 39 (= BStBl II 2018, 444, Rn. 39); BGH, Beschl. v. 24.5.2017 – XII ZB 337/15, IPRspr 2017-304 (= NJW-RR 2017, 902).


3. Wie sich das Gericht die entsprechende Kenntnis vom ausländischen Recht verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das sich an den in → Art. 1 § 2 genannten Zielen ausrichtet. An die Ermittlungspflicht sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer oder je fremder im Vergleich zum eigenen das anzuwendende Recht ist. Von Einfluss auf das Ermittlungsermessen können auch Vortrag und sonstige Beiträge – etwa Privatgutachten – der Parteien sein, mit denen das Gericht sich gemäß deren Detailliertheit auseinandersetzen muss.

Rechtsprechung: BGH, Urt. v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (= IPRspr 1992-265 = NJW 1992, 2026); BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, IPRspr 2014-276 (= IPRax 2017, 517); BGH, Beschl. v. 26.4.2017 – XII ZB 177/16, NJW-RR 2017, 833; BGH, Beschl. v. 17.5.2018 – IX ZB 26/17, IPRspr 2018-297 (= EuZW 2018, 732); BGH, Urt. v. 18.3.2020 – IV ZR 62/19, EuZW 2020, 580 Rn. 24.


4. In einfachen Fällen genügt die Heranziehung der einschlägigen ausländischen Rechtsnormen, wenn weitere Informationen schwer zu erhalten sind und kein Grund zu der Annahme besteht, dass die ausländische Rechtspraxis vom ermittelten Gesetzestext abweicht. Insbesondere der Einholung eines vertiefenden Rechtsgutachtens bedarf es bei einer überschaubaren und ersichtlich auch nicht außergewöhnlichen Fragestellung nicht. Das Gericht teilt die Absicht, auf dieser Grundlage zu entscheiden, den Parteien vorher mit.

Erläuterung: Der BGH, Beschl. v. 24.5.2017 – XII ZB 337/15, IPRspr 2017-304 (= NJW-RR 2017, 902), ließ es bei einer Standardfrage zum ecuadorianischen Familienrecht ausreichen, dass sich das Instanzgericht im Wesentlichen auf die Auskunft der entsprechenden Botschaft verlassen hatte. In einer anderen Entscheidung ließ der BGH es genügen, dass das Instanzgericht den Inhalt des ausländischen Rechts mithilfe von Erläuterungen hierzu in der wissenschaftlichen Literatur festgestellt und auf den in der Kommentarliteratur abgedruckten und erläuterten Text des ausländischen Gesetzes zurückgegriffen hat (Beschl. v. 26.4.2017 – XII ZB 177/16, NJW-RR 2017, 833, Rn. 25). Auch die Entscheidung BGH, Urt. v. 21.1.1991 – II ZR 49/90, IPRspr 1991-1b (= NJW-RR 1991, 1211) („prendas navales“), macht deutlich, dass vertiefende Ausführungen zur Rechtspraxis nur bei Anzeichen eines Abweichens von der geschriebenen Rechtslage erforderlich sind. In BGH, Urt. v. 18.3.2020 – IV ZR 62/19, IPRspr 2020-99, Rn. 24 (= EuZW 2020, 580, Rn. 24), genügte es zwar nicht, dass das Gericht eine für die Entscheidung relevante Rechtsvorschrift des ausländischen Rechts eigenständig und lediglich sinngemäß in die deutsche Sprache übertragen hatte; dies dürfte aber nicht für Fälle gelten, in denen am Inhalt der Norm und ihrer Übereinstimmung mit der Praxis keine begründeten Zweifel bestehen.

Dass BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, IPRspr 2014-276 (= IPRax 2017, 517) die über das Europäische Rechtsauskunftsübereinkommen (→ Art. 2 § 3 Ziff. 2) erlangte Information im konkreten Fall nicht für ausreichend hielt, lag daran, dass die betreffende ausländische Behörde die gestellte Frage nicht erschöpfend beantwortet hatte.


5. Im Hinblick auf die Kosten und Verzögerungen, die ein Sachverständigengutachten in aller Regel mit sich bringt, sollte ein solches vom Gericht nur dann in Auftrag gegeben werden, wenn sich das als maßgeblich identifizierte ausländische Recht nicht auf einfacheren, schnelleren und kostengünstigeren Wegen mit hinreichender Sicherheit ermitteln lässt. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist aber nicht allein aus dem Grund verzichtbar, dass seine Kosten ein Vielfaches des Streitwerts betragen.

