Bundesverfassungsgericht folgt Stellungnahme des Instituts zur Frühehe

3. April 2023

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in seiner derzeitigen Fassung mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Dabei beruft sich das Gericht auf eine vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht für das BVerfG erstellte rechtsvergleichende Stellungnahme, in der das Phänomen und die rechtliche Behandlung der Frühehe in rund 60 Ländern untersucht wurden.

Ein Team von 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Nadjma Yassari, Leiterin der Forschungsgruppe zum Recht islamischer Länder, und Institutsdirektor Ralf Michaels hatte 2020 für das BVerfG eine rechtsvergleichende Stellungnahme zu dem Gesetz verfasst. Die Stellungnahme beleuchtete das Phänomen der Frühehe im Kontext unterschiedlicher Rechtsordnungen und -kulturen und verglich dabei auch, wie unterschiedliche Rechtsordnungen mit ausländischen Frühehen umgehen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen zu dem kritischen Fazit, dass die deutsche Regelung sehr streng ist und im Einzelfall zu ungewöhnlichen Härten führt.

Vor diesem Hintergrund ordnen Institutsdirektor Ralf Michaels und Forschungsgruppenleiterin Nadjma Yassari die Entscheidung des Gerichts ein:

„Wir begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht unserer Ansicht und der einer großen Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Behörden und Organisationen gefolgt ist. Minderjährigen in einer Frühehe wird nicht angemessen geholfen, wenn ihre Ehe als unwirksam angesehen wird, es aber keine Regelung gibt, die die aus der Unwirksamkeit folgenden Nachteile abfedert. Und ihr Selbstbestimmungsrecht ist nicht wirklich geschützt, wenn ihnen nicht die Möglichkeit gegeben wird, ihre minderjährig geschlossene Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit weiterzuführen, ohne erneut heiraten zu müssen. Besonders freut uns, dass unsere umfassende rechtsvergleichende Untersuchung dem Bundesverfassungsgericht gezeigt hat, dass es im Ausland auch andere wirksame Methoden gibt, die Interessen der Minderjährigen zu schützen. Das bestätigt uns in unserer Überzeugung, dass auch bei der Frage, ob eine Norm des deutschen Rechts verfassungsgemäß ist, die Rechtsvergleichung eine wichtige Rolle spielen kann.“

Eine ausführliche Anmerkung von Institutsdirektor Ralf Michaels zur Entscheidung des BVerfG finden Sie auf dem Verfassungsblog.

Zum Hintergrund

Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen sieht vor, dass im Ausland geschlossene Ehen in Deutschland unwirksam beziehungsweise aufzuheben sind, wenn zumindest eine Ehepartnerin bzw. ein Ehepartner bei der Eheschließung minderjährig war. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 29.03.2023 im Grundsatz gebilligt, dass solche Ehen in Deutschland ungültig sind, erachtet das Gesetz aber in seiner jetzigen Form als unverhältnismäßig und verfassungswidrig.

Der Gesetzgeber muss an zwei Regelungen nachbessern, die die Folgen einer Annullierung der Ehen abfedern sollen: Zum einen müssen minderjährige Personen einen Unterhaltsanspruch gegenüber ihren früheren Ehepartnerinnen bzw. Ehepartnern erhalten. Außerdem sei eine Regelung erforderlich, die es ermöglicht, die Ehe bei Erreichen der Volljährigkeit wiederaufleben zu lassen.




Literaturhinweise

Ralf Michaels, Foreign Child Marriages and Constitutional Law – German Constitutional Court Holds Parts of the German Act to Combat Child Marriages Unconstitutional, 2023, https://conflictoflaws.net/2023/foreign-child-marriages-and-constitutional-law/, 30.03.2023.
Nadjma Yassari, Ralf Michaels (Hrsg.), Die Frühehe im Recht – Praxis, Rechtsvergleich, Kollisionsrecht, höherrangiges Recht (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht, 135), Mohr Siebeck, Tübingen 2021, XXVI + 660 S.
MPI for Comparative and International Private Law, Max Planck Society, Die Frühehe im Rechtsvergleich: Praxis, Sachrecht, Kollisionsrecht, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 84 (2020), 705–785.



Bildnachweis: © shutterstock/Robsonphoto

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