Adoption aus rechtsvergleichender Perspektive

11. April 2019

Mit dem Begriff Kafāla wird im algerischen Recht eine gerichtlich angeordnete Kindesannahme bezeichnet. Die Bewertung dieser Rechtsinstitution nach der Freizügigkeitsrichtlinie der EU ist Gegenstand einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 26. März 2019.

Priv.-Doz. Dr. Nadjma Yassari, Leiterin der Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel – Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder“ am Institut, hat 2015 für das Europäische Parlament einen Bericht erarbeitet, in welchem sie nachwies, dass die Kafāla eine gesetzlich geregelte Institution des algerischen Rechts ist, die zu Anerkennungszwecken als Funktionsäquivalent zur schwachen Adoption gewertet werden kann.

Ein in Großbritannien lebendes französisches Ehepaar hatte bei den britischen Behörden eine Einreiseerlaubnis für ein algerisches Kind beantragt, das ihnen im Rahmen einer Kafāla-Entscheidung anvertraut worden war. Die Europäische Kommission hatte ihrer Stellungnahme zum genannten Verfahren diesen Bericht zugrunde gelegt. Dennoch entschied der EuGH, dass nach den Immigration (European Economic Area) Regulations 2006 das Kind nicht als Adoptivkind im Sinne eines „direct descendant“, sondern als „extended family member“ zu behandeln ist. Yassari nimmt Stellung zu einigen Fragen, die diese Entscheidung aufwirft:

Gerichte und Behörden auf der ganzen Welt sind täglich mit der Frage der Anerkennung ausländischer Adoptionen befasst und brauchen dafür tragfähige Kriterien. Wie kommt man für die Rechtsfigur der Adoption international auf einen gemeinsamen Nenner?

„Zum Teil, aber nicht in allen Ländern, nimmt das Kind durch die Adoption den Namen der Adoptiveltern an. Manche Rechtsordnungen sehen gegenseitige, manche nur einseitige Erbrechte zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern vor. In einigen Ländern entsteht durch die Adoption ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Adoptivkindern und der Familie der Adoptiveltern, in anderen nicht. Im Mittelpunkt der Adoption steht die permanente Verbindung einer minderjährigen Person zu einer neuen Familie im besten Interesse der zu adoptierenden Person. Diese Beschreibung bildet den kleinsten gemeinsamen Nenner, wenn man die Bandbreite der heutigen gesetzlichen Regelungen dazu weltweit betrachtet.“

Inwiefern gelten Adoptionskriterien für das algerische Rechtsinstitut der Kafāla?

„Das algerische Recht sieht im Rahmen der Kafāla eine umfassende elterliche Sorge ohne staatlichen Eingriff vor. Dazu gehört insbesondere auch die uneingeschränkte Verfügungsbefugnis des Kāfil (annehmende Person) über das Vermögen des Makfūl (angenommene Person) – ein Privileg, das im islamischen Recht grundsätzlich nur dem biologischen Vater oder dem Großvater väterlicherseits zukommt. Außerdem ist der Kāfil berechtigt, seinen Familiennamen an den Makfūl weiterzugeben. Insgesamt zielt die algerische Kafāla also darauf ab, eine permanente Verbindung zwischen dem Kāfil und dem Makfūl herzustellen, weshalb sie einer Adoption funktional gleichkommt.“

Wie ist die vom EuGH als zwingendes Kriterium für die Anerkennung als Adoption gesehene Begründung eines Abstammungsverhältnisses aus rechtsvergleichender Sicht zu bewerten?

„Diese Entscheidung ist im Ergebnis hinnehmbar, da sie zu einer Zusammenführung der Eltern mit ihrem angenommenen Kind führt. Aus rechtsvergleichender Sicht hingegen sind die Ausführungen des Gerichts zu beanstanden. Es ist richtig, dass nach den Regelungen des algerischen Rechts eine Kafāla kein direktes Abstammungsverhältnis (arabisch: Nasab) zwischen den neuen Eltern und dem Kind begründet. Ebenso wahr ist aber, dass die Kafāla funktional alle Wirkungen einer schwachen Adoption, wie sie beispielsweise auch das französische Recht kennt, entfaltet. Um dieses Spannungsfeld zu überbrücken und die Kafāla (wie auch andere unbekannte ausländische Rechtsinstitute) in die Systembegriffe europäischer Familienrechte zu übertragen, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen.“

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