The Scope for Judicial Law-making in Private Law in the Common-law Tradition

Vortrag Lord Patrick Hodge (Justice of the Supreme Court of the United Kingdom) im Rahmen des Konzils

  • Datum: 28.10.2019
  • Uhrzeit: 15:00

Am 28. Oktober 2019 hielt Lord Patrick Hodge, Richter am Supreme Court of the United Kingdom, im Rahmen des Konzils am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht einen Vortrag mit dem Titel „The scope of judicial law-making in the common law tradition“.

Lord Hodge betrachtete die Stellung des Richters im Common Law und stellte dar, wie verschiedene Richter und letztlich auch er selbst die Rolle des Richterrechts und dessen Einschränkungen (constraints) verstehen. Ausgangspunkt des Vortrags war die Feststellung, dass in der Tradition des Common Law judicial law-making (im Deutschen würde man am ehesten von Richterrecht oder richterlicher Rechtsfortbildung in Abgrenzung zu reiner Rechtsanwendung sprechen) eine eigenständige und unabhängige Rechtsquelle darstellt, die neben legislativen Akten steht. Im Vereinigten Königreich sei beispielsweise das Schuldrecht stark durch judicial law-making geprägt. Zwei Faktoren waren für die richterrechtliche Entwicklung des Schuldrechts vom mittelalterlichen zum modernen Recht besonders bedeutsam: einerseits der Rückgang des Einflusses der Jury im Gerichtsprozess seit Mitte des 18. Jahrhunderts, andererseits die Herausbildung eines kohärenten Systems von Rechtsmitteln und Rechtsmittelgerichten durch legislative Akte in den 1870er Jahren sowie die Etablierungvon offiziellen law reports. Beides führte, so Hodge, zu einer stärkeren Kohärenz und Konsistenz im Common Law. Während zuvor verstärkt durch Analogie zu bereits entschiedenen Fällen gearbeitet wurde, bildete sich nun eine stärkere doctrine of precedent heraus. Law Reports, die professionelle Ausbildung von Juristen an den Universitäten sowie akademisches Schrifttum über das Recht führten außerdem zu einer Herausbildung und Entwicklung von Rechtsprinzipien. Insgesamt habe sich die Art der richterlichen Argumentation stärker entfernt vom Induktiven und vermehrt zum Deduktiven gewandt, so Hodge. Der Vortrag betonte, dass Richter sich zwar einig waren und sind, dass es Einschränkungen des judicial law-making gebe. Über deren Festlegung und Reichweite bestünde aber Uneinigkeit.

Als Beispiel einer Rechtsentwicklung durch Richterrecht im Common Law führte Lord Hodge unter anderem die Herausbildung des law of negligence zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dessen Wandel bis zur heutigen Zeit an. Eine relevante Entwicklung stelle auch die Abkehr von einem sehr textnahen Ansatz zugunsten einer eher am Normzweck ausgerichteten Interpretation von statutes, einschließlich solchen im Steuerrecht, dar. Eine solche Entwicklung könne auch als richterliche Antwort auf empfundene soziale Missstände verstanden werden. Judicial law-making könne aber auch zu unvorhergesehenen Problemen führen, so beispielsweise im Fall Fairchild v. Glenhaven Funeral Services Ltd, der den Kausalitätsbeweis eines Geschädigten erleichterte. Das Gericht musste sich im Folgenden mit Problemen der Haftungsreichweite und solchen versicherungsrechtlicher Art befassen, die durch die Rechtsfortbildung erst verursacht worden waren.

Letztlich stellte Lord Hodge sein eigenes Verständnis der Einschränkungen von judicial law-making dar: Als Einschränkung zeige sich zuerst und vor allem die doctrine of precedent. Untere Gerichte seien durch Entscheidungen höherer Gerichte, letztlich des Supreme Court (bis 2009: des House of Lords) gebunden. Weiterhin bestehe eine Einschränkung darin, dass Gerichtsentscheidungen eine retrospektive Wirkung haben. Richter entscheiden anhand des Rechts, das auch im Falle einer Fortbildung als bereits geltend angesehen wird. Entscheidungen müssen daher den Erwartungen der Bürger jedenfalls zu einem gewissen Grad entsprechen, um Rechtssicherheit zu erzeugen. Eine dritte Einschränkung bestehe darin, dass sich Gerichte, wo kein Präzedenzfall vorliegt, auf Prinzipien berufen. Viertens nannte Lord Hodge die role recognition des Richterstandes, anderorts auch judicial restraint genannt. Richter handelten nicht, als seien sie Gesetzgeber, sondern in der Rolle eines Entscheiders konkreter Streitfälle aufgrund des geltenden Rechts. Einschränkungen bestünden außerdem in der Zurückhaltung von Richtern, bei der Weiterbildung des Common Law Entscheidungen zu treffen, die hohe öffentliche Ausgaben forderten oder den hohen Stellenwert der sovereignty of Parliament infrage stellten. Abschließend wies Lord Hodge darauf hin, dass auch im Common Law dem Richter immer mehr Hilfe und Anleitung von außen zur Seite stünde – durch akademische Arbeiten, durch EU-Recht, Menschenrechte und nicht zuletzt auch vergleichende Blicke in andere Rechtsordnungen.

Dem Vortrag folgte eine rege Diskussion. Fragen nach der Rolle der Parteien im adversarial system als weitere Einschränkung des judicial law-making wurden erörtert und die Zusammenstellung des Supreme Court aus schottischen und englischen Richtern mit verschiedener Ausbildung thematisiert. Insbesondere wurde das von Lord Hodge vorgetragene methodologische Verständnis der richterlichen Arbeit mit deutschen Perspektiven sowie mit im US-amerikanischen Raum geführten Diskussionen verglichen und über Unterschiede und Gemeinsamkeiten diskutiert.

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