Quo vadis, Erbrecht?

Quo vadis, Erbrecht?

Rechtsvergleichende Forschung zum Erbrecht im Wandel

31. Juli 2018

Ist das Erbrecht wirklich kulturell verankert? Was passiert, wenn der letzte Wille eines Menschen grundsätzlichen gesellschaftlichen Werten entgegensteht? Und wie wird die Erbfolge bei gemeinsam Verstorbenen geregelt? Entgegen der verbreiteten Meinung, das Erbrecht sei wenig wandelbar, zeigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in zahlreichen rechtsvergleichenden Forschungsprojekten seine Entwicklungsmöglichkeiten auf.

Obwohl das Erbrecht zu den bedeutsamsten Gebieten des Privatrechts zählt, wurde es in der rechtsvergleichenden Forschung regelmäßig vernachlässigt. Institutsdirektor Reinhard Zimmermann hat das Thema zu einem Schwerpunkt seiner Forschungen gemacht:

Erbrecht in historisch-vergleichender Perspektive

Nach einem Vorläuferband unter dem Titel „Exploring the Law of Succession“ hat Reinhard Zimmermann im Jahre 2010 gemeinsam mit Kenneth Reid (Edinburgh) und Marius de Waal (Stellenbosch) eine internationale Forschungsgruppe zur historisch-vergleichenden Erforschung von Grundfragen des Erbrechts gegründet. Deren erstes Arbeitsprojekt betraf die Testamentsformen: „Comparative Succession Law I: Testamentary Formalities“, OUP, 2011, das zweite das Intestaterbrecht: „Comparative Succession Law II: Intestate Succession“, OUP, 2015. Momentan laufen die Vorbereitungen zur Publikation des dritten Bandes, der unter dem Titel „Comparative Succession Law III: Family Protection“ im Jahre 2019, wiederum bei OUP, erscheinen soll.

Inspiriert sind die Arbeiten der Forschungsgruppe von der Beobachtung, dass das Erbrecht zu einem randständigen Bereich der Rechtswissenschaft geworden ist. Das gilt in ganz besonderem Maße für die rechtsvergleichende Forschung. Fragt man nach den Gründen, die diese auffällige Zurückhaltung erklären, so stößt man auf den stereotypen Hinweis auf die kulturelle Verankerung des Erbrechts. Diese überkommene Sichtweise ist jedoch in jüngerer Zeit ins Wanken geraten. Auch die Tradition des Erbrechts ist nämlich zu einem guten Teil eine gemeineuropäische, und bestimmte soziale und wirtschaftliche Faktoren haben in den letzten Jahrzehnten grenzübergreifend zu einem Funktionswandel des Erbrechts geführt. Dadurch ist das Erbrecht international in einer Reihe von Punkten in Bewegung gekommen.

Historisch-vergleichende Forschung, die auf Gemeinsamkeiten hinweist und bestehende Unterschiede erklärt, ist damit in diesem Bereich ebenso aufschlussreich wie etwa im Vertragsrecht. In einer Reihe von Einzelstudien hat sich Zimmermann darum bemüht, diese Sichtweise zu validieren, darunter „Das Verwandtenerbrecht in historisch-vergleichender Perspektive“ (RabelsZ 2015), „Das Ehegattenerbrecht in historisch-vergleichender Perspektive“ (RabelsZ 2016), aber auch „Does the Law of Succession Reflect Cultural Differences?“ (Maastricht Law Series, Band 1, 2018). Band III der Comparative Studies in Succession Law ist einer vergleichenden Analyse und Darstellung der Mechanismen gewidmet, mit denen Rechtsordnungen eine Balance zwischen Testierfreiheit und familiärer Solidarität herzustellen versuchen, im Wesentlichen also compulsory portion, forced heirship und family provision.