Rechtsprechung: BGH, Urt. v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, IPRspr 2014-276 (= IPRax 2017, 517).


6. Beim Umfang der Ermittlung des ausländischen Rechts muss berücksichtigt werden, dass viele Rechtsordnungen deutlich weniger tief erschlossen sind als die deutsche, sodass auch mit erheblichem Mehraufwand oft keine eindeutige Antwort auf die konkrete Frage zu ermitteln wäre. Die bloß abstrakte Möglichkeit, dass es auch anders sein könnte, macht daher weitere Ermittlungen nicht erforderlich oder vielversprechend.


§ 4 Besonderheiten in Prozesskosten- und Verfahrenshilfeverfahren


1. Einen Antrag auf Prozesskosten- oder Verfahrenshilfe darf das Gericht nicht aufgrund summarischer Prüfung des ausländischen Rechts abweisen, sofern eine nicht ganz zu vernachlässigende Möglichkeit besteht, dass die Anwendung des ausländischen Rechts die Rechtsposition des Antragstellers stützt. Erfordert die abschließende Beurteilung die Einholung eines Sachverständigengutachtens, so soll Prozesskostenoder Verfahrenshilfe gewährt und das Gutachten im Hauptsacheverfahren eingeholt werden.


2. Für die Auslegung und Anwendung der in Deutschland geltenden Regeln des IPR sind in Prozesskosten- und Verfahrenshilfeverfahren dieselben Grundsätze wie im Hauptsacheverfahren zu beachten (→ Art. 2 § 1).


§ 5 Auswahl von Sachverständigen und Kontaktaufnahme


1. In der Regel empfiehlt es sich, vor Abfassung des Beweisbeschlusses zu klären, wer zum Sachverständigen ernannt werden soll (vgl. → Art. 2 § 6 Ziff. 1). Hierfür ist eine Rücksprache mit den Parteien sinnvoll.


2. Die Auswahl erfolgt unter Beachtung der allgemeinen Vorschriften, vor allem der §§ 404, 406 ZPO. Erforderlich ist insbesondere die Fähigkeit des Sachverständigen, sich mittels Primärquellen über die relevanten Details der betreffenden Rechtsordnung zu unterrichten. Vorherige Expertise in der betreffenden Rechtsordnung ist wünschenswert, aber nicht strikt erforderlich. Ebenfalls wünschenswert sind solide Kenntnisse im IPR und in der allgemeinen Rechtsvergleichung.


3. Als Sachverständige kommen Angehörige wissenschaftlicher Institute für ausländisches Recht infrage oder einschlägig ausgewiesene Hochschullehrer*innen, aber auch freie Sachverständige (etwa aus der Rechtsanwaltschaft), die über besondere Kenntnisse einer ausländischen Rechtsordnung verfügen (etwa aufgrund eines dortigen Studiums oder einer dortigen Anwaltszulassung).


4. Auch die Ernennung eines Sachverständigen aus der betreffenden Rechtsordnung selbst ist möglich. Dies kann den Vorteil haben, dass die beauftragte Person insbesondere über die Praxis ihres einheimischen Rechts schneller und zuverlässiger Auskunft geben kann als ein Sachverständiger aus Deutschland. Mögliche Nachteile der Ernennung ausländischer Sachverständiger sind Übersetzungsschwierigkeiten und mangelnde Vertrautheit mit den Anforderungen des für deutsche Gerichte maßgeblichen IPR und des deutschen Gerichtsverfahrens, insbesondere mit den formalen und inhaltlichen Standards der Gutachtenerstattung für deutsche Gerichte, ferner die fehlende Möglichkeit, Zwangsmittel gegen den Sachverständigen anzudrohen oder anzuordnen.

Erläuterung: Die Bestellung einer im Ausland ansässigen Person zur Erstattung eines schriftlichen Gutachtens (§ 411 Abs. 1 ZPO) bedarf mangels Ausübung hoheitlicher Gewalt nicht des Vorgehens nach Art. 19 EU-Beweisaufnahme-VO 2022 und ist keine unzulässige Umgehung der Rechtshilfe i.S.v. § 63 ZRHO. Auch die Anordnung des Erscheinens zur Gutachtenerläuterung (§ 411 Abs. 3 ZPO) bedarf keines Ersuchens, solange sie ohne Androhung von Zwangsmitteln erfolgt. Jedoch erfordert die Anhörung des ausländischen Sachverständigen per Videoschaltung gemäß § 128a Abs. 2 ZPO ein Rechtshilfeersuchen (nicht hingegen die Anhörung am deutschen Gerichtsort).


5. Hat das Gericht eine Person identifiziert, die es mit der Erstattung des Rechtsgutachtens beauftragen will, sollte es vor Erlass des Beweisbeschlusses deren grundsätzliche Bereitschaft per Brief, Telefon oder E-Mail klären. Dies erspart im Falle einer Ablehnung das Hin- und Hersenden von Gerichtsakten und eine Abänderung des Beweisbeschlusses.


6. Hat der Sachverständige seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt, das Gutachten zu erstatten, sollte ihm zwecks Vorprüfung die Gerichtsakte übersandt werden.

Erläuterung: Die Empfehlung der Aktenübersendung hat zum einen den Hintergrund, dass das Gericht mangels Kenntnis des ausländischen Rechts nicht immer sicher wissen kann, welche Tatsachen relevant sind. Zum anderen ermöglicht es die Aktenübersendung, etwaige Befangenheitsgründe frühzeitig zu erkennen und offenzulegen (zur Befangenheit auch → Art. 3 § 1 Ziff. 2).


§ 6 Formulierung des Beweisbeschlusses


1. Der Beweisbeschluss muss die Fragen zum ausländischen Recht, den ernannten Sachverständigen und die gesetzte Frist enthalten. Je nach Fall enthält er darüber hinaus den vom Sachverständigen zugrunde zu legenden Sachverhalt → Art. 2 § 6 Ziff. 9) sowie Angaben zum Auslagenvorschuss (→ Art. 2 § 6 Ziff. 11).


2. Beweisfragen werden im Einklang mit der allgemeinen Aufgabenverteilung zwischen Gerichten und Sachverständigen formuliert (→ Art. 1 § 1). Dies bedeutet insbesondere, dass das Gericht dem Sachverständigen nicht die Prüfung des in Deutschland geltenden IPR aufgibt oder ihn nach der Begründetheit der Klage oder bestimmter klägerischer Ansprüche fragt (zur Subsumtion als richterlicher Aufgabe → Art. 2 § 9 Ziff. 1).


3. Bei der Formulierung der Beweisfragen ist generell zu beachten, dass die dogmatischen Strukturen des anwendbaren ausländischen Rechts sich möglicherweise von denen des deutschen Rechts unterscheiden (auch → Art. 3 § 1 Ziff. 6). Die Fragen sollten daher nach Möglichkeit offen formuliert werden.

Beispiele:

  • Anstatt die Beweisfrage auf vertragliche Ersatzansprüche zu begrenzen, kann es sich empfehlen, auch außervertragliche Ersatzansprüche in die Fragestellung einzubeziehen, soweit diese von der kollisionsrechtlichen Verweisung umfasst sind. Gefragt wird dann also nicht nach „vertraglicher Haftung“, sondern offener nach „Haftung“.
  • Anstatt nur zu fragen, ob eine bestimmte Handlung nach dem anwendbaren ausländischen Recht eine wirksame letztwillige Verfügung ist, kann es sich empfehlen, auch die Möglichkeit einer Schenkung in die Beweisfrage einzubeziehen.

4. Unbeschadet der Ziff. 3 sollten die Beweisfragen grundsätzlich auf die für die Fallentscheidung relevanten Aspekte des ausländischen Rechts beschränkt werden.

Beispiel: Anstatt zu fragen: „Was sind die Wirksamkeitsvoraussetzungen für Testamente im türkischen Recht?“, sollte nach Möglichkeit spezifiziert werden, hinsichtlich welcher Aspekte Zweifel an der Wirksamkeit bestehen. So könnte etwa gefragt werden:

  • „Welche Formerfordernisse sieht das türkische Recht für Testamente vor?“
  • „Gestattet das türkische Recht die Errichtung des Testaments durch einen Stellvertreter?“

5. Lassen sich die entscheidungsrelevanten Aspekte des ausländischen Rechts klar bestimmen, sollte das Gericht seine Fragen abstrakt formulieren.

Beispiele:

  • „Wie ist die gesetzliche Erbfolge im tunesischen Recht geregelt?“
  • „Sind vorgerichtliche Anwaltskosten nach polnischem Recht ersatzfähig?“ (Dies ist freilich bei Verkehrsunfällen eine Frage, die sich aus dem deutschen Schrifttum zum polnischen Recht beantworten lässt).
  • „Folgt das namibische internationale Gesellschaftsrecht der Gründungstheorie oder bestimmt es das auf Gesellschaften anwendbare Recht auf andere Weise?“

6. Ist die abstrakte Fragestellung nicht ratsam, weil sie zu vieles einschlösse, was nicht entscheidungsrelevant ist, oder weil die Rechtsfrage nicht sicher auf bestimmte Aspekte des ausländischen Rechts bezogen werden kann, sollte fallbezogen gefragt werden.

Beispiel: Anstatt zu fragen: „Wie kommt nach englischem Recht ein Vertrag zustande?“, sollte die Frage lauten: „Ist nach englischem Recht bei dem vom Gericht mitgeteilten Sachverhalt [vgl. → Art. 2 § 6 Ziff. 9] ein Vertrag zustande gekommen?“

Wenn möglich, sollte das entscheidungsrelevante Element noch genauer identifiziert werden: „Hat X nach englischem Recht den Vertrag bei dem vom Gericht mitgeteilten Sachverhalt [vgl. → Art. 2 § 6 Ziff. 9] im eigenen Namen oder im Namen von Y geschlossen?“

Zu beachten ist, dass die Subsumtion des Sachverhalts unter die einschlägigen Rechtsnormen und die Vertragsauslegung grundsätzlich Aufgaben des Gerichts sind, obgleich Sachverständige hierzu auch ihr eigenes Ergebnis darlegen können (→ Art. 2 § 9 Ziff. 1→ Art. 3 § 3 Ziff. 5 und → Art. 3 § 5).

7. Im Beweisbeschluss kann zur Beantwortung der Frage auch die Auseinandersetzung mit einem vorgelegten Parteigutachten (→ Art. 2 § 2 Ziff. 5) oder Parteivortrag verlangt werden.

Beispiel: „Ist der Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft nach spanischem Recht weisungsgebunden? Hierzu soll sich die Rechtsauskunft auch kritisch mit dem Schreiben des Rechtsanwalts M.S. der Kanzlei T.C. vom 26.2.2019 auseinandersetzen.“

8. Die Fragen zum ausländischen Recht sollen nach Möglichkeit so umfassend sein, dass die Notwendigkeit eines Ergänzungsgutachtens vermieden wird (vgl. auch → Art. 2 § 8 Ziff. 2). In bestimmten Fällen kann es sich empfehlen, die Beweisfragen zu staffeln.

Beispiele:

  • „1. Verweist das kalifornische IPR bei dem mitgeteilten Sachverhalt auf deutsches Recht zurück?
    2. Bei Verneinung von Frage 1: [Frage nach den kalifornischen Sachvorschriften].“
  • „1. Ist bei dem mitgeteilten Sachverhalt nach chinesischem Recht ein Vertrag zwischen den Parteien zustande gekommen?
    2. Bei Bejahung von Frage 1: Sind die von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche auf der Grundlage des chinesischen Vertragsrechts dem Grunde und der Höhe nach ersatzfähig?
    3. Bei Verneinung von Frage 1: Besteht nach chinesischem Recht eine andere Anspruchsgrundlage für den hier geltend gemachten Aufwendungs- oder Schadensersatzanspruch, und wenn ja, was sind ihre Voraussetzungen?“

9. Soweit möglich, teilt der Beweisbeschluss zwecks Klarheit und Zeitersparnis den vom Sachverständigen zugrunde zu legenden Sachverhalt mit (vgl. → Art. 2 § 6 Ziff. 1). Dabei ist zu bedenken, dass die Frage, welche Tatsachen relevant sind, vom ausländischen Recht selbst abhängen kann (→ Art. 2 § 6 Ziff. 10; zur Erstellung des Sachverhalts durch den Sachverständigen → Art. 3 § 2 Ziff. 3).

Rechtsgrundlage: § 404a Abs. 3 ZPO.

Beispiele:

  • „Der Sachverständige soll von folgendem Sachverhalt ausgehen: Die Parteien schlossen am 24.6.2018 einen Vertrag über die Lieferung von Metallröhren. Die Beklagte verfehlte in der Folge die Einhaltung der vereinbarten Liefertermine. Der Vertrag trifft für diesen Fall folgende Regelung […]. Der Beklagte ist der Ansicht, dass diese Klausel nach englischem Recht eine unwirksame Vertragsstrafebestimmung sei […].“
  • „Der Sachverständige soll unterstellen, dass der Antragsteller nicht der biologische Vater und die Antragsgegnerin nicht die biologische Mutter des Kindes ist.“

10. Hängt die Identifizierung der relevanten und ggf. noch zu ermittelnden Tatsachen vom Inhalt des ausländischen Rechts ab, kann dies im Beweisbeschluss deutlich gemacht werden.

Beispiel: „Kommt es nach französischem Recht für die Haftung darauf an, ob Kenntnis von einem bestimmten Umstand vorlag?“

11. Da ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln ist, kann das Gericht die Bestellung eines Sachverständigen nicht von der Zahlung eines Auslagenvorschusses abhängig machen.

Rechtsprechung: BGH, Urt. v. 17.9.2009 – I ZR 103/07, NJW 2000, 743.

Erläuterung: In der Praxis wird häufig ein Auslagenvorschuss eingefordert und auch bezahlt.

12. Das Gericht setzt dem Sachverständigen eine angemessene Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. Es empfiehlt sich, die Frist mit dem Sachverständigen vorher abzusprechen.

Rechtsgrundlage: § 411 Abs. 1 ZPO.

13. Spätestens mit seiner Ernennung ist dem Sachverständigen die Gerichtsakte zu übersenden (→ Art. 2 § 5 Ziff. 6).


§ 7 Nichtermittelbarkeit des ausländischen Rechts


1. Die Nichtermittelbarkeit des ausländischen Rechts berechtigt weder zur Klageabweisung noch zur Entscheidung aufgrund einer angenommenen Beweislast.

2. Wenn das anwendbare ausländische Recht oder eine einschlägige Norm vollständig oder weitgehend nicht ermittelt werden kann, darf das Gericht nicht ohne Weiteres deutsches Recht als Ersatzrecht anwenden. Stattdessen hat es, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigengutachtens, zunächst zu prüfen, ob die Lücke durch sachgerechte Fortbildung des ausländischen Rechts oder durch die Vorschriften einer sachnäheren anderen ausländischen Rechtsordnung geschlossen werden kann. Die größere Sachnähe einer anderen ausländischen Rechtsordnung kann dabei sowohl durch historisch-rechtsvergleichende als auch durch kollisionsrechtliche Erwägungen begründet werden.

3. Der Nichtermittelbarkeit steht es gleich, wenn Ermittlungsversuche erwartungsgemäß unverhältnismäßig lange dauern würden, insbesondere wenn zusätzliche Erkenntnisse unwahrscheinlich sind.


§ 8 Umgang mit dem erstellten Gutachten


1. Fragen zum ausländischen Recht lassen sich oftmals nicht mit letzter Sicherheit beantworten (vgl. auch → Art. 2 § 3 Ziff. 6). Gibt es keine gewichtigen substantiierten Zweifel an der Plausibilität und Korrektheit des – ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens erzielten – Ermittlungsergebnisses, kann das Gericht auf dessen Grundlage entscheiden.

2. Stellen die Parteien Nachfragen oder äußern sie Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens, reicht das Gericht diese nicht ohne Weiteres an den Sachverständigen zur Stellungnahme durch. Stattdessen prüft es zunächst, ob die gestellten Fragen entscheidungsrelevant sind, ob die Antworten bereits dem Gutachten entnommen werden können bzw. ob die geäußerten Zweifel hinreichend Substanz haben. Aussagen zum ausländischen Recht, die im Gutachten hinreichend belegt wurden, können nicht durch ein Bestreiten ins Blaue hinein erschüttert werden.

Beispiele:

  • Der Parteivertreter nimmt ausführlich Stellung zum Gutachten und stellt es an verschiedenen Stellen infrage. Das Gericht fordert den Sachverständigen nicht pauschal zur Stellungnahme auf, sondern identifiziert möglichst genau die aus seiner Sicht relevanten Argumente, prüft deren Erheblichkeit und formuliert die Nachfragen nach Möglichkeit in Gestalt von Beweisfragen.
  • Im Gutachten wird ausführlich erläutert und belegt, dass das namibische internationale Gesellschaftsrecht der Gründungstheorie folgt. Die Nachfrage seitens des Parteivertreters, ob ein Befolgen der Sitztheorie nicht trotzdem denkbar sei, ist unsubstantiiert, wenn sie nicht durch konkrete Anhaltspunkte gestützt wird.

3. Die mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen (ggf. per Videoschaltung, § 128a Abs. 2 ZPO) kann zur Klarstellung und Ergänzung nützlich sein, bringt häufig allerdings keine neuen Erkenntnisse. Zur Zeit- und Kostenersparnis kann es sich empfehlen, dem Sachverständigen bestimmte Fragen vorab zu übermitteln. Die ausschließlich schriftliche Erläuterung und Ergänzung funktioniert erfahrungsgemäß in der Regel gut.

Rechtsgrundlage: § 411 Abs. 3 ZPO.

Erläuterung: Ziff. 3 gilt aufgrund des dort zu beachtenden Mündlichkeitsgrundsatzes nicht für Gutachten zum ausländischen Recht im Rahmen von Strafverfahren.

4. Sofern der Sachverständige eigenständig den Sachverhalt formuliert hat, von dem er ausgeht (→ Art. 3 § 2 Ziff. 3), muss das Gericht bei Erhalt des Gutachtens prüfen, ob der Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde.


§ 9 Entscheidung unter Anwendung ausländischen Rechts


1. Die Entscheidung unter Anwendung des ausländischen Rechts ist originäre Aufgabe des Gerichts. Das betrifft insbesondere auch die Subsumtion des Sachverhalts unter das ausländische Recht, unabhängig davon, ob der Sachverständige ein eigenes Subsumtionsergebnis darlegt (vgl. → Art. 3 § 3 Ziff. 5, § 5).

2. Die Entscheidungsgründe müssen erkennen lassen, wie das ausländische Recht ermittelt wurde. Das betrifft sowohl die Auswahl der Erkenntnisquellen als auch – bei verbleibenden Zweifeln zum Inhalt – die Tiefe (vgl. → Art. 2 §§ 2, 3).

Erläuterung: Gibt die angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber, dass das Tatgericht seiner Pflicht nachgekommen ist, ausländisches Recht in angemessener Weise zu ermitteln, ist revisionsrechtlich davon auszugehen, dass eine ausreichende Erforschung des fremden Rechts in verfahrensfehlerhafter Weise unterblieben ist (BGH, Urt. v. 20.7.2012 – V ZR 135/11, MDR 2012, 1077 Rn. 16; BGH, Beschl. v. 6.10.2016 – I ZB 13/15, IPRspr 2016-219, Rn. 66 (= NJW-RR 2017, 313 Rn. 66).

3. Die Entscheidungsbegründung sollte nicht nur pauschal auf das Gutachten verweisen, sondern die für das Ergebnis relevanten Inhalte des Gutachtens selbst wiedergeben und erklären, warum das Gericht sie sich zu eigen macht. Sofern der Inhalt des Gutachtens streitig ist, muss das Gericht, wie auch sonst bei der Beweiswürdigung, begründen, warum es ihm folgt oder nicht. Das Gutachten sollte unter Beachtung der Anonymisierungspflichten so genau wie möglich bezeichnet werden (z.B. mit Datum und internem Aktenzeichen des Sachverständigen).

4. In der Entscheidung sind die Primär- und Sekundärquellen, auf die das Gericht sich stützt, möglichst vollständig anzugeben und, sofern es auf den Wortlaut ankommt, im Originaltext wiederzugeben. Bei nichtgängigen Sprachen (im Zweifel allen Sprachen außer Englisch) sollte eine deutsche Übersetzung der Texte angefügt werden. Soweit möglich, sollte für beide – Originaltext und Übersetzung – auf offizielle Quellen rekurriert werden, die dann auch benannt werden. Greift das Gericht auf eine andere als eine offizielle Übersetzung zurück, sollte es dies begründen.

5. Sofern hinreichende Quellen nicht gefunden werden konnten, sollte in der Entscheidung dargelegt werden, wo und wie danach gesucht wurde.

6. Nach Abschluss des Verfahrens sollte dem Sachverständigen eine Kopie der Entscheidung übermittelt werden. Ebenso sollte eine Übermittlung an einschlägige Sammlungen erfolgen (z.B. IPRspr, IPRax) sowie an sachrechtsspezifische Zeitschriften (z.B. FamRZ für Entscheidungen zum ausländischen Familienrecht).

Zur Redakteursansicht