Handspiel im Fußball – Was heißt „Gerechtigkeit“ im Sport?

15. November 2019

Fußballregeln sind selten Gegenstand juristischer Forschung. Sie sollten praktisch leicht anwendbar sein und zwar möglichst auch ohne juristischen Sachverstand. Manche Regeln sind jedoch ausgesprochen komplex. Das gilt zum Beispiel für die sogenannte Handspielregel (Regel 12 des International Football Association Board), die erst kürzlich neu gefasst worden ist, um das Kriterium der „Absicht“ besser handhabbar zu machen.

Bietet diese Regel dem Schiedsrichter aber wirklich einen praktikablen Rahmen für seine Entscheidungen? Ist sie in sich widerspruchsfrei? Darum ging es in der diesjährigen Veranstaltung des Hamburger Forums für internationales Sportrecht. Darüber hinaus ging es auch um die übergreifende Frage, was „Gerechtigkeit“ im Sport bedeutet und wie sie sich verwirklichen lässt. Trägt, beispielsweise, der Videobeweis zu größerer Gerechtigkeit bei?

Reinhard Zimmermann, Geschäftsführender Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht skizzierte in seiner Begrüßung das Problemfeld und zitierte dabei eine Reihe von Zeitungsüberschriften der letzten Zeit („Hirnlose Handspielregel“; „Ein schwarzer Tag für die Handspielregel“; „Handspiel: Das ist toxisch“). In deutschen Fußballstadien errege die Frage, ob die Berührung des Balles mit Hand oder Arm durch einen Spieler tatsächlich als „Handspiel“ zu ahnden ist, an jedem Wochenende erneut die Gemüter. Auch der Videobeweis werde vielfach kritisiert („Videobeweis schadet dem Image der Schiedsrichter“; der Fußball werde dadurch „immer klinischer“). Zimmermann stellte aber auch die Frage, wie die immer komplexeren Regelvorgaben und die sinkende Fehlertoleranz mit der Natur des Fußballs als eines letztlich von Glück und Zufall abhängigen Spiels vereinbar ist; und er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Glück und Zufall gerade beim Fußball eine besonders große Rolle spielen.

Hans Christoph Grigoleit von der Ludwig-Maximilians-Universität München unterzog die Handspielregel dann einer gründlichen dogmatischen Analyse. Er beleuchtete Kontext und „vorpositive“ Rahmenbedingungen der Regel, skizzierte die aktuelle Rechtslage mit dem Tatbestandsmerkmal der „Absicht“ und den dazu entwickelten Vermutungen und Regelbeispielen im Zentrum, und er durchleuchtete den Sanktionenkatalog und dessen Passgenauigkeit.

Der DFB- und FIFA-Schiedsrichter sowie Jurist Felix Brych, Christian Deckenbrock, Vizepräsident des Deutschen Hockey Bundes und ebenfalls Jurist, sowie der Sportwissenschaftler, Philosoph und Linguist Gunter Gebauer ergänzten diese Analyse mit Kurzvorträgen aus der Sicht der Praktiker, die Spielregeln zu formulieren (Deckenbrock) oder anzuwenden haben (Brych) und aus sportphilosophischer Perspektive. In diesen Kurzvorträgen wie auch in der von Ulrich Becker, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, geleiteten, sehr lebhaften Diskussion wurde das Spannungsfeld von Verrechtlichung und Überprüfbarkeit, Intuition und Schnelligkeit der Schiedsrichterentscheidung sehr deutlich.

Letztlich muss ein Sportler neben Sieg und Niederlage auch den Schiedsrichter akzeptieren. Hieran scheint es gerade beim Fußball häufig zu hapern. Die gerade zu Ende gegangene Rugby-Weltmeisterschaft bietet insoweit ein Gegenbeispiel.

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