Eine weitere Einzelstudie hat Reinhard Zimmermann gemeinsam mit Jakob Gleim, wissenschaftlicher Assistent am Institut, publiziert. In ihrem Aufsatz „Presumptions of Survivorship or Simultaneous Death in Cases of ‚Common Calamity‛ – Scots Law Against the Background of European Legal Developments“ beschäftigen sie sich mit der Frage, wie die Erbfolge bei gemeinsamen Verstorbenen geregelt ist:

Die Problematik der Erbfolge bei einem gemeinsamen Unglücksfall

Eine ganze Familie kommt im Krieg durch Fliegerbomben um, zwei Schwestern sterben im selben Zimmer an einer Rauchvergiftung, ein junges Ehepaar ertrinkt in der Südsee – und Juristen fragen sich, in welcher Reihenfolge die Unglücklichen gestorben sind. Das mutet zunächst makaber an, hat aber den praktisch wichtigen Grund, dass die Verstorbenen potentiell voneinander geerbt haben. Das wiederum ist für die überlebenden Erben von Bedeutung, denn wenn der Verstorbene, von dem sie erben, zunächst für einen kurzen Moment von einem der anderen Verstorbenen geerbt hat, kann der Nachlass erheblich größer sein. Was aber gilt, wenn sich nicht mehr herausfinden lässt, wer zuerst und wer zuletzt gestorben ist?

Bereits die römischen Juristen entwickelten Vermutungen für einige Konstellationen: Kamen beispielsweise Eltern zusammen mit ihren Kindern ums Leben, wurde vermutet, dass die Eltern nach den Kindern gestorben waren, wenn die Kinder noch minderjährig waren. Waren die Kinder hingegen schon volljährig, galt das Gegenteil. Das englische Recht entwickelte im 20. Jahrhundert die Vermutung, dass die jüngere Person generell nach der älteren Person gestorben sei. Nach dem geltenden deutschen Recht wird hingegen vermutet, dass alle genau gleichzeitig verstorben sind. Das ist zwar faktisch das Allerunwahrscheinlichste, hat aber rechtlich den Vorteil, dass keiner der Verstorbenen für einen kurzen Moment Erbe des anderen geworden ist.

Daran, wie das Recht Situationen des Umkommens in einer Common Calamity – also in einem gemeinsamen Unglücksfall – behandelt, lässt sich viel ablesen: Darf das Recht die Erben eines der Verstorbenen gegenüber den Erben der anderen Verstorbenen bevorzugen? Welche Rolle spielt der mutmaßliche Wille der Verstorbenen? Sollten juristische Vermutungen den faktisch wahrscheinlichsten Geschehensablauf berücksichtigen? Diesen Fragen geht der Beitrag nach, indem er die früheren und heutigen Antworten etlicher europäischer Rechtsordnungen analysiert und vergleicht. Dabei entwickeln Jakob Gleim und Reinhard Zimmermann zugleich, wie eine vorzugswürdige Lösung für das Problem des Umkommens in einer Common Calamity aussieht.

Reinhard Zimmermann, Jakob Gleim, Überlebens- oder Kommorientenvermutung bei „gemeinsamer Kalamität“? Schottland, England und die kontinentaleuropäische Rechtsentwicklung, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 135 (2018), 527 - 581.

Jakob Gleim, Reinhard Zimmermann, Presumptions of Survivorship or Simultaneous Death in Cases of “Common Calamity” – Scots Law Against the Background of European Legal Developments, in: Andrew J. M. Steven, Ross G. Anderson, John MacLeod (Hrsg.), Nothing So Practical As a Good Theory – Festschrift for George L. Gretton, Avizandum, Edinburgh 2017, 338–364.

Die englischsprachige Fassung ist frei zugänglich auf SSRN abrufbar.


Nicht die Frage „Wer erbt?“, sondern das Wie steht im Mittelpunkt des Habilitationsprojekts von Dr. Jan Peter Schmidt, wissenschaftlicher Referent am Institut. Mit dem Thema der Nachlassabwicklung hat er einen bislang wenig beachteten Aspekt des Erbrechts in das Zentrum seiner Forschungen gestellt:

Nachlassabwicklung in historisch-vergleichender Perspektive

Nicht nur Laien, sondern auch Fachleute betrachten das Erbrecht in der Regel aus einem wirtschaftlichen Blickwinkel und sehen seine zentrale Aufgabe darin, das Vermögen einer verstorbenen Person unter den Überlebenden zu verteilen. Die damit zusammenhängenden Rechtsfragen lauten etwa, in welchem Umfang es einem Erblasser möglich ist, die Begünstigten des Erbfalls selbst zu bestimmen, und was bei Fehlen einer solchen letztwilligen Verfügung gilt.

Stark in den Hintergrund tritt bei dieser Betonung der Verteilungsdimension des Erbrechts das, was man seine Verwirklichungsdimension nennen kann. Wie vollzieht sich der Übergang eines Rechts vom Verstorbenen auf eine andere Person überhaupt? Wie wird sichergestellt, dass die Gläubiger des Verstorbenen hierdurch keine Nachteile erleiden? Wie wird berücksichtigt, dass ein designierter Erbe mit dem Nachlass vielleicht gar nichts zu tun haben will, etwa weil er fürchtet, für die Schulden des Erblassers am Ende mit dem eigenen Vermögen zu haften?

Dr. Jan Peter Schmidt untersucht in seiner Habilitationsschrift diese und andere Aspekte des erbrechtlichen Geschehens unter dem Stichwort der „Nachlassabwicklung“ und nimmt dabei sowohl eine historische als auch eine vergleichende Perspektive ein. Er arbeitet die unter einer verwirrenden Vielfalt der Begriffe und Rechtskonstruktionen verborgen liegenden gemeinsamen Regelungsprobleme heraus und zeigt, auf welche Weise die auftretenden Interessenkonflikte gelöst werden können. Zugleich macht er deutlich, dass frühere Studien zum Thema der Nachlassabwicklung aufgrund einer zu formalistischen Herangehensweise nicht nur wenig ergiebig sind, sondern häufig auch in die Irre führen, weil sie sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen den europäischen Rechtsordnungen überzeichnen.

Siehe auch: Jan Peter Schmidt über die EuGH-Entscheidung zur europaweiten Geltendmachung von Erbrechten


Was ein Mensch in sein Testament schreibt, steht ihm grundsätzlich frei. Doch was passiert, wenn der letzte Wille eines Menschen gegen gesellschaftliche Normen verstößt? Dieser Frage geht Andreas Humm, wissenschaftlicher Assistent am Institut, in seinem Promotionsprojekt nach:

Testierfreiheit und Werteordnung – Rechtsvergleichender Blick auf ein Spannungsfeld

Das Dissertationsprojekt untersucht das Spannungsfeld zwischen Testierfreiheit und Werteordnung in rechtsvergleichender Perspektive, namentlich mit Blick auf Deutschland, England und Südafrika. Es wird untersucht, wann sich die Rechtsordnungen unter Berufung auf grundlegende Werte, Sitte oder Moral dem letzten Willen eines Menschen entgegenstellen.

Die zu betrachtenden Fälle umfassen eine große Bandbreite an Konstellationen. Dazu zählt die Frage, inwieweit der Erblasser eine Erbeinsetzung unter eine Bedingung stellen darf, indem er beispielsweise von seinem Sohn die Heirat einer bestimmten Person verlangt. Betrachtet werden aber auch die Problematik der Nachlassverteilung anhand diskriminierender Maßstäbe wie Geschlecht oder Abstammung sowie die Grenzen einer Enterbung naher Angehöriger, die über die gesetzlich bestimmte Mindestbeteiligung naher Familienangehöriger am Nachlass hinausgeht.

Insbesondere wird nach den Hintergründen der jeweiligen Rechtsprechung gefragt: Decken sich die rechtlichen Entwicklungen hinsichtlich Sitte und Moral mit gesellschaftlichen Veränderungen oder markanten historischen Ereignissen? Wirken sich politische oder rechtspolitische Zielsetzungen auf die rechtliche Beurteilung aus? Wie weit reicht der Einfluss gewisser Charakteristika der Rechtstradition? Letztlich stellt sich die Frage, ob sich mit dem Überschreiten der nationalen Grenzen auch die Schranken, die eine gewisse Werteordnung dem Erblasser zieht, ändern und damit, ob diese Testierschranken eher national beziehungsweise kulturell geprägt sind oder doch als Ausdruck einer gemeinsamen Werteordnung erscheinen.






Bildnachweise:

Headerbild: © shutterstock/Burdun Iliya
alle anderen Bilder: © Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht / Johanna Detering

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht