Familienrechtsreform in Jordanien und Marokko: signifikante Unterschiede trotz struktureller Ähnlichkeiten

25. März 2019

Wie ist es zu erklären, dass in zwei semi-autoritären Monarchien, die strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen, die Reformprozesse der Personalstatutsgesetze unterschiedlich gestaltet werden? Dr. Dörthe Engelcke, wissenschaftliche Referentin in der Forschungsgruppe „Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder“, untersucht in ihrem soeben erschienenen Buch „Reforming Family Law: Social and Political Change in Jordan and Morocco“ die Gründe dafür an den Beispielen Jordanien und Marokko.

Mit Marokko und Jordanien haben zwei Staaten der MENA-Region im Zeitraum weniger Jahre ihr Personalstatusgesetz reformiert. Während das neue Personalstatusgesetz Marokkos von 2004 im In- und Ausland als gesellschaftliche Revolution gefeiert wurde, erfuhr das jordanische Personalstatusgesetz von 2010 international nur wenig Beachtung. Bei näherer Betrachtung werden die Unterschiede in der Gestaltung des jeweiligen Reformprozesses in den beiden Ländern deutlich. In Marokko wurde er weniger von Akteuren, die eine religiöse Ausbildung erhalten hatten, dominiert, während in Jordanien die Scharia-Gerichtsverwaltung die Kontrolle über die Familienrechtsreform übernahm.

In Marokko spielte der König im Reformprozess eine zentrale Rolle, in Jordanien jedoch nicht. Das marokkanische Familienrecht von 2004 spiegelt die Forderungen von Frauengruppen stärker wider und proklamiert internationales Recht als eine seiner Rechtsquellen, wohingegen das neue jordanische Personalstatusgesetz laut seiner Präambel ausschließlich auf islamischen Rechtsquellen beruht. Im Gegensatz zu Marokko spielen zudem internationale Akteure wie UN Women bei der Implementierung des Personalstatusgesetzes in Jordanien keine Rolle.

Die Analyse von Dörthe Engelcke lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Rolle, die Rechtssysteme in Reformprozessen spielen. Sie zeigt, dass die durch die britische und französische Kolonialpolitik geprägte Struktur der Rechtssysteme Jordaniens und Marokkos entscheidenden Einfluss auf die Durchführung der Reformprozesse sowie auf den Inhalt und die Implementierung des Familienrechts hatte. Durch die Heranziehung schriftlicher Quellen zum jeweiligen Gesetzgebungsprozess sowie statistischer Daten zur Umsetzung in Verbindung mit 120 Interviews mit Anwälten, Richtern, Vertretern von Lobbygruppen und politischen Stakeholdern gelingt es ihr, die komplexen Zusammenhänge aus gesellschaftlicher Entwicklung und Rechtsetzung nachzuzeichnen.

Dörthe Engelcke, Reforming Family Law – Social and Political Change in Jordan and Morocco (Cambridge Middle East Studies, 55), Cambridge University Press, Cambridge 2019, XVI + 270 S.

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