Sommerkonzil 2018

Lord Thomas of Cwmgiedd: The common law in private dispute resolution’s shadow

  • Datum: 09.07.2018
  • Uhrzeit: 16:00

Für das letzte Konzil vor der Sommerpause laden die Direktoren traditionell einen auswärtigen Gast an das Institut ein. Im Jahr 2018 war John Thomas, Lord Thomas of Cwmgiedd, der Einladung nach Hamburg gefolgt und sprach in seinem Vortrag über „The Common Law in Private Dispute Resolution’s Shadow“.

Institutsdirektor Reinhard Zimmermann begrüßte den Gast sehr herzlich und stellte ihn mit einigen einleitenden Worten dem zahlreichen Publikum vor. Lord Thomas hatte in den Jahren von 2013 bis 2017 das Amt des Lord Chief Justice of England and Wales inne. Daneben liegt ihm auch die Rechtsenwicklung jenseits der Grenzen von Großbritannien am Herzen – er hat die Entwicklung des European Law Institute als Gründungsmitglied begleitet und ist gegenwärtig im Executive Committee tätig.

Zu Beginn seines Vortrags berichtete Lord Thomas von seiner Beobachtung, dass das Common Law bereits seit geraumer Zeit stark von der Streitschlichtungspraxis (Dispute Resolution) beeinflusst sei und sogar zunehmend in deren Schatten stehe. Dies habe unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtspraxis. So trage beispielsweise der Arbitration Act aus dem Jahr 1996 zu einem Rückgang von Zivilprozessen bei, da seitdem im Rahmen eines Schiedsgerichtsverfahrens viel seltener eine Berufung wegen einer Rechtsfrage vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit eingelegt werde. Gleichzeitig sei die geringere Anzahl zivilrechtlicher Entscheidungen auch auf einen Anstieg der Gerichtsgebühren sowie auf eine fortschreitende Zurückhaltung bei der Gewährung von Gerichtskostenhilfe zurückzuführen.

Diese Beobachtungen seien zu bedauern, da das Common Law seit eh und je darauf angewiesen sei, durch eine Vielzahl und Vielfalt von Rechtsentscheidungen weiterentwickelt zu werden. Besonders besorgniserregend sei, dass gerade Rechtsstreitigkeiten mit geringen Streitwerten auf Anraten von (Schieds-)Richtern immer häufiger verglichen würden. Gerade „kleine“ Rechtsstreite hätten das Common Law allerdings in seiner langen Historie maßgeblich mitgeprägt. So sei heutzutage beispielsweise eine massive Abnahme von Schadensersatzprozessen wegen Körperverletzungen zu verzeichnen – jeder Student kenne jedoch den berühmten Donoghue v. Stevenson-Fall. In Schottland sei dieser Effekt noch verheerender, da aufgrund der geringen Größe des Landes insgesamt weniger Rechtsstreitigkeiten vor Gericht gelangen.

In diesem Zusammengang ging Lord Thomas näher auf zwei aktuelle Entwicklungen ein. Erstens sei eine „Demarkation“ zu erkennen – einige Rechtsgebiete wie der Versicherungsmarkt würden mittlerweile fast ausschließlich vor Schiedsgerichten verhandelt werden. Zweitens entwickele sich die Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt zu einer Quasi-Rechtsordnung, die neben das System des Common Law trete. Diese Vorgänge seien unter anderem deswegen problematisch, weil Schiedsgerichtsverfahren wegen ihrer grundsätzlichen Vertraulichkeit nicht als juristische Erkenntnisquellen zugänglich seien. Zwar würden bestimmte Schiedsgerichtsverbände, wie beispielsweise der Court of Arbitration for Sports (CAS), Leitentscheidungen veröffentlichen. Dies sei jedoch nicht allzu weit verbreitet.

Insgesamt plädierte Lord Thomas dafür, dass der von ihm beschriebene Wandel in der englischen Privatrechtskultur nicht ignoriert werden dürfe. Die große Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit werde bestehen bleiben oder sogar noch weiter zunehmen. Auch die Schiedsgerichtsbarkeit sei jedoch von staatlichen Vollstreckungsmechanismen abhängig, so dass sich der Staat aus der Entwicklung nicht heraushalten dürfe. Deswegen gelte es, die Herausforderung anzunehmen, zwei auseinander driftende Systeme wieder zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Dabei müsse das „so called law“ der Schiedsgerichte in die allgemeinen Grundlagen des Common Law inkorporiert werden. Schon Lord Mansfield habe erkannt, dass es für eine Rechtsordnung lebenswichtig sei, auf kohärenten Prinzipien zu beruhen.

Lord Thomas schloss seinen Vortrag jedoch mit einem optimistischen Ausblick: Das Common Law sei angesichts seiner Flexibilität dazu fähig, diese Herausforderung zu meistern.

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