
Genderforschung und Internationales Privatrecht
Gender-basierte Vorurteile, Ungleichheit und Machtgefälle bestimmen unser globales Recht. Konstrukte von Geschlechtsidentitäten operieren über Grenzen hinweg, auf komplexe und nicht immer sichtbare Weise. Diese Aspekte zu erkennen, zu beurteilen und zu behandeln tut not, nicht nur im Familienrecht, sondern auch in anderen Rechtsgebieten.

Alle modernen Rechtsordnungen haben Gesetze und Vorschriften für die Bewertung und Anerkennung ausländischer Rechtsverhältnisse. Diese Fragen regelt das Internationale Privatrecht (IPR). Das IPR bestimmt die Kriterien, nach denen beispielsweise deutsche Gerichte im Ausland geschlossene Ehen, dort durchgeführte Scheidungen, Adoptionen oder internationale Leihmutterschaftsverträge anerkennen beziehungsweise im Inland für ungültig erklären.
Obwohl das IPR immer schon Fragen der Geschlechtergerechtigkeit behandelt hat, hat es den Erkenntnissen der Genderforschung bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Oft wird die Disziplin als neutral, unpolitisch sowie technisch angesehen und nicht mit Geschlechterfragen befasst. Andererseits haben Wissenschaftler*innen aus der Geschlechterforschung bislang das IPR wenig beachtet, selbst in transnationalen Analysen.
Ralf Michaels, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, und Ivana Isailović, Fellow am Institut, haben ein wissenschaftliches Projekt ins Leben gerufen, das die Disziplinen zusammenbringen soll. So sollen transdisziplinärer Austausch und vernetztes Lernen zwischen Wissenschaftler*innen der gender studies und solchen des Internationalen Privatrechts möglich gemacht werden.
Ralf Michaels: „In anderen juristischen Bereichen, wie etwa dem Völkerrecht, werden Theorien und Methoden der Genderforschung schon länger produktiv genutzt. Wir möchten herausfinden, wie Identitäts- und Genderkonstruktionen im IPR zum Tragen kommen. Durch einen Diskurs zwischen den Disziplinen wollen wir deren jeweilige blinde Flecken überwinden.“
Ivana Isailović, Fellow des Instituts, trägt ihre eigene Expertise in Globalisierung, Recht und Genderforschung zum Projekt bei.

Ivana Isailović: „Unser Ziel ist es auch, Nachwuchswissenschaftler*innen aus beiden Disziplinen für das Projekt zu gewinnen, um gemeinsam an diesen wichtigen aktuellen Themen zu arbeiten. Wir experimentieren mit einem neuen Format, das, wie wir hoffen, Räume eröffnen wird für neue Analysen und Praktiken. Das macht dieses Projekt so spannend.“
Fortgesetzt wird das transdisziplinäre Forschungsprojekt mit einer Reihe von Veranstaltungen am Max-Planck-Institut. Die sich daraus ergebenden Themen werden im Rahmen eines für das Frühjahr 2021 geplanten Workshops weiter diskutiert.
Auftaktveranstaltung
Reading Group Meetings
Reading Group I: "Gender & Culture"
13. November 2019
Readings:
- Susan Moller Okin, Is Multiculturalism Bad For Women? Boston Review Oct/Nov 1997
- Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.05.2018 - BVerwG 1 C 15.17, https://www.bverwg.de/290518U1C15.17.0 (read esp. Nos. 1-5, 16-24, 46-47, 60-67)
- Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 10 Abs. 1, https://www.buzer.de/gesetz/4560/v225367-2019-08-09.htm
Reading Group II: "Intersectionality"
27. November 2019
Readings:
- Nora Markard: Die andere Frage stellen: Intersektionalität als Analysekategorie im Recht
- Dorothy E. Roberts, Critical Race Feminism, in Research Handbook on Feminist Jurisprudence 112 (Robin West & Cynthia Grant Bowman eds., 2019)
- British Airways Plc v Ms Eliza Mak & Ors [2011] EWCA Civ 184 (24 February 2011)
Reading Group III: "Beyond Binaries"
11. Dezember 2019
Readings:
- Judith Butler: Performative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist Theory
- Gössl, Susanne Lilian, From Question of Fact to Question of Law to Question of Private International Law: The Question Whether a Person is Male, Female, Or … ?
- Anatol Dutta & Walter Pintens: Private International Law Aspects of Intersex (PDF